Zurück zur NaturDie Stadt der Zukunft ist grün und gesund

Der Entwurf des Architekten Vincent Callebaut für Paris im Jahre 2050.
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- Zurück zur Natur: Pflanzen und Bäume helfen den Menschen, Immunkrankheiten und psychische Leiden zu überwinden.
- Die Gleichung „Grün gleich gesund“ für die Stadt klingt einfach, doch mit der Umsetzung tun sich Verwaltungen in Deutschland noch schwer.
Die grünen Städte der Zukunft stehen in Teilen bereits, faszinierende Anfänge einer neuen urbanen Welt mit Fassaden-Gärten und Terrassen-Wäldern. Zu bestaunen jetzt schon in Wien, Singapur oder Mailand. Und das ist nur der Anfang, glaubt der Biologe Clemens Arvay aus Österreich.
In seinem neuen Buch „Biophilia in der Stadt“, was sich mit Liebe zur Natur in Metropolen übersetzen lässt, bilanziert er im Indikativ: „In der biophilen Stadt werden wir immer mehr Naturflächen in unsere Wohn-, Lern- und Arbeitsräume integrieren.“ Das alles hat einen Sinn, der für Arvay vor allem im Wohlergehen der Menschen liegt, in ihrer Gesundheit, gefördert durch die in die Stadt integrierte Natur. „Jeder einzelne Mensch ist und bleibt ein biophiles Wesen. Er braucht die Natur“, sagt Arvay.

Der „Bosco Verticale“, senkrechter Wald auf dem Dach und den Terrassen von zwei Wohnhäusern in Mailand
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Und so sieht diese Theorie bereits jetzt in der Praxis aus: Beispiel Wien, wo die Magistratsabteilung 48 ihre Residenz am Wiener Gürtel, der am stärksten befahrenen und am meisten mit Abgasen belasteten Straße der Stadt, komplett begrünt hat. Mit positiver Wirkung für die Luftqualität zumindest in der Umgebung dieses Fassaden-Biotops. Oder das „Tree House“ in Singapur. Es beherbergt den derzeit größten vertikalen Garten der Welt, der sich an der Fassade eines Hochhauses hinaufschlängelt, 24 Stockwerke, 82 Meter Höhe, die Pflanzfläche beträgt enorme 24 600 Quadratmeter. In Mailand steht der „Bosco Verticale“, der senkrechte Wald, zwei begrünte Hochhäuser des Architekten Stefano Boeri, 110 beziehungsweise 80 Meter hoch. Dort ist Platz für 900 Bäume und Sträucher, die auf den Terrassen und Dachflächen gedeihen. Auch hier sind die vertikalen Wände teilweise begrünt und berankt – für Arvay „ein Vorbote der Zukunft“. Die biophile Stadt werde zahlreiche Gebäude und Hochhauskomplexe beinhalten, die vollständig mit Vegetation bedeckt sein werden und „hinter einem dichten Pflanzenkleid verschwinden“.
Auch die Vision des belgischen Architekten Vincent Callebaut für Paris im Jahre 2050 sorgt für Aufsehen. Grüne Wände, viele Bäume und bepflanzte Uferpromenaden hat er in einen Entwurf integriert. Das alles soll dabei helfen, dass Paris seinen Klimaschutzplan einhalten kann – Frankreichs Hauptstadt soll in den kommenden 31 Jahren ihre Treibhausgasemissionen um 75 Prozent senken. Pflanzen und Bäume helfen dabei, sie nehmen etwa Kohlendioxid und Stickoxide auf, die nicht nur für Menschen sehr schädlich sind, sondern auch für die Umwelt. Die Stoffe haben eine klimaschädliche Wirkung. Kleine Anfänge gibt es auch in Paris. In der Rue d’Aboukir, zweites Arrondissement, zum Beispiel ist eine 25 Meter hohe Häuserfassade eines Wohnhauses vollständig hinter dichtem Pflanzenbewuchs verschwunden.
Arvay denkt sein Konzept weiter
Der Österreicher Arvay denkt sein Konzept weltweit, und so kommt auch Köln in seinen Überlegungen vor. Viel Grün ist ja schon in der Stadt vorhanden, im Grüngürtel etwa, im Stadtwald, aber auch im Königsforst, der innerhalb von 20 Minuten mit der Linie 9 vom Zentrum aus erreichbar ist. Und doch sieht Arvay noch erhebliche Defizite.

„Im Wald ist jede Nische besetzt und hat eine Funktion. So sollten wir es auch in Köln machen“, sagt Clemens Arvay
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Die Innenstadt sei dicht bebaut, es finde sich nur schwer Platz für neue Grünflächen, weshalb man sich „Anleihen aus dem Wald holen sollte. Dort ist alles miteinander verbunden, jede Nische ist besetzt und hat eine Funktion. So sollten wir es auch in Köln machen.“ Also: vertikale Flächen nutzen – „damit bringt man immense Naturflächen in die Stadt.“ Dachterrassen anlegen wie im „Bosco Verticale“ zu Mailand. Oder Dachgärten. Schließlich grüne Korridore schaffen, die sich verbinden sollten, um grüne Schneisen in die Städte zu legen. Ein Beispiel dafür: Der „High-Line-Park“ von New York, eine stillgelegte Güterzugtrasse im Westen von Manhattan, die bepflanzt und begrünt eine wundervolle Oase in der City ist. Sie hat fünf Millionen Besucher im Jahr.
Grün für die Städte – es wird dringend nötig sein, in dieser Kategorie zu denken, zumal drei Viertel der Weltbevölkerung nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation bis 2050 in Städten leben werden. Gerade in Zeiten des Klimawandels helfen Parks, Wiesen und grüne Balkone, die Auswirkungen der Veränderungen zu lindern – als Puffer für extreme Hitzebelastungen, als Schutz bei Starkregen, der besser abfließt; grüne Dächer und Fassaden könnten zudem einen Teil des Wassers aufnehmen und speichern.
Das Grün, die Pflanzen, Bäume und der Wald haben zudem Auswirkungen auf die Gesundheit und Psyche des Menschen. Das belegt Arvay mit Studien, Expertengesprächen und eigenen Erfahrungen. Schon der bloße Blick auf Bäume wirkt beruhigend auf Menschen und reduziert den Gehalt an Stresshormonen im Blut. Arvay hat zudem ein, wie er sagt, „heilsames Trio des Waldes“ ausgemacht, dass die Immunabwehr stärkt. Diese „Antikrebseinheit“ kann etwa freie Radikale im Blut des Menschen – das sind hochreaktive Sauerstoffmoleküle – ausschalten, die Krebs auslösen können. Auch psychische Leiden kann dieses Trio lindern. Um es aufzunehmen, empfiehlt sich ein regelmäßiger Aufenthalt in einem Wald mit einem Fließgewässer, idealerweise einem Wasserfall.
Bäume selbst haben auch ein Immunsystem, ihre Abwehrstoffe gehören zu einem großen Teil in die chemische Stoffgruppe der Terpene, das sind sekundäre Pflanzen- und Botenstoffe, die in der Waldluft enthalten sind. „Die Terpene wirken sich äußerst positiv auf unser Immunsystem aus, sie lassen nach Waldspaziergängen mehr natürliche Killerzellen in unserem Blut zirkulieren“, sagt Arvay. Hinzu kommen Anionen, negativ geladene Sauerstoffteilchen, die ganz besonders durch Wasserfälle aktiviert werden. „Auch sie fördern unser Immunsystem, sie wirken gegen Asthma und sind stimmungsaufhellend“, erläutert Arvay. Schließlich bietet der Wald in seinem Boden ein besonderes Bakterium, Arvay nennt es Biophilia-Bakterium, das ebenfalls das Immunsystem stärkt und eine Hilfe bei Depressionen oder anderen psychischen Erkrankungen ist. Terpene, Anionen und das Biophilia-Bakterium – es wird deutlich, warum Arvay vom „heilsamen Trio“ spricht.

Der High-Line-Park – grünes Idyll in New York
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Die Gleichung: „Grün gleich gesund“, für die Stadt klingt einfach, doch mit der Umsetzung tun sich Verwaltungen in Deutschland noch schwer. Und der Grünanteil an Siedlungsfläche – schlappe neun Prozent – ist in Deutschland durchaus ausbauwürdig.
Dabei gibt es weitere positive Nachrichten aus der Praxis: Liuzhou etwa, ein belasteter Ballungsraum in China mit 3,5 Millionen Einwohnern, will sich erneuern. Die Stadtverwaltung plant eine Waldstadt für 40 000 Menschen, um damit gegen Smog und Erwärmung anzukämpfen. Ab 2020 sollen im Süden von Liuzhou begrünte Hochhäuser, Schulen und Krankenhäuser entstehen. Die Gebäude absorbieren dadurch 57 Tonnen Feinstaub und 10 000 Tonnen Kohlendioxid aus der Stadtluft.
Was zeigt, welches enorme Potenzial Städte im Kampf gegen den Klimawandel aufweisen. Denn das, was in Liuzhou im Großen geplant wird, lässt sich in jeder Stadt durch jede begrünte Hauserfassade im Kleinen ebenfalls erreichen. Clemens Arvay sagt: „Das ist die Architektur der Zukunft. Es geht gar nicht anders.“
Buchtipp: Clemens Arvay: „Biophilia in der Stadt“, Goldmann-Verlag, 352 S., 22 Euro
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