Jurist zu kirchlichem MissbrauchDas Angebot der Bischöfe ist erschreckend niedrig

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Dichte Nebelschwaden ziehen um die Turmspitzen des Kölner Doms.

Der Kölner Dom im Nebel. (Symbolbild)

Eine Schmerzensgeldklage vor dem Kölner Landgericht stellt den Versuch der Bischöfe infrage, sich aus der Verantwortung zu stehlen, schreibt Jurist Lothar Jaeger in seinem Gastbeitrag.

Am 6. Dezember wird am Landgericht Köln über die Klage eines von einem Kleriker missbrauchten Minderjährigen verhandelt. Der Kläger verlangt ein Schmerzensgeld in Höhe von mehr als 800.000 Euro. Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) gewährt in einem vereinfachten Verfahren Leistungen von bis zu 50.000 Euro. Der unbefangene Leser mag sich fragen, welcher Teufel den Kläger reitet, vor Gericht den 16-fachen Betrag zu fordern. Ist er maßlos? Oder ist sein Anwalt auf höhere Gebühren aus?

Nicht die Täter haften, sondern die Institutionen

Über Versuche einer Entschädigung von Missbrauchsopfern wird seit mehr als einem Jahrzehnt berichtet. Die Kirche versucht, durch exorbitant teure Gutachten zu belegen, dass der Institution selbst nichts vorzuwerfen sei, dass sie selbst nicht hafte und dass sie alles daransetze, das Leid der Betroffenen durch angemessene freiwillige Leistungen anzuerkennen. In der juristischen Literatur ist seit Jahrzehnten anerkannt, dass die katholische wie auch die evangelische Kirche für Pflichtverletzungen ihrer Bediensteten, vergleichbar dem Staat bei Beamten im öffentlichen Dienst, nach Amtshaftungsgrundsätzen (analog) haftet.

Darauf hat der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages 2010 hingewiesen und Ansprüche von Missbrauchsopfern gegen das jeweilige Bistum bejaht. Ausführlicheres dazu im aktuellen Heft 18 der Fachzeitschrift „Versicherungsrecht“. Aus dieser Rechtslage ergibt sich für Nicht-Juristen überraschend, dass die Missbrauchstäter zivilrechtlich nicht selbst haften, sondern an ihrer Stelle die Diözese, die dem Täter sein Amt anvertraut hat.

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Dennoch hat die katholische Kirche ihre Haftung wohl wider besseres Wissen stets verneint und darauf hingewiesen, eine freiwillige Leistung „in Anerkennung des erlittenen Leids ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ zu erbringen. Trifft aber die Prämisse zu, dass die Diözesen haften, sind alle Angebote zur Schadensregulierung zu hinterfragen.

50.000 Euro Entschädigung für Missbrauch? Die Summe ist frei erfunden

Derzeit befindet auf Beschluss der DBK eine „Unabhängige Kommission für Anerkennungsleistungen“ (UKA) über die Höhe. Die Obergrenze liegt grundsätzlich bei 50.000 Euro. Nicht ersetzt wird der weitere Personenschaden. Dabei ist anerkannt, dass nach einem sexuellen Missbrauch nicht nur Schmerzensgeld zu zahlen ist. Es gilt vielmehr der Grundsatz der Totalreparation, dass auch der gesamte materielle Schaden zu ersetzen ist.

Das Angebot der Bischöfe ist erschreckend niedrig. Für die Höhe des Schmerzensgelds ist fast ausschließlich der tatsächliche Ablauf der Tat von Bedeutung. Psychische Beeinträchtigung werden nicht abgefragt. Diese können Dauer- und Spätschäden von größerem Gewicht sein als der durch einen Missbrauch unmittelbar ausgelöste Körper- oder Gesundheitsschaden. Die Summe dieser Schäden kann im Einzelfall weit höher sein als jedes bisher von der Rechtsprechung zuerkannte Schmerzensgeld, dessen Höchstbetrag bei einer Million Euro liegt.

Das Schmerzensgeld von bis zu 50 000 Euro soll laut DBK ein Betrag sein, der „sich am oberen Bereich der durch staatliche Gerichte in vergleichbaren Fällen zuerkannten Schmerzensgelder orientiert“. Mit einer gewissen Grundkenntnis der Bemessung von Schmerzensgeld wird schnell klar, dass diese Angabe frei erfunden ist.

Offene Fragen der Unabhängigkeit bei kirchlichen Gutachten

Richtig ist vielmehr: Es gibt keine einzige Entscheidung, die ein Schmerzensgeld nach sexuellem Missbrauch Minderjähriger durch Kleriker überhaupt zuerkennt. Nach der jüngsten Rechtsprechung des BGH sind psychische Schäden, Lebensbeeinträchtigung und Einbuße an Lebensqualität von besonderer Bedeutung – Gesichtspunkte, die von der DBK nicht einmal genannt werden.

Die UKA, die die Missbrauchsopfer nicht zu Gesicht bekommt, sollte sich zur Feststellung psychischer Schäden der Missbrauchsopfer auf eine persönliche Anhörung und Exploration durch externe Sachverständige stützen. Zur Bemessung von Schmerzensgeld sind die Mitglieder der UKA durch ihren beruflichen Hintergrund nicht erkennbar befähigt. Sie wurden zudem von der Bischofskonferenz selbst berufen und sind daher per Definition nicht unabhängig, zumal sie einen Aufwendungsersatz erhalten, dessen Höhe nicht genannt wird.

Ob die Ansprüche der Missbrauchsopfer verjährt sind, muss in jedem Einzelfall geprüft wer-den, insbesondere, ob nicht einzelne Bistümer oder die DBK für alle Bistümer auf die Einrede der Verjährung verzichtet haben. Ausnahmsweise kann die Verjährungseinrede nach Paragraf 242 BGB eine unzulässige Rechtsausübung sein, etwa weil die katholische Kirche die Taten durch Aktensäuberung oder Aktenvernichtung vertuscht und verschleiert hat. Die Rechtskommission des VDD (Verband der Diözesen Deutschlands) geht davon aus, dass sich die Bistümer zur Verjährungsfrage einheitlich verhalten sollten, und prüft noch, ob die Einrede im Zivilprozess erhoben werden soll.

arum hat das Erzbistum Köln die Einrede bisher wohl nur vorsorglich erhoben, um keine prozessualen Fristen zu versäumen.Um nicht noch weitere Schuld auf sich zu laden, sollten die Bistümer ihre Haftung anerkennen und generell auf die Einrede der Verjährung verzichten. Der Höchstbetrag von 50 000 Euro sollte ersatzlos gestrichen werden. Die UKA sollte ein rechtsstaatlich akzeptables Verfahren zur materiellen und immateriellen Entschädigung einführen und Schäden durch Sachverständige feststellen lassen.

Die Opfer sollten persönlich angehört, über ihre Rechte aufgeklärt und durch einen fachlich versierten Anwalt vertreten werden. Erst dann könnte das Vertrauen der Gläubigen in die Kirche zurückkehren und der Wunsch vieler Katholiken abebben, wegen des Verhaltens mancher Bischöfe auszutreten und nicht, weil sie „nicht mehr an Gott glauben“.

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