Loveparade-Veranstalter vor Gericht„Ich übernehme die moralische Verantwortung“

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Schaller

Loveparade-Veranstalter Rainer Schaller

Duisburg – Es gibt einen Satz, den Rainer Schaller so routiniert vorträgt, als hätte er ihn über Jahre auswendig gelernt: „Die Loveparade war keine Naturkatastrophe, sondern Menschen haben Fehler gemacht.“ Auch an diesem Dienstag vor dem Düsseldorfer Congress Centrum, wo seit Dezember der Prozess um das Unglück vom 24. Juli 2010 in Duisburg stattfindet, sagt er diese Worte in die Kameras, bevor er in der zum Gerichtssaal umgebauten Messehalle verschwindet.

Rainer Schaller erscheint elegant im glanzschwarzen Anzug und schwarzem Hemd. Wie schon damals nach der Katastrophe, als Bilder des Fitness-Unternehmers  um die ganze Welt gingen, ist der Kopf kahl, der wohl gestutzte Bart ist siebeneinhalb Jahre nach der Katastrophe wohl etwas grauer geworden. Schaller ist Chef der Lopavent GmbH, die damals die Loveparade in Duisburg veranstaltet hat. Wie der damalige Duisburger Oberbürgermeister Adolf Sauerland sitzt Schaller allerdings nicht auf der Anklagebank, sondern wird nun drei Tage als Zeuge gehört.

Sauerland lehnt Entschuldigung ab

Die zweitägige Vernehmung Sauerlands hatte keine Erkenntnisse gebracht, außer der, dass er sich für die Massenpanik mit 21 Toten und Hunderten Verletzten nicht verantwortlich fühlt. Für Angehörige und Opfer war der emotionslose Auftritt Sauerlands eine Enttäuschung, manche haben sein Verhalten gar als Frechheit empfunden. Eine von der Nebenklage eingeforderte Entschuldigung hatte er ausdrücklich abgelehnt. Einige Nebenkläger können ihre Empörung  bis heute nicht verbergen. „Ich hätte aufstehen und ihm in den Nacken schlagen können“, sagt Gabi Müller, die bei der Massenpanik ihren 21 Jahre alten Sohn Christian verloren hat.

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Bei dem Unglück auf der Loveparade 2010 kamen 21 Menschen ums Leben.

Schaller dürfte die teils vernichtende Berichterstattung über Sauerlands Auftritt gründlich studiert haben. Dasselbe sollte ihm als Medienprofi, wie er sich während der Verhandlung gerne darstellen wird, nicht passieren. Noch vor Beginn des 31. Verhandlungstages schüttelt er, umringt von Kameras, einigen Angehörigen die Hand, auch Gabi Müller ist dabei. 

Der große Auftritt wird verhindert

Anschließend bittet der breitschultrige Hobby-Kraftsportler das Gericht, eine Erklärung verlesen zu dürfen. Er zieht einen gefalteten Zettel aus der Innentasche seines Sakkos. Gerne hätte es Schaller pathetischer inszeniert. Eigentlich wollte er aufstehen und die Nebenkläger anschauen. Doch da Mikrofon und Kameras fest installiert sind, muss er sitzen bleiben und nach vorne schauen.

„Ich möchte den Hinterbliebenen mein herzliches Beileid aussprechen und mich aufrichtig entschuldigen“, sagt er. „Alles Leid, was sie seit der Loveparade in Duisburg empfunden und durchleben mussten, ist auf meiner Veranstaltung passiert.“ Es sei daher selbstverständlich, dass „ich die moralische Verantwortung übernehme“. Er wolle nun dazu beitragen, die Dinge aufzuklären.

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Tausende Menschen drängen sich am 24.07.2010 auf der Loveparade in und vor dem Tunnel in Duisburg.

Diese Hoffnung indes sollte Schaller recht schnell ersticken. Ob er oder seine Firma bei der Planung der Loveparade Fehler gemacht habe, will Richter Mario Plein wissen. Schaller schüttelt den Kopf. Wochenlang habe er mit seinem Team zusammengesessen, Videos analysiert: „Ich habe immer wieder nachgefragt. Was haben wir falsch gemacht? Aber ich habe keine Fehler benannt bekommen“, sagt Schaller. „Wurde denn auch besprochen, ob von jemand anderem Fehler gemacht wurden?“, fragt Plein. Schaller überlegt und spricht von der Polizeikette an der Rampe hinter dem Tunnel.

Nur das Gesicht für die Öffentlichkeit 

Schaller wirkt zwar gut vorbereitet, doch die Fragen des Richters zu den Details der Lopavent-Organisationsstruktur machen ihm zu schaffen. Der Zeuge verfällt in den Sauerland-Modus: Von den wichtigen Entscheidungen habe er nichts gewusst. Er sei zwar der Chef der Firma, nicht aber der Planungsverantwortliche gewesen. Dafür habe er seinen Mann gehabt: Kersten Sattler, den „Head of Organisation“, der sich zusammen mit drei ehemaligen Lopavent-Kollegen und sechs Mitarbeitern der Stadt Duisburg unter anderem wegen fahrlässiger Tötung in 21 Fällen verantworten muss. Bei Sattler seien die  Fäden zusammengelaufen, er habe die Kommunikation mit der Stadt geführt, er habe Personalentscheidungen getroffen und recht frei über das Budget verfügt. 

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Blumen und Kerzen stehen an dem Ort, an dem so viele Menschen starben.

Er selbst, sagt Schaller, sei dagegen nur das Gesicht für die Öffentlichkeit gewesen, der Macher und Mäzen, der sich vor allem darum gekümmert habe, den Medien ein positives Bild der Loveparade zu liefern. Er spricht wiederholt vom Äquivalenzwert, dem Werbewert, den die Loveparade für seine Fitnesskette haben sollte. Nach den Erfahrungen aus Dortmund, wo Schaller das kostspielige Technospektakel 2008 ausgerichtet hatte, sollte in Duisburg gespart werden, räumte er ein. Nicht aber bei der Sicherheit, betont er und fügt an: „Das Schlimmste, was es gibt, ist eine negative Presse.“

Eine Million Euro eingespart

Ob Schallers Sicherheitsanspruch tatsächlich keine finanziellen Limits kannte, ist zumindest fraglich. Immerhin eine Million Euro sollten in Duisburg eingespart werden. Dies geht aus Ermittlungsakten hervor, die dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegen. Zudem soll Schallers Anwalt die Zweifler im Duisburger Rathaus unter Druck gesetzt haben. Der Jurist soll den Lopavent-Planern dezidierte Hinweise gegeben haben, gesetzliche Vorgaben zu umgehen. Dies belegen laut Ermittlungsakten interne Mails.

So soll der Jurist vorgeschlagen haben, bei den Besucherzahlen zu tricksen, um die städtischen Gemüter zu beruhigen: Am besten, man mogele 30.000 Quadratmeter Festareal dazu, und die Kapazität von 400.000 Besuchern sei kein Problem mehr, mailte er den Party-Machern. Eingangsschleusen, Taschenkontrollen an den Tunneleingängen hielt Schallers Anwalt „für Schwachsinn“. Hauptargument: Je mehr Lopavent kontrolliere, desto mehr Verantwortung müsse man übernehmen. Genau das wollte der Veranstalter vermeiden.

Stets spielten die Kosten eine Rolle. Ein fünfter Notausgang wurde wegen teuren Wachpersonals gestrichen. Lange wehrten sich die Planer auch gegen kostspielige Brandschutz- und Fluchtkonzepte. Als die Stadt einen Monat vor der Veranstaltung dennoch darauf bestand, platzte dem Anwalt der Kragen: Solange es keine kreative Lösung gebe, müsse man Druck auf das Rathaus ausüben. Diese Vorgabe könne Lopavent nicht erbringen. Die Ermittler resümieren, dass der ordnungs- und baurechtliche Weg nicht korrekt gewesen sei und „weniger zur Sicherheit der Veranstaltung“ beigetragen habe. Vielmehr habe der Lopavent-Jurist auf einen risikoreicheren Weg gesetzt, um die erforderliche Genehmigung zu erlangen.

Schaller ein Kontrollfreak?

Danach wird Schaller vor Gericht allerdings nicht gefragt. Wie schon bei Sauerland erhöht der Vorsitzende dennoch den Druck auf den Zeugen. Er präsentiert Schaller ein Organigramm vom März 2010 – das Dokument weist nicht Sattler als Hauptverantwortlichen bei der Umsetzung der Loveparade aus, sondern Schaller.  Der gebürtige Bamberger blickt irritiert.  Dann erhebt er Vorwurfe gegen seinen Ex-Mitarbeiter: Kurz nach dem Unglück habe man ihm zugetragen, dass Sattler einen Kollegen beauftragt habe, ein Organigramm zu Schallers Ungunsten zu manipulieren. Es sei nicht unwahrscheinlich, dass es sich bei dem gezeigten Dokument um jene Fälschung handle.

Der Richter bohrt weiter und hält ihm eine Stellungnahme vor, die Sattlers Anwälte im Mai 2013 den Ermittlungsbehörden überreicht hatten. Darin beschreibt der Angeklagte seinen Ex-Chef als Kontrollfreak: Nichts sei  ohne Schallers Zustimmung entschieden worden; alles, bis hin zu  Planungsdetails, sei zum Abnicken über seinen Schreibtisch gewandert. Schaller habe sich stets das letzte Wort vorbehalten. Er habe sogar Popstar Kylie Minogue für die Loveparade verpflichten wollen, was aber an seinen  Budgetvorstellungen gescheitert sei. Schaller weist das alles zurück. Dass er letztlich alles entschieden habe –  „das ist nicht richtig“.

Chronologie nach der Katastrophe

24. Juli 2010: Im einzigen Zu- und Abgang des Loveparade-Geländes kommen viel zu viele Menschen zusammen. Besucher werden erdrückt und niedergetrampelt.

27. Juli 2010: Duisburgs Oberbürgermeister Adolf Sauerland (CDU) nennt Rücktrittsforderungen gegen sich „nachvollziehbar“, er bleibt aber im Amt.

31. Juli 2010: Trauerfeier in Duisburg, Tausende nehmen Abschied von den Opfern.

18. Januar 2011: Die Staatsanwaltschaft Duisburg nimmt Ermittlungen gegen den damaligen Polizei-Einsatzleiter sowie gegen Mitarbeiter der Stadt und des Veranstalters Lopavent auf. Sauerland und Loveparade-Veranstalter Rainer Schaller gehören nicht zu den Beschuldigten.

12. Februar 2012: Die Duisburger stimmen in einem Bürgerbegehren mit großer Mehrheit für die Abwahl des Oberbürgermeisters.

24. Juli 2013: Am Unglücksort wird eine Gedenkstätte eröffnet mit 21 Holzkreuzen und einer Gedenktafel.

10. Februar 2014: Die Staatsanwaltschaft Duisburg erhebt Anklage gegen sechs Mitarbeiter der Stadt und vier Lopavent-Mitarbeiter wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung.

5. April 2016: Das Duisburger Landgericht verkündet, dass es keinen Strafprozess geben soll, weil wesentliche Beweismittel nicht verwertbar seien. Das Gutachten leide „an gravierenden inhaltlichen und methodischen Mängeln“. Staatsanwaltschaft und mehrere Nebenkläger legen dagegen Beschwerde ein.

24. April 2017: Das Oberlandesgericht Düsseldorf gibt bekannt, dass es die Anklage nun doch zulässt. Die Bedenken der 5. Strafkammer werden zurückgewiesen.

8. Dezember 2017: Die Hauptverhandlung im Loveparade-Strafverfahren beginnt. Aus Platzgründen findet die Verhandlung in einem Saal des Kongresszentrums Düsseldorf statt, in den 500 Menschen passen. Bis Ende 2018 hat das Gericht bereits 111 Verhandlungstermine festgelegt.

27. Juli 2020: Liegt mit Ablauf dieses Tages kein Urteil in erster Instanz vor, gelten die vorgeworfenen Taten als verjährt. (xl)

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