Die OB-Wahl in Mönchengladbach weckt überregionales Interesse. Mittendrin: ein Satiriker, ein Reality-Star und der Tokio-Hotel-Frontman.
Mönchengladbachs kuriose WahlWenn ein Satiriker und ein Reality-Star Bürgermeister werden wollen

Felix Heinrichs (SPD, rechts im Bild), der aktuelle Oberbürgermeister Mönchengladbachs, wurde ebenfalls überrascht von den Kandidaturen von Satiriker Martin Sonneborn (links) und Reality-Darsteller Jannik Kontalis (Mitte). .
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Bill Kaulitz als First Lady von Mönchengladbach? Kaum vorstellbar, aber nicht unmöglich.
Denn Jannik Kontalis, bekannt aus RTL-Shows wie „Make Love Fake Love” und „Prominent getrennt“, tritt in der 276.000-Einwohner-Stadt am Niederrhein als Oberbürgermeisterkandidat an. Und nachdem es Gerüchte darüber gab, dass der Reality-Star mit dem Tokio-Hotel-Sänger anbandelt, griff der das kürzlich lachend in seinem Podcast „Kaulitz Hills“ auf und sagte: „Es ist richtig, ich werde First Lady von Mönchengladbach.“
„Ich bin schon verlobt, deswegen kann ich das ausschließen“
Nicht aber, wenn es nach Felix Heinrichs geht. Der 36-Jährige ist aktuell Oberbürgermeister der Stadt. Als der SPD-Mann vor fünf Jahren das Amt antrat, war er der jüngste OB Nordrhein-Westfalens, und er will weitermachen. Auf die Frage, ob er es für unwahrscheinlich halte, dass Kaulitz „First Lady“ von Mönchengladbach werde, antwortet er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND): „Ich bin schon verlobt, deswegen kann ich das zumindest ausschließen.“
Mit sieben weiteren Kandidaten stellen sich Heinrichs und Kontalis am 14. September zur Wahl. Und der Reality-Star ist nicht der einzige überraschende Amtsanwärter. Denn neben Kandidaten aus der CDU, FDP und AfD, von den Grünen und den Linken sowie einem parteilosen Einzelbewerber aus der Stadt kandidiert auch Martin Sonneborn, Satiriker und Abgeordneter des EU-Parlaments für „Die Partei“.
Muss man das ernst nehmen?
Deswegen blickt plötzlich nicht nur Mönchengladbach auf Mönchengladbach, sondern Menschen aus ganz Deutschland: Muss man das ernst nehmen? Bedeutet das Aufschwung oder Verfall für Kommunalwahlen? Ein Besuch in Mönchengladbach und Gespräche mit Beteiligten sollen Licht ins Dunkel bringen.
Bei einem Spaziergang zeigt sich zunächst das übliche Bild einer Stadt im Wahlkampf. Kein Laternenmast bleibt verschont, überall hängen Plakate. Da sind altbekannte Forderungen, aber eben auch Quatsch-Plakate von Sonneborns „Die Partei”. Wie jenes, das mitten in der Altstadt mit der Aufschrift „Gegen Plakate in der Altstadt“ hängt, oder Forderungen wie „Felix, mach Kiosk auf!“. Zum Verständnis: Seit März hat das Ordnungsamt in der Stadt Kiosken verboten, sonntags zu öffnen.

Satiriker Martin Sonneborn ("Die Partei") kandidiert für das Amt des Oberbürgermeisters von Mönchengladbach.
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Dass das kein ernsthaftes Anliegen Sonneborns ist, so wie die Belange der Stadt generell, wird in einem Telefonat deutlich. Ein Treffen in Mönchengladbach war nicht möglich, weil er eigenen Angaben zufolge nicht in der Nähe war.
Sonneborns letzter Besuch in der Stadt, für die er irrtümlich als Oberbürgermeister kandidiert („Ich habe betrunken zugesagt“), war im Januar, für einen Auftritt mit seiner Show. Er blieb eine Nacht. „Das war ein Gästehaus eines Gewerkschaftsverbandes und die hatten vergessen, dass da am Wochenende jemand übernachtet und hatten die Heizung und das Warmwasser abgestellt“, sagt er dem RND. „Da habe ich angefangen, Gladbach zu hassen. Das ist wahrscheinlich auch die Antriebsfeder im Unterbewusstsein: Ich werde es dieser Stadt heimzahlen, wenn ich Oberbürgermeister werde.“
Da habe ich angefangen, Gladbach zu hassen. Das ist wahrscheinlich auch die Antriebsfeder im Unterbewusstsein: Ich werde es dieser Stadt heimzahlen, wenn ich Oberbürgermeister werde.
„Felix“, wie Sonneborn und Kontalis den aktuellen OB nennen, obwohl sie sich laut Heinrich selbst nie begegnet sind, macht im Gegensatz zu den beiden Tag für Tag Wahlkampf in seiner Heimat. „Eigentlich gehört eine persönliche Kontaktaufnahme zum Einmaleins dazu, wenn man bei einer Kommunalwahl das Vertrauen der Menschen gewinnen möchte“, sagt er bei einem Treffen in der Geschäftsstelle seiner Partei im Stadtteil Rheydt.
Dann führt er aus: „Spannend ist, dass ich gerne von Mitbewerbern – sagen wir es mal neutral – persönlich erwähnt werde. Man könnte auch sagen: angegriffen werde.“
Damit spielt der 36-Jährige nicht nur auf die „Die Partei”-Plakate an – sondern auch auf Kontalis. Eben dieser geht Heinrichs auch in einem Telefonat mit dem RND an, indem er ihn „Foto-Felix“ nennt, weil er seiner Meinung nach nur rumbummele und Fotos mache. Große Worte für einen, auf dessen Kandidatur in der Stadt eigentlich nur Plakate mit Fotos seines Konterfeis hinweisen. Denn Kontalis zeigte sich selbst kaum in der Stadt, sagte auch eine geplante Party vor der Wahl ab.
In einem Telefonat mit dieser Redaktion erklärt Kontalis, dass er einen klassischen Vor-Ort-Wahlkampf nicht für nötig hält. „Ich bin von Anfang an anders“, so der Influencer. „Ich will gerade auch die junge Zielgruppe über Social Media erreichen und habe meine Ankerpunkte einfach anders gesetzt, weil alles, was die anderen Kandidaten machen, total veraltet und langweilig ist.“
„Wahlkampfterrain“ Social Media
Auf seinem „Wahlkampfterrain“ Social Media finden sich währenddessen statt Positionen für die Stadt zurzeit vor allem „Prominent getrennt”-Content oder klassische Influencer-Werbung. Über die Vereinbarkeit des Influencer-Daseins und der Teilnahme an Realityshows mit einem potenziellen Oberbürgermeisterjob macht Kontalis sich keine Sorgen. „Ich kann mir schon vorstellen, dass man beides machen kann“, sagt er und verweist auf ruhigere Zeiten im Amt.
Er sehe, dass das ein „heiß diskutiertes Thema“ sei, verstehe es aber nicht: „Seht ihr nicht, dass viele Bürgermeister erst in der Politik waren und jetzt auf einmal Influencer sind? Die nutzen ja auch die sozialen Medien.“ Dabei verweist er auch auf Konkurrent Heinrichs, der dort ebenfalls sehr aktiv sei. Der wiederum würde sich sicherlich nicht als Influencer bezeichnen, macht auf Instagram und Co. im Gegensatz zu Kontalis auch keine bezahlte Werbung, sondern teilt dort politische Inhalte.

Reality-Star und Influencer Jannik Kontalis kandidiert überraschend für das Amt des Oberbürgermeisters von Mönchengladbach.
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Kontalis hat als Influencer einen Vorsprung. Mehr als 300.000 Follower stehen rund 11.000 von Heinrichs gegenüber.
Der aktuelle OB nimmt das gelassen. „Man kann nicht sagen, wer die meisten Follower hat, hat die meisten Stimmen“, meint er. „Vor allem kommt es auch darauf an, wie viele Menschen davon aus Mönchengladbach kommen und wie viele einem folgen, weil man im Fernsehen auftritt, aber einen deshalb nicht wählen würden.“
Ich glaube, dass es zumindest dazu beiträgt, dass viele Leute, die vielleicht sonst nicht wissen, dass Wahl ist, es jetzt wissen.
Der amtierende Bürgermeister sieht aber auch einen positiven Effekt der überraschenden Kandidaturen: „Ich glaube, dass es zumindest dazu beiträgt, dass viele Leute, die vielleicht sonst nicht wissen, dass Wahl ist, es jetzt wissen.“ Das überregionale Interesse am skurrilen Kampf ums Gladbacher Rathaus könnte womöglich für eine höhere Wahlbeteiligung sorgen – und das wäre gut, haben Kommunalwahlen doch traditionell eine eher schwache Wahlbeteiligung.
Fragt man ein paar Menschen auf der Straße in Mönchengladbach, wissen die wiederum teilweise nichts von Kontalis‘ oder Sonneborns Kandidatur oder gar deren Existenz. Dazu gehört etwa die 89-jährige Renate Vieten, nicht unbedingt Zielgruppe von RTL-Realityshows. Heinrichs hingegen kennt sie und findet: „Schlecht hat er es nicht getan, der war mir ganz angenehm.“
Braucht es als Bürgermeister Politik-Erfahrung?
Andere Generation, anderer Blickwinkel? Die 19-jährige Isabella Ayubi ist kürzlich sogar Jusos-Mitglied geworden, nachdem sie längere Gespräche mit Heinrichs und einer anderen SPD-Bürgermeisterin geführt habe, erzählt sie im Minto, einem Einkaufszentrum in der Innenstadt. Von Kontalis‘ Kandidatur wusste sie trotzdem nichts. „Aber ich sehe das ein bisschen kritisch, wenn eine Person im Reality-TV war“, meint sie, als sie davon erfährt. „Bildung ist schon wichtig.“
Letzteres würden vermutlich die wenigsten bestreiten, auch wenn die Teilnahme an Reality-Shows das nicht zwingend ausschließt. Aber wie wichtig ist es, politische Vorerfahrung für ein Oberbürgermeisteramt zu haben, und welche Rolle spielt der „Promibonus“?
„Bei Bürgermeisterwahlen ist es generell erstmal nicht überraschend, dass es auch externe Kandidaten gibt”, sagt Stefan Marschall, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Düsseldorf mit dem Schwerpunkt „Politisches System Deutschlands“, dem RND. Das liege auch daran, dass es in einigen Kommunen schwierig sei, Bewerber zu finden.
„Das Besondere ist hier natürlich, dass es im Rahmen einer gewissen Spaßaktion stattfindet“, meint Marschall. „Es gibt mit der Partei ‚die Partei‘ einen Akteur, der bewusst weniger Politik gestaltend unterwegs ist, sondern die Politik ironisiert und damit auch dazu beiträgt, dass das Ernsthafte in der Politik infrage gestellt wird.“ Das sei problematisch, da es bei politischen Entscheidungen auch um ernste Fragen gehe.
Sonneborn verteidigt destruktive Arbeit
Sonneborn sieht das anders, klar. „Wenn ich mir ansehe, wohin uns konstruktive Politik der Unionsparteien und der SPD und der Grünen gebracht hat, dann stehe ich zur Destruktivität”, sagt der Satirepolitiker, der auch einen Mehrwert darin sieht, blickt er auf die Arbeit seiner Partei im Europaparlament: „Es gibt Leute, die sich darüber freuen, dass wir Transparenz herstellen über die Dinge, die in der EU passieren.“
Die Europawahl sieht Politologe Marschall übrigens genau wie Kommunalwahlen als „Nebenwahlen“: „Menschen halten diese Wahl für nicht so entscheidend wie etwa Bundestagswahlen. In solchen Nebenwahlen gibt es eher mal die Neigung, dass die Menschen ein bisschen ‚out of the box‘ wählen.“ Also auch mal einen Sonneborn oder Kontalis zum Oberbürgermeister Mönchengladbachs?
Ein Bürgermeister ist auch Verwaltungschef
Das hält der Experte für unwahrscheinlich: „Ich kann mir vorstellen, dass die schon eine Reihe von Stimmen bekommen werden, aber ich glaube nicht, dass es am Ende dazu führen wird, dass die Bürgermeisterposition an einen prominenten Externen vergeben wird.“ Er gibt zu bedenken, dass man als Oberbürgermeister auch Verwaltungschef sei. „Auf dem Platz“ wäre das eine Riesenherausforderung für jemanden ohne Polit-Erfahrung. Und: „Wenn man keine Ratsbündnisse hinter sich hat, ist man als Bürgermeister ein zahnloser Tiger.“ Da helfe auch ein Promibonus nicht.
Das dürfte Sonneborn nicht stören. Der befindet auf die Frage danach, wer geeigneter für das Amt sei – ein Satiriker, der nie in der Stadt sei, oder ein Reality-Star, erfreut: „Wir sind auf jeden Fall die besten Kandidaten. Und falls ich Oberbürgermeister werden sollte, finden wir vielleicht eine Position für ihn.” Also für Kontalis.
Das wäre dann wirklich ein Kuriositätenkabinett sondergleichen, ist aber wohl eher unwahrscheinlich. Und damit auch eine „First Lady” namens Bill Kaulitz.