Der deutsche Sommer 1975 hat einige musikalische Klassiker hervorgebracht. Wir erinnern mit elf der größten Sommerhits des Jahres daran.
Sommer vor 50 JahrenErinnern Sie sich an diese 11 Sommerhits aus dem Jahr 1975?

The Sweet räumten auch noch 1975 groß in den deutschen Charts ab. (Archivbild)
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Der Sommer 1975 war ein echtes Auf und ab. Wer damals auf dauerhaftes Badewetter hoffte, musste geduldig sein – und flexibel. Zwischen sonnigen Hochdruckphasen und plötzlichen Gewittern pendelte das Wetter oft im Tagesrhythmus. Mal zeigte das Thermometer über 30 Grad, mal prasselte Regen auf Campingplätze und Freibäder. Besonders im Juni und Juli dominierten schwüle Luft, Starkregen und Blitzgewitter. Erst im August stellte sich dann endlich etwas mehr Beständigkeit ein – und der Sommer drehte noch einmal richtig auf.
Während man in den Städten den Schatten suchte und auf dem Land über Hagelschäden fluchte, wurde Deutschland musikalisch internationaler denn je: Von Glam-Rock über Discosounds bis zu Pop-Ohrwürmern aus Schweden und den Niederlanden – der Sommer 1975 klang nach Tanzfläche, Autoradio und Kassettenrekorder. Es war die Zeit der Schlaghosen, der Softdrinks in Glasflaschen, der Bravo-Starschnitte und der ersten Farbfernseher auf dem Balkon.
Und an den langen, warmen Abenden dieses Sommers liefen genau diese 11 Songs rauf und runter – im Radio, im Schwimmbad, bei jeder Gartenparty.
The Sweet – „Fox on the Run“
Glam-Rock auf dem Zenit: Mit „Fox on the Run“ landeten The Sweet, damals noch mit dem leider bereits verstorbenen Brian Connolly am Mikrofon, im Jahr 1975 einen ihrer größten Charterfolge. Der Song war einer der ersten, den die Band selbst produzierte. In Deutschland hielt sich der schillernd-scheppernde Ohrwurm sechs Wochen lang auf Platz eins. Es war ihre achte und letzte Spitzenposition hierzulande.
Noch heute gilt „Fox on the Run“ als Aushängeschild des britischen Glam-Rock. Eine deutsche Rockband namens The Hunters hörte ganz genau hin und nahm eine kuriose deutschsprachige Single mit dem Titel „Fuchs geh' voran“ auf. Dass diese Combo später als Scorpions mit Titeln wie „Wind of Change“ Weltkarriere machen würde, konnte ja keiner wissen.
Bimbo Jet – „El Bimbo“
Ein Sommerklassiker mit hypnotischem Groove: „El Bimbo“ eroberte im Jahr 1975 die Tanzflächen in ganz Europa. Die französische Formation Bimbo Jet, ein klassisches Studioprojekt und One-Hit-Wonder, verband darin Latin-Elemente mit Discosound – ein damals innovativer Ansatz.
Der Hit, der sowohl instrumental als auch mit spanischem Gesang veröffentlicht wurde, erreichte in Frankreich Platz eins der Charts und war auch in Spanien, Italien und Deutschland allgegenwärtig. In Griechenland wurde der Song sogar zur Titelmelodie einer Polizeiserie. Er gilt als Vorläufer des Euro-Disco-Trends. Und er wurde damals unzählige Male gecovert, unter anderem auf Deutsch von Marion Rung, der Schlagerqueen Nummer eins aus Finnland. Sie trat damit auch in der „ZDF-Hitparade“ auf.
ABBA – „SOS“
Dramatisch, durchkomponiert und brillant produziert: Mit „SOS“ gelang ABBA der endgültige internationale Durchbruch nach „Waterloo“. Bis dahin hatte sich insbesondere der englischsprachige Markt im Gegensatz zu Deutschland als widerborstig gegenüber weiteren Veröffentlichungen wie „Honey, Honey“ oder „I Do, I Do, I Do, I Do, I Do“ entpuppt. „SOS“ zeigt mehr als alle anderen zuvor die raffinierte Songstruktur, die später viele ABBA-Hits auszeichnete: weniger Schlager, melancholische Strophen und ein triumphaler Refrain.
Agnetha Fältskogs Gesang transportiert die Verzweiflung des Textes auf berührende Weise. Der Song thronte allein in Deutschland sieben Wochen lang auf Platz eins. Für den schwedischen Markt entstand eine Version in Landessprache, die kurioserweise als Agnetha-Solosingle veröffentlicht wurde.
Noch kurioser wurde es 1988: Die österreichische Band Edelweiss veröffentlichte den Eurodance-Hit „Bring Me Edelweiss“ – samt unverhohlenem Refrain-Sample aus „SOS“. Das Lied war ein absurder Sample-Mix aus ABBA, Yodel-Elementen und Clubbeat – ohne Genehmigung, aber mit großem Charterfolg.
Shirley & Company – „Shame, Shame, Shame“
Die bereits mit R&B-Titeln erfolgreiche Shirley Goodman (1936–2006) und Kollegen landeten 1975 mit „Shame, Shame, Shame“ einen Disco-Welthit. Er gilt als einer der ersten großen Hits des Genres und war wegweisend für dessen weitere Entwicklung. Für die LP wählte man eine Comic-Zeichnung von Shirley und dem kurz zuvor in Ungnade gefallenen Präsidenten Richard Nixon aus.
Der Song zeichnet sich durch seinen mitreißenden Groove und den stimmgewaltigen Call-and-Response-Gesang aus. Die männliche Stimme stammt von Jason Alvarez, der später nichts mehr von Disco wissen wollte und gemäß seines Geburtsnamens Jesús zur christlichen Musik wechselte. Goodmans weitere Disco-Versuche floppten, und so blieb die Gruppe ein One-Hit-Wonder.
Mud – „Oh Boy“
Nicht nur The Sweet hatten einen Glam-Sommerhit im Jahr 1975: Diese Coverversion des alten Buddy-Holly-Klassikers wurde für Mud zu einem weiteren Hit. Die britische Glam-Rock-Band brachte jugendliche Energie und einen Hauch von Rock’n’Roll-Nostalgie in die Charts. Nach Erfolgen wie „Tiger Feet“ zeigte Mud mit „Oh Boy“, wie man Retro-Sound massentauglich inszeniert.
Der Song war besonders in Deutschland und Großbritannien beliebt. In ihrer Heimat war es auch der letzte Nummer-eins-Hit für die Teenie-Idole. Ein witziges Detail bei manchen Auftritten war, dass sich Bandmitglied Dave Mount († 2006) eine struppige Perücke aufsetzte und zum Playback der gesprochenen Frauenstimme in der Mitte des Songs sang.
I Santo California – „Tornerò“
Herzschmerz auf Italienisch: Mit „Tornerò“ landete I Santo California einen der größten Italo-Hits der 70er Jahre. Die gefühlvolle Ballade mit Streichern und falsettartigem Gesang war in Italien ein Nummer-1-Hit und erreichte auch in Deutschland die oberen Chartregionen. Für einen Auftritt in der beliebten TV-Show Disco durfte Ramona Wulf, später Mitglied bei Silver Convention („Fly, Robin, Fly“) einen pathetischen Zwischenpart sprechen (siehe unten).
Das Lied stand exemplarisch für den romantischen Popsound des Südens, der in den 1980er Jahren eine wahre Italo-Pop-Welle auslösen sollte. Die Band hatte in Italien und der Schweiz noch einige weitere Hits, bevor ihr Erfolg ab 1977 nachließ. „Tornerò“ wurde dennoch zu einem Evergreen im Sommerurlaub und bei Schlagerparaden. Heute ist vor allem die deutschsprachige Version von Anna-Maria Zimmermann bekannt.In Frankreich sang keine Geringere als Mireille Mathieu eine dramatische Version davon.
Van McCoy – „The Hustle“
Ein fast instrumentaler Track mit einer prägnanten Tanzaufforderung: „Do the Hustle!“ – dieser Ausruf machte Van McCoys Hit im Jahr 1975 weltweit unverwechselbar. Das Stück wurde nicht nur ein musikalischer Welterfolg, sondern löste auch einen gleichnamigen Tanztrend in den USA und Europa aus. Zudem war es einer der ersten Disco-Megahits.
Van McCoy, der zuvor vor allem als Songschreiber und Produzent im Hintergrund aktiv gewesen war, wurde mit diesem Song über Nacht zum Star. Bis zu seinem überraschenden Tod im Jahr 1979 standen Superstars wie Aretha Franklin, Gladys Knight & the Pips oder Melba Moore bei ihm Schlange. Funk-Bass, Streicher, Flöte und Disco-Groove verschmelzen in diesem Song zu einem unwiderstehlichen Cocktail. In Deutschland lief der Song im Sommer 1975 in jeder Diskothek.
Howard Carpendale – „Deine Spuren im Sand“
Was viele nicht wissen: Die Grundlage dieses Schlagerklassikers stammt ursprünglich aus Großbritannien. Neil Lancaster veröffentlichte den Song bereits 1974 unter dem Titel „Lu Le La“ – allerdings völlig erfolglos. Erst Howard Carpendales deutsche Version machte daraus im Jahr 1975 einen Evergreen. Im Frühsommer gewann er damit gleich zwei Ausgaben der „ZDF-Hitparade“.
Mit einer Extraportion Schmalz und dem passenden Sommermotiv gelang ihm ein großer Wurf, der monatelang die Schlagerparaden dominierte. Bis heute gehört der Titel zu den bekanntesten Songs seiner Karriere und ist fester Bestandteil jedes seiner Konzerte. Er könnte ihn auch mal wieder bei Silbereisen & Co. auspacken, statt immer nur „Hello Again“ anzustimmen.
Bay City Rollers – „Bye Bye Baby“
Mit karierten Hosen, Föhnwelle und hymnischen Refrains eroberten die Bay City Rollers im Jahr 1975 die Herzen europäischer Teenies. Ihre Version des 1964 von den Four Seasons veröffentlichten Songs „Bye Bye Baby“ wurde in Großbritannien ein Nummer-1-Hit und bedeutete auch in Deutschland den großen Durchbruch der Band in den Charts.
Mit diesem Song wurde die Band zu einer Ikone des Bubblegum-Pop. In Bravo-Heften, auf Postern und bei Auftritten: Der Song begleitete eine Generation. Die Band tritt bis heute auf, allerdings ist von der Originalbesetzung nur noch Stuart Wood übrig. Der ehemalige Leadsänger Leslie McKeown starb 2021.
Alain Barrière & Noëlle Cordier – „Tu t’en vas“
Ein Duett, das mit großer Emotion beeindruckt: „Tu t’en vas“ verband französische Chansontradition mit poppiger Produktion. Alain Barrière, einer der ganz großen Chansonniers der 70er Jahre, und seine leider immer unter Wert verkaufte Kollegin Noëlle Cordier harmonierten perfekt, ihre Stimmen schwangen zwischen Abschiedsschmerz und Pathos. An der Côte d’Azur ebenso wie am Kölner Baggersee dürfte es dabei nicht nur beim Kuscheln geblieben sein.
Kurios ist, dass der Song, der 1975 als echter Sommerhit durch Frankreich, Belgien und Deutschland wehte, im Text das Bild vom drohenden Winter, von Kälte, Stille und Dunkelheit dominieren lässt. In Deutschland lief neben dem Original auch die noch kitschigere Coverversion „Du gehst fort“ von Adam & Eve – das Pathos war kaum zu übertreffen, der Sommer wich einer inneren Eiszeit.
George Baker Selection – „Paloma Blanca“
Zum Abschluss unseres bunten Musikreigens darf dieses Lied nicht fehlen: „Paloma Blanca“ war nicht nur der größte Sommerhit des Jahres 1975 in Deutschland, sondern auch darüber hinaus unschlagbar – ganze 13 Wochen lang hielt sich der Song von Juni bis September ununterbrochen auf Platz 1 der Charts. Die niederländische George Baker Selection traf mit der leichten Melodie und dem heiteren Text über Freiheit und Unbeschwertheit genau den Nerv der Zeit.
Selbst in den USA schaffte es der Song in die Billboard-Charts – ein beachtlicher Erfolg für einen Pop-Export aus Kontinentaleuropa. In Deutschland war neben dem Original auch eine deutschsprachige Version von Nina & Mike erfolgreich, mit der sie zweimal die „ZDF-Hitparade“ gewinnen konnten. In den 90ern wurde das Lied dann von den Ö La Paloma Boys zur gröligen Ballermann-Parodie verwurstet – am sonnigen Glanz des Originals hat das bis heute nichts geändert. Baker tritt bis heute in den Niederlanden auf – natürlich nie ohne seinen Klassiker.