Sexarbeiterin im Interview über Hygienekonzept„Natürlich ist Sex mit Mundschutz doof“

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Eine Prostituierte wartet auf ihrem Zimmer in einem Bordell auf Kundschaft (Symbolbild).

  • Sexarbeit ist in der Corona-Pandemie verboten, jetzt hat ein Berufsverband mit Gesundeitsämtern ein Hygienekonzept erarbeitet.
  • Bezahlter Sex soll nur mit Mundschutz und unter Einhaltung zahlreicher Hygienemaßnahmen möglich sein – Personalien würden hinterlassen.
  • Unter strengen Hygieneregeln würden Prostituierte demnach wieder an die Arbeit gehen können.
  • Vorstandsmitglied des Berufsverbands Johanna Weber berichtet im Interview über die Situation der Sexarbeit in Deutschland und die Hoffnungen, die auf dem BeSD-Konzept ruhen.

Frau Weber, der Berufsverband für erotische und sexuelle Dienstleistungen hat ein Hygienekonzept für Sexarbeitende erarbeitet. Wie ist die Situation von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern nach jetzt mehr als zwei Monaten Prostitutionsverbot in Deutschland?

Die Situation ist zweischneidig. Da sind auf der einen Seite erstmal diejenigen – aktuell etwa 85 Prozent – der Sexarbeiterinnen und Sexarbeiter, die in Deutschland ganz normal gemeldet sind und eine Steuernummer haben, die werden als Selbstständige gesehen. Da sind wir also in einem Topf mit anderen Soloselbstständigen wie den freien Künstlern und den freien Journalisten. Es geht uns genauso gut oder schlecht wie denen – die Soforthilfen sind nur für die Betriebskosten gedacht. Und genau wie bei den anderen Genannten gibt es bei uns viele, die mit dem Geld gerade so über den Monat kommen, ohne groß Rücklagen bilden zu können. Gut ist bei alldem, sehr gut sogar, dass wir als ganz normale Selbstständige angesehen werden. Unser Beruf geht damit gerade einen weiteren großen Schritt in die Normalität.

Käme es infrage, vorübergehend in einen anderen Job zu wechseln?

Das kann man theoretisch machen, da wären wir uns auch nicht zu schade. Aber alle Sexarbeitenden denken und hoffen auch: Bestimmt kann ich nächste Woche wieder arbeiten, da fange ich doch nicht in Festanstellung was Neues an. Wichtig für die Planbarkeit wäre eine zeitliche Perspektive, wann wir unsere Tätigkeit wieder aufnehmen können.

Es gibt noch die andere Seite: die Sexarbeiter, die an allen staatlichen Töpfen vorbeifallen. Viele in der Sexarbeit, ich schätze, derzeit sind es vielleicht 15 Prozent, kommen gerade so durch den Tag mit ihren Einkünften. Das sind die Leute ohne festen Wohnsitz, die durch Deutschland gereist sind und die in den Bordellen wohnen oder auf den Straßenstrichen arbeiten. Die haben keine Steuernummer, weil sie nie so viel verdient haben, dass sie wirklich an die Steuergrenze gekommen wären. Für diese Menschen gibt es gar keine staatliche Unterstützung. Für die ist das Prostitutionsverbot seit zwei Monaten eine richtige Katastrophe.

Und was tun diese Sexarbeitenden jetzt?

Viele der osteuropäischen Frauen sind nach Hause gefahren. Andere stehen trotzdem auf dem Straßenstrich. Sie geben weiterhin ihre Anzeigen im Internet auf und besuchen trotzdem Leute zu Hause. Das geht natürlich überhaupt nicht mit der Corona-Pandemie zusammen. Aber von irgendetwas müssen sie ja leben.

Womit diese Menschen in der Illegalität wären.

Total. Und sie können sich auch nirgends hinwenden, denn die Beratungsstellen sind ja auch oft im Homeoffice.

Ihr Verband hat diesen Leuten geholfen.

Wir haben einen Nothilfefonds eingerichtet. Wir haben schon sehr viele Spenden bekommen, aber der Fonds wird auch sehr stark nachgefragt und der Topf geht jetzt langsam zur Neige. Wir bräuchten schon noch ein paar Finanzspritzen. (lacht)

Wie ist die Situation der Bordelle?

Die sind geschlossen. Seit Monaten. Und für uns Sexarbeiter ist es total wichtig, dass wir demnächst in irgendeiner Weise dort arbeiten können, und wenn auch nur mit einem Zehntel der Kundschaft. Wir haben alle nichts davon, wenn demnächst alle Bordelle pleite sind. Das sind unsere Arbeitsplätze. Wir wollen auch nicht woanders arbeiten, wir brauchen die.

Sie haben Ihr neues Hygienekonzept für die Sexarbeitenden erstellt, die zu Hause oder in Hotels oder auf der Straße arbeiten, nicht aber für die Bordelle.

Die Betreiberverbände der Bordelle haben selbst schon Konzepte erstellt. Heute kommt ganz frisch noch ein Konzept für Laufhäuser dazu, das wir auf unsere Website stellen werden. Ein Laufhaus ist so ein großes Haus, wo jede Frau ihr eigenes Zimmer hat, da sind die Türen immer offen. Die Männer können dort in jedes Zimmer gucken und sich die Dame raussuchen, die ihnen zusagt. Das ist – anders in einem Bordell – so ein Stöbern: „Ich schau mal, wer gerade da ist.“ Und von den Einlassregelungen her ist das so in etwa wie im Baumarkt. (lacht)

Das von Ihnen erstellte Konzept sieht strenge Hygienemaßnahmen vor, Sex mit Mundschutz, Sexarbeit auf Distanz. Das dürfte auf Kunden eher abtörnend wirken.

Ja. Natürlich ist Sex mit Mundschutz total doof, klar. Aber es geht. Es geht unserer Branche am Anfang ja auch nur darum, unsere Miete zusammenzukriegen. Und wenn jetzt nur 20 Prozent unserer Kunden kommen, das würde erst mal reichen. Früher hätte kein Kunde so etwas mitgemacht. Aber jetzt nach zwei Monaten mit Ostereiersuchen unterm Sofa, Lagerkoller mit Familie, da macht man ja alles. Da geht man mit Mundschutz einkaufen und ins Restaurant – unglaublich. Und dann geht man auch mit dem Mundschutz in den Puff. Die angedachte Festhaltung der Kundenpersonalien für vier Wochen – ähnlich wie in Restaurants – dürfte viele abschrecken.

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Die meisten, die Sexarbeit regelmäßig in Anspruch nehmen, haben ein sogenanntes Ficktelefon, über das sie erreichbar sind. Das ist oft ein Prepaid-Handy, das man für solche Zwecke hat. Fast alle haben eine spezielle Mailadresse – auch darüber sind sie erreichbar. Es geht ja um die Kontaktverfolgung, darum, dass wir diese Leute informieren. Auf stillem Wege. Umgekehrt gilt auch für mich: Ich muss ein gutes Gefühl bei der Person haben, die sich mit mir verabreden will. Wenn ich das Gefühl habe, dem ist das alles scheißegal, wird nichts aus dem Termin.

Wie würde man eines Kunden Herr, der kommt und plötzlich von Mundschutz und Hygienekonzept gar nichts mehr hielte.

Der ruft ja vorher an. Und da weiß man schon nach zwei Sätzen, ob man mit der Person etwas anfangen kann oder nicht. Den Idioten per se gibt es nicht. Die Kunden sind wie der Durchschnitt, der auf der Straße rumläuft. Die meisten sind total nett. Und die werden auch nicht plötzlich komisch, nur weil sie bei uns sind. Das Bild von der Prostitution, das im „Tatort“ gemalt wird, entspricht leider überhaupt nicht der Realität. Oft benehmen sich die Leute bei uns besser als zu Hause, ziehen sich beispielsweise eine frische Unterhose an. (lacht) Bei uns werden sie sonst geschimpft.

Wie sehen Sie die Chancen Ihres Konzepts?

Das ist ja nur ein Vorschlag. Die Regierung lässt sich ja nicht gern was vorschreiben. Aber mit unserem Papier können sie sich jetzt mit ihren Virologen hinsetzen. Wir haben hier einen Weg aufgezeigt.

Haben Sie schon erste Rückmeldungen bekommen?

Wir haben es an die Landespolitiker, Ministerpräsidenten und –präsidentinnen, die Zuständigen für Gesundheit und für die Corona-Pläne geschickt. Dahin, wo jeder Friseurzusammenschluss es auch schicken würde. Rückmeldung gab es noch nicht, das dauert. Wir wollten damit vor allem sagen: Bei den nächsten großen Öffnungen wollen wir im Gespräch sein. Wir wollen nicht vergessen werden.

Wie ist die Nachfrage in Deutschland nach Sexarbeit nach zweieinhalb Monaten Bordellschließung?

Die wird jetzt stärker nach dem ganzen Lockdown. Das höre ich von Kolleginnen, und das merke ich auch bei mir selbst. Es rufen vermehrt Leute an und sagen „Hast du heute Zeit?“ Ich denke dann, haben die das nicht mitgekriegt, dass das immer noch verboten ist. Man weiß um erste Lockerungen für Restaurants oder im Tourismus und vermutet wahrscheinlich, das würde sich auch auf andere Bereiche erstrecken. Ich will denen nicht bösen Willen vorwerfen. Die wissen das wirklich nicht.

Allgemeine Lockerungen haben zu ersten Negativresultaten geführt: Die Gaststätte in Leer hat an einem Tag 18 Infektionen hervorgebracht, ein Gottesdienst in Frankfurt sogar mehr als 100 – das zeigt, dass mit Corona immer noch nicht zu spaßen ist.

Wobei ich auch gelesen habe, dass es sich in Leer um eine Privatparty gehandelt hat, wo sich alle geknutscht und umarmt haben. Und in der Kirche – da waren viele Menschen auf einem Haufen. Bei uns ist nach unserem Hygienekonzept immer nur ein Kunde bei uns. Wir machen keine Gruppensexveranstaltungen. Wenn ich alles richtig verstanden habe, wäre das im Sinne der Virologie – im Verhältnis zu den Vorgängen in Leer und Frankfurt – am wenigsten bedenklich.

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