Streit der WocheMuss das Weihnachtsfest dieses Jahr ausfallen?

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Weihnachtsbombe Streit der Woche JANITZKI

  • Die strengen Corona-Regeln werden uns noch bis ins kommende Jahr begleiten.
  • Und doch soll es für den Weihnachtsfrieden zum Fest zahlreiche Ausnahmen geben.
  • Ist das nicht übertrieben? Und am Ende riskant?

Köln – Weihnachten ist – als Motivationsschub für den Lockdown – zum großen Ziel erkoren worden. Politikerinnen und Politiker riefen es in den vergangenen Wochen fast stündlich aus: Wenn wir uns alle an die Regeln halten, können wir zusammen Weihnachten feiern! Weihnachten werden die Regeln gelockert! Zehn Personen aus zehn Haushalten! Weil es das Fest der Familie ist!

Ich erlebe die Weihnachtsfokussierung der Entscheidungsträger als befremdlich. Vor allem aber ist sie naiv – und, ja, gefährlich. Weihnachten ist für viele Menschen wichtig – aber es ist nur ein Fest. Im Moment sterben viele Menschen. Pfleger, Mediziner und Gesundheitsämter sind am Rande der Erschöpfung. Menschen, die Jahre und Jahrzehnte eine Existenz aufgebaut haben, sehen, wie die zugrunde geht. Der Einzelhandel in den Innenstädten stirbt, die Hoffnung auf eine unbeschwerte Jugend auch.

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Uli Kreikebaum

Und da sollen wir Weihnachten für ein paar Tage heile Welt spielen? Für Menschen, die gefährdet sind – gesundheitlich oder wirtschaftlich – mutet das fast zynisch an. Nicht nur, weil im nächsten Atemzug der Lockdown bis zum 10. Januar verlängert wurde.

Weihnachtsrufe von Oberlehrern

Das ständige Weihnachtsgerede grenzt auch viele Menschen aus. Der stete Verweis auf das christliche Abendland, das im Zuge der so genannten Erinnerungskultur gern zum christlich-jüdischen Abendland umgedichtet wurde, hat schon immer Menschen zurückgelassen: die Deutschen vermeintlich mit den Juden wiedervereinigt und dabei die Muslime, Atheisten und Andersgläubige außen vor gelassen. In Corona-Zeiten scheint nur zu Deutschland zu gehören, wer Heiligabend in den Gottesdienst geht („Viele Gemeinden halten an Christmetten fest!“), derweil die Gans in Omas Ofen schmort.

Was ist mit jenen, die Weihnachten gar nicht so toll finden? Die das Fest nicht feiern? Die kein Geld haben, um den Weihnachtshype mitzumachen? Die krank sind und gerade jetzt nicht besucht werden können? Freuen sich die Gastronomen auf Weihnachten? Die Künstler? Die Intensivpflegerinnen und Ärztinnen?

Die Weihnachtsrufe der Politikerinnen und Politiker klingen wie verzweifelte Hilferufe eines Oberlehrers. Ihr wollt doch auch, dass Weihnachten normal wird! Also bleibt zu Hause! Es wird aber nicht normal. Wer solidarisch ist, feiert womöglich nicht mit Oma und Opa, geht nicht in die Kirche und nicht zu Onkeln und Tanten.

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Weihnachten ist nicht nur das Fest der familiären Hoffnung, die jetzt beschworen wird, es ist auch ein gigantisches Wirtschaftsfest: Der Konsumkapitalismus zeigt sich im November und Dezember in Höchstform. Auch das implizieren die Rufe der Politik: Geht einkaufen! Stärkt den Einzelhandel! Kurbelt die Wirtschaft an! Und dann wieder artig in die gute Stube, bis Heiligabend, dann dürft ihr raus! Sich beschenken ist schön. Den lokalen Einzelhandel stärken: unbedingt! Aber auch die Geschenkeorgie ist nicht für jeden ein Heilsbringer. Manche können es sich gerade nicht leisten. Andere wollen es nicht. Dritte machen es widerwillig, weil sie seit Jahren nicht rauskommen aus der Weihnachtsmühle. Oder sie feiern für die Kinder. Ja, einverstanden: Für die Kinder soll Weihnachten sein wie jedes Jahr. Für alle anderen wird es das nicht. Wenn dafür das Frühjahr wieder ein normaleres wird, ist es das wert. 

Contra: Weihnachten muss nicht ausfallen

Geburtstagsfeiern? Braucht kein Mensch! Hochzeitstage? Vollkommen überschätzt! Nationale Gedenktage? Alles Quatsch! Wer so argumentiert, der findet auch keinen Grund, dem Weihnachtsfest generell und speziell in diesem Jahr einen besonderen Stellenwert zuzubilligen. Aber mit etwas Gespür für Rhythmen, für Traditionen als – im wörtlichen Sinn – Weitergabe lebendiger Erfahrungen lässt sich erahnen, was es mit dieser Corona-Weihnacht 2020 auf sich hat.

Joachim Frank Kommentar

Joachim Frank

Seit dem Beginn der Pandemie sind wir einer paradoxen Spannung ausgesetzt. Auf der einen Seite müssen wir uns voneinander distanzieren, um uns selbst und andere vor dem Virus zu schützen. Auf der anderen Seite steht das Bedürfnis nach Zusammenhalt – in der Familie, in unseren sozialen Gefügen. Auf sich allein gestellt, das merken wir, ist solch eine Krise noch schwerer durchzustehen.

An Weihnachten wirkt die Macht des Rituals

An Weihnachten geht es wesentlich um den Zusammenhalt. In der Begegnung mit Menschen, die uns teuer sind, vergewissern wir uns unserer Herkunft; worauf Verlass ist und worauf es ankommt im Leben; wofür wir dankbar sein dürfen. Natürlich ginge das auch zu jeder anderen Zeit des Jahres – mit Familienbesuchen Mitte Mai oder Anfang August oder Ende September. Aber am 24. und 25. Dezember wirkt die Macht des Rituals. Nicht nur Kinder freuen sich darauf, dass „Heiligabend bei Oma und Opa wieder genau so wird wie im vorigen Jahr und wie im Jahr davor“. Die Stabilität eines solchen Datums, die kollektiv einübte Form gehören mit zum Zauber der Weihnacht.

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Hinzu kommt die christliche Grundierung dieses Tages. Für die einen ist sie tragendes Fundament, für andere nur mehr ein Sediment, eine kulturgeschichtliche Ablagerung. In „normalen“ Jahren waren es nicht selten Kirchenvertreter, die eine Kommerzialisierung von Weihnachten beklagten, ein oberflächliches Gewese, ein zuckersüß-klebriges Idyll. 2020 trifft das Ursprungssetting der Weihnachtsgeschichte aus dem Lukas-Evangelium unsere Gegenwart und unsere Lebenswirklichkeit sehr viel unmittelbarer als sonst: Jesus kommt zur Welt in einer Zeit voller Ungewissheit und Existenzangst. Die Botschaft der Engel, „euch ist heute der Retter geboren!“ ist eine Verheißung, die in Corona-Zeiten noch einmal anders zu Herzen geht. Weil wir erleben, dass die „heillose, unerlöste Welt“ eben nicht nur eine Redewendung in griesgrämigen Predigten und Untergangsprophetien ist.

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Christen vertrauen darauf, dass diese Welt kein gottverlassener Ort ist – auch nicht in einer Pandemie. Jede Geburt ist ein Hoffnungszeichen, eine Anleihe des Lebens auf eine gute Zukunft. Das konzentriert und verdichtet sich im Glauben an die Menschwerdung Gottes, der „auf die Erde nieder kommt“, wie es in Friedrich Silchers Weihnachtsklassiker „Alle Jahre wieder“ heißt.

Das Bekenntnis zum Leben legt es im Übrigen nahe, Weihnachten 2020 gerade nicht wie „alle Jahre wieder“ zu feiern. Die Großfamilie, um den Christbaum versammelt, ist epidemiologisch nicht die beste aller Ideen. Wer könnte es sich verzeihen, wenn „aus Tradition“ Menschen den Tod finden? Aber das bedeutet nicht, dass das Fest 2020 deswegen ausfallen müsste. Eine originelle, erfinderische Form für „Weihnachten mal anders – und doch gemeinsam“ ist das vielleicht schönste Geschenk sein, das wir einander in diesem Jahr machen können. 

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