„Am 15. April möglichst Klarheit“Schulministerin hält Abitur ohne Prüfung für denkbar

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NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP)

NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer (FDP)

  • Fängt die Schule tatsächlich nach den Osterferien wieder an?
  • NRW-Schulministerin Yvonne Gebauer hält einen Teilbetrieb für denkbar.
  • Im Interview spricht sie über die Abiturprüfungstermine, mögliche Notlösungen und die Situation älterer Lehrkräfte.

Frau Gebauer, wird die Schule am 20. April wieder losgehen?

Yvonne Gebauer: Stand heute gilt die Anordnung des Gesundheitsministeriums der Schulschließung bis zum 19. April. Danach könnte es wieder losgehen. Aber wir fahren auf Sicht. Die Lage wird jeden Tag neu bewertet. Wir brauchen spätestens bis zum 15. April Klarheit und wollen dann darüber informieren, wie es weitergeht.

Was passiert, wenn der Schulstart am 20. April nicht möglich ist?

Für diesen Fall gibt es unterschiedliche Szenarien, über die ich jetzt noch nicht sprechen möchte. Ich möchte informieren, nicht spekulieren. Es hängt sehr davon ab, welche Maßnahmen zum Infektionsschutz wie fortgeführt werden.

Wäre es denkbar, dass man erst mal mit einem Teilbetrieb startet, zum Beispiel an den Grundschulen, oder mit dem Unterricht für die Schüler, die kurz vor der Abiprüfung stehen?

Ein Teilbetrieb gehört zu den Szenarien, die geprüft werden. Bei allen Entscheidungen steht die Gesundheit der Schüler und Lehrer im Mittelpunkt.

Können die Abiturprüfungen am 12. Mai stattfinden, wenn der Schulbetrieb nicht wie geplant nach den Osterferien wieder anläuft?

Der 12. Mai ist der spätestmögliche Termin für den Start der Prüfungen, damit am 27. Juni die Zeugnisse ausgegeben werden können. Der Beginn der Sommerferien lässt eine weitere Verschiebung nach hinten nicht zu. Sollte ein Schulstart nach den Osterferien nicht möglich sein, müssen wir neu nachdenken. Alle Schüler, die jetzt vor Abschlussprüfungen stehen, dürfen nicht die Leidtragenden einer von Ihnen unverschuldeten Krise sein.

Und wie sieht der Plan B aus?

Bei den Abiturienten gibt es viele Vorschläge, wie beispielsweise eine Gesamtnote ohne Abiturprüfung zu ermitteln. Die Abiturienten haben ja zwei Drittel der Leistung bereits erbracht. Ähnlich könnte man auch bei der Ermittlung der Noten bei den mittleren Abschlüssen vorgehen. Die Kulturminister haben jedoch einen einstimmigen Beschluss gefasst, dass an einem Abitur mit Prüfungen festgehalten werden soll.

Würde ein solches Not-Abitur denn überhaupt von allen anerkannt?

Den Begriff verwende ich nicht, ich halte ihn auch für falsch. In der Kultusministerkonferenz wurde vereinbart, dass die Länder die Abiturzeugnisse in jedem Fall gegenseitig vollständig anerkennen. Das Abitur 2020 darf keinen Makel haben.

Wann erfahren Schüler und Eltern, wie es weitergeht?

Wir verfolgen die weitere Entwicklung der Epidemie sehr genau. Aber mir ist bewusst, dass alle Planungssicherheit brauchen. Die Entscheidung über den Schulstart wird rechtzeitig in der letzten Osterferienwoche bekanntgegeben. Ich möchte am 15. April möglichst Klarheit.

Wie wollen Sie Lehrer und Schüler vor einer Infektion nach den Osterferien schützen?

Einen generellen Schutz aller am Schulleben Beteiligten kann niemand zu 100 Prozent garantieren. Wir werden aber Schulen nur unter den Maßgaben des Infektionsschutzes durch die Gesundheitsbehörden wieder öffnen. Dazu werden derzeit Vorgaben erstellt. An den Schulen müssen Sicherheitsabstände eingehalten werden können, und es muss Desinfektionsmittel vorhanden sein.

Zur Person

Yvonne Gebauer wurde 1966 in Köln geboren. Die gelernte Kauffrau arbeitete früher in der Immobilienbranche. Seit 2004 war sie im Kölner Stadtrat für Schulpolitik zuständig, seit 2012 kümmerte sie sich im Landtag um die Bildungspolitik.

Nach der Abwahl von Rot-Grün wurde sie im Sommer 2017 zur Schulministerin ernannt. Die Liberalen hatte im Wahlkampf „beste Bildung“ für alle versprochen.

Die Mutter eines erwachsenen Sohns trat mit 16 Jahren in die FDP ein. Ihr Vater, der Liberale Wolfgang Leirich, war zwölf Jahre lang Schuldezernent von Köln.

Die Schulen müssen sich darauf einstellen, beim Schulstart mit weniger Personal auskommen zu müssen, sollten Lehrkräfte, die vorerkrankt sind, vorerst nicht unterrichten können. Pädagogen, die älter als 60 sind, wurden vor den Ferien vorsichtshalber schon nicht bei der Notbetreuung eingesetzt. Natürlich dürfen auch die Schüler, die zu einer Risikogruppe gehören, nicht gefährdet werden.

Bekommen die Schulen nach der Krise mehr Geld für digitale Ausstattung ?

Derzeit stehen ja gerade die Mittel aus dem Digitalpakt mit einer Milliarde Euro in NRW zur Verfügung. Ein Digitalpakt II wäre wünschenswert und ebenso kraftvolle Investitionen der Schulträger. Aber wir erleben ja gerade, wie viel Geld jetzt in allen Bereichen benötigt wird. Es geht auch darum, Existenzen zu retten. Die Mittel, die uns insgesamt zur Bewältigung der Krise zur Verfügung stehen, sind endlich. Gleichwohl arbeite ich daran, dass – wie bisher geschehen – die Ausgaben für die Bildung unserer Schülerinnen und Schüler in NRW kontinuierlich weiter erhöht werden.

Wie sieht derzeit Ihr Alltag aus? Arbeiten Sie aus dem Homeoffice?

Ich habe das Privileg, dass ich arbeiten darf und fahre jeden Tag nach Düsseldorf ins Ministerium. Dort habe ich derzeit einen kleinen Kreis von Mitarbeitern, mit denen wir versuchen, alle Herausforderungen und Fragen zu lösen.

Sehen Sie auch positive Aspekte in Telefon- oder Skype-Konferenzen?

Ich bin ein Freund des persönlichen Austauschs. Aber man muss auch sagen, dass vieles schneller geht, wenn man in einer Telefonkonferenz miteinander spricht. Jeder beschränkt sich dabei auf das Wesentliche. Das spart Zeit.

Wird es nach der Krise einen Digitalisierungsschub an Schulen geben?

Grundsätzlich ja, aber kurz vorweg: Die Digitalisierungsmaßnahmen in den Schulen waren und sind darauf angelegt, den Präsenzunterricht zu ergänzen, nicht zu ersetzen. Daher sind die Schulschließungen und das ausschließliche digitale Lernen derzeit eine Ausnahmesituation. Wir sammeln aber wertvolle Erfahrungen damit, wie Lehrkräfte und Schüler mit digitalen Hilfsmitteln miteinander arbeiten können. Das funktioniert mitunter besser als erwartet. Die Rückmeldungen, die ich erhalte, sind durchweg positiv. Wir haben den Schulen unsere digitale Materialsammlung „Lernen auf Distanz“ zur Verfügung gestellt. Die unterschiedliche technische Ausrüstung in den Schulen und in den Familien ist noch eine Herausforderung, an der wir aber mit Hochdruck arbeiten.

Viele Eltern nehmen derzeit in der Not die Rolle eines „Co-Lehrers“ ein. Wie kann man Ihnen dabei helfen?

Ja, diese Doppelbelastung stellt viele Familien vor eine enorme Herausforderung. Das weiß ich sehr genau. Die Eltern sollen aber keine „Ersatz-Lehrer“ sein, sondern – idealerweise – Lernbegleiter. Mir ist klar, dass die Strukturen in den Familien sehr unterschiedlich sind. Klarstellen will ich, dass der Unterricht nicht komplett aus den Klassenzimmern in die Kinderzimmer verlagert werden darf. Das werden die Lehrkräfte auch so bei der Leistungsbeurteilung berücksichtigen.

Es gibt Klagen über zu viele Hausaufgaben. Wie ist Ihre Wahrnehmung?

Da gibt es sicher Unterschiede. Sie müssen sehen, dass das Lernen auf Distanz in der jetzigen Form, dass es überhaupt keinen Unterricht mehr gibt, noch Neuland für alle Schulen in Deutschland ist.

Vor allem sozial benachteiligte Eltern haben oft kein Geld, die Kinder mit digitalen Arbeitshilfen auszurüsten ...

Kinder aus sozial benachteiligten Familien haben es vielfach schwerer, beim digitalen Unterricht mitzukommen. Das Problem ist den Schulen bewusst. Die Lehrer versuchen, mögliche Defizite durch persönliche Betreuung auszugleichen. Manche greifen zum Telefon, um sich um diese Kinder zu kümmern.

Bislang ist es nicht möglich, im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepakets etwa Tablets zu bestellen …

Eine digitale Grundausstattung kann helfen, Ausnahmesituationen wie diese besser zu bewältigen. Deswegen sollte der Gesetzgeber die Möglichkeit schaffen, dass sozial benachteiligten Familien auch ein Zuschuss für die Anschaffung zum Beispiel von Tablets gewährt werden kann. Derzeit sieht das Sozialgesetz nur pauschale Unterstützung für den täglichen Schulbedarf wie Schreibhefte vor. Das ist aus der Zeit gefallen.

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