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AfD gesichert rechtsextremWas die Einstufung durch den Verfassungsschutz bedeutet

Lesezeit 8 Minuten
Die Partei- und Fraktionschefs der AfD: Tino Chrupalla und Alice Weidel.

Die Partei- und Fraktionschefs der AfD: Tino Chrupalla und Alice Weidel.

Die AfD gilt jetzt als „gesichert rechtsextremistisch“ laut Verfassungsschutz. Was das konkret bedeutet: die wichtigsten Fragen und Antworten.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die die Alternative für Deutschland (AfD) zur „gesichert rechtsextremistischen Bestrebung“ hochgestuft. Das entsprechende Gutachten und die Hochstufung waren schon länger erwartet worden. Wir erklären, wie der deutsche Inlandsnachrichtendienst diesen Schritt begründet und was er für Auswirkungen auf die Partei und ein mögliches Verbotsverfahren hat.

Wie begründet das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die Hochstufung?

Das BfV kommt in seinem neuen Gutachten zu dem Schluss, „das in der Partei vorherrschende ethnisch-abstammungsmäßige Volksverständnis“ sei „nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar“, wie der Inlandsnachrichtendienst in einer Presseerklärung mitteilt. Es ziele darauf ab, „bestimmte Bevölkerungsgruppen von einer gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe auszuschließen, sie einer nicht verfassungskonformen Ungleichbehandlung auszusetzen und ihnen damit einen rechtlich abgewerteten Status zuzuweisen“.

Besonders deutsche Staatsangehörige mit Migrationsgeschichte aus muslimisch geprägten Ländern würden von der AfD nicht als gleichwertige Angehörige des deutschen Volkes betrachtet.

Dieses ausgrenzende Volksverständnis sei der Ausgangspunkt „für eine kontinuierliche Agitation gegen bestimmte Personen oder Personengruppen, mit der diese pauschal diffamiert und verächtlich gemacht sowie irrationale Ängste und Ablehnung ihnen gegenüber geschürt werden“. Das zeige sich „in der Vielzahl fortlaufend getätigter fremden-, minderheiten- sowie islam- und muslimfeindlichen Äußerungen von führenden Funktionärinnen und Funktionären der Partei“. Als Beispiel führt das BfV die pauschalisierende Verwendung von Begriffen wie „Messermigranten“ durch führende Mitglieder der AfD an.

„Dieser Befund fußt auf einer äußerst sorgfältigen gutachterlichen Prüfung, die einen Zeitraum von rund drei Jahren umfasst“, erklärten der Vizepräsident und die Vizepräsidentin des BfV, Sinan Selen und Silke Willems.

Auch die noch geschäftsführende Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) äußerte sich am Freitag in Berlin zu der Hochstufung. Sie sagte: „Die AfD vertritt einen ethnischen Volksbegriff, mit dem ganze Bevölkerungsgruppen diskriminiert und Bürgerinnen und Bürger mit Migrationsgeschichte als Deutsche zweiter Klasse behandelt werden. Das widerspricht klar der Menschenwürdegarantie des Artikels 1 des Grundgesetzes. Ihre völkische Haltung zeigt sich in rassistischen Äußerungen vor allem gegen Zugewanderte und Muslime.“

Wie wurde die AfD bisher eingestuft?

Die AfD wurde bundesweit bislang als Rechtsextremismus-Verdachtsfall eingestuft. Dagegen ist die AfD zunächst vor dem Verwaltungsgericht Köln und dann vor dem Oberverwaltungsgericht des Landes NRW in Münster juristisch vorgegangen. Die Einstufung als Verdachtsfall wurde jedoch in beiden Instanzen bestätigt.

Das Oberverwaltungsgericht betonte in seiner Urteilsbegründung im Mai 2024, dass es hinreichende Anhaltspunkte für den Verdacht gebe, „dass die AfD Bestrebungen verfolgt, die mit einer Missachtung der Menschenwürde von Ausländern und Muslimen verbunden sind“. Darüber hinaus lägen „Anhaltspunkte für demokratiefeindliche Bestrebungen vor, wenn auch nicht in der Häufigkeit und Dichte, wie vom Bundesamt (für Verfassungsschutz) angenommen“.

Diese Bewertung hat das BfV offenbar auch bei seiner Neubewertung geleitet: In der Pressemitteilung zur Hochstufung verweist der Nachrichtendienst vor allem auf die Verletzung der Menschenwürde durch die AfD, nicht aber auf Verstöße gegen das Demokratieprinzip.

Was ändert sich durch die Hochstufung konkret?

Die Möglichkeiten der Beobachtung der AfD durch den Verfassungsschutz ändern sich durch die neue Einstufung grundsätzlich nicht. Das Bundesamt darf auch gegen einen „Verdachtsfall“ sogenannte nachrichtendienstliche Mittel einsetzen - dazu zählt der Einsatz verdeckter Ermittler und von V-Leuten oder das Abhören von Telefonaten.

Einen Unterschied macht die Hochstufung dabei jedoch: Die vom Verfassungsschutz eingesetzten Mittel müssen verhältnismäßig sein. Bei einer „gesichert extremistischen Bestrebung“ können weitreichende Überwachungsmaßnahmen eher als verhältnismäßig angesehen werden, als bei einem „Verdachtsfall“.

Die Hochstufung beeinflusst mögliche Überwachungsmaßnahmen und ein Parteiverbotsverfahren. (Archivbild)

Die Hochstufung beeinflusst mögliche Überwachungsmaßnahmen und ein Parteiverbotsverfahren. (Archivbild)

Auswirkungen kann die Hochstufung für Beamte haben, die Mitglieder der AfD sind. Die Mitgliedschaft in einer als gesichert rechtsextrem eingestuften Partei kann Grund für Zweifel an deren Verfassungstreue sein. Das muss jedoch im Einzelfall geprüft werden - es besteht kein Automatismus. Auch AfD-Mitglieder, die als Jäger oder Sportschütze eine Waffenerlaubnis haben, müssen mit einer genaueren Prüfung rechnen.

Wie kann die AfD gegen die Einstufung vorgehen?

Die AfD kann gegen die Hochstufung zur „gesichert extremistischen Bestrebung“ erneut vor dem Verwaltungsgericht Köln klagen. Das Gericht ist zuständig, weil das Bundesamt für Verfassungsschutz seinen Hauptsitz in der Stadt am Rhein hat. Die nächste Instanz wäre dann wieder das Oberverwaltungsgericht in Münster.

Die Partei wird diesen Weg wohl beschreiten. Die Parteivorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla bezeichneten die Neueinstufung am Freitagmittag „schwerer Schlag gegen die bundesdeutsche Demokratie“. Die AfD werde „als Oppositionspartei nun kurz vor dem Regierungswechsel öffentlich diskreditiert und kriminalisiert“. Sie kündigten an: „Die AfD wird sich gegen diese demokratiegefährdenden Diffamierungen weiter juristisch zur Wehr setzen.“

Was bedeutet die Hochstufung für die Möglichkeit eines AfD-Verbotsverfahrens?

Die Einstufung der AfD als gesichert rechtsextrem wird als wichtiger Zwischenschritt vor einem möglichen Parteiverbotsverfahren gesehen. Die Einleitung eines solchen Verfahrens folgt daraus jedoch keinesfalls zwingend. Ob ein Verbotsverfahren eingeleitet wird, ist eine politische Frage: Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung sind berechtigt, ein Parteiverbot beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zu beantragen. Sie sind dazu jedoch nicht rechtlich verpflichtet. Darüber, wie groß die Erfolgsaussichten eines Verbotsantrags sind, gibt es auch unter Verfassungsrechtlern große Uneinigkeit, weil die Hürden dafür besonders hoch sind.

In der vergangenen Legislaturperiode hatte eine Gruppe von Abgeordneten im Bundestag dafür geworben, dass das Parlament einen Verbotsantrag in Karlsruhe stellt, dafür jedoch keine Mehrheit gewinnen können. Die SPD-Politikerin Carmen Wegge, die Teil dieser Abgeordnetengruppe war, sieht diese Bestrebungen durch die Hochstufung der AfD bestätigt. „Als Abgeordnete sind wir meiner Meinung nach nun umso mehr verpflichtet darauf hinzuwirken, dass die AfD vorm Bundesverfassungsgericht überprüft wird“, sagte sie dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) und fügte an: „Ich erwarte, dass sich nun alle dafür antragsberechtigten Gremien mit genau dieser Frage beschäftigen.“

Auch der Thüringer Innenminister Georg Maier (SPD) sprach sich für ein Verbotsverfahren aus. „Ich habe die Einstufung der AfD so erwartet“, sagte er dem RND. „Und ich finde sie auch richtig. Die Beweislage ist erdrückend. Jetzt ist die Zeit reif für ein Verbotsverfahren.“ Maier fügte hinzu: „Ich würde die Bundesregierung sehr bitten, sich dieser Frage intensiv zu widmen und zu entscheiden, ob sie ein Verbotsverfahren anstrebt. Wir stehen in Thüringen Gewehr bei Fuß und sind in der Lage, umfassendes Material zur Verfügung zu stellen.“

Der geschäftsführende Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) warnte hingegen vor einem „Schnellschuss“. Ein mögliches Verbotsverfahren müsse sorgfältig geprüft werden, sagte er beim Evangelischen Kirchentag in Hannover. Er betonte, dass das Bundesverfassungsgericht alle Verbotsanträge zuletzt abgelehnt habe. Zugleich verwies er aber darauf, dass die AfD mit allen ihren bisherigen Klagen gegen eine Einstufung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz gescheitert sei. Diese Institution nehme ihre „Tätigkeit sehr sorgfältig“ wahr. Auch Nancy Faeser zeigte sich weiter skeptisch.

Die Grünen-Politiker Konstantin von Notz und Irene Mihalic teilten mit, die Entscheidung des Bundesamtes für Verfassungsschutz sei ein „wichtiger Baustein mit Blick auf die Frage, wie es um die Erfolgsaussichten eines möglichen AfD-Verbotsverfahrens bestellt ist“.

Klar ist: Die Hochstufung wird die Verbotsdebatte weiter befeuern.

Wieso hat die Neubewertung so lange gedauert?

Mit der Hochstufung der AfD war ursprünglich schon früher gerechnet worden. Der frühere Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang hatte das Gutachten des BfV noch im vergangenen Jahr fertigstellen wollen, auch die öffentliche Neueinstufung sollte noch im Jahr 2024 stattfinden. Dann platzte jedoch die Ampel-Koalition, die Bundestagswahl wurde vorgezogen und Haldenwang schied im Dezember vorzeitig aus dem Amt aus, um als CDU-Kandidat bei der Wahl anzutreten. Die Fertigstellung des Gutachtens verzögerte sich deshalb. Der Verfassungsschutz wollte durch eine Hochstufung kurz vor der Bundestagswahl nicht in die Chancengleichheit der Parteien eingreifen.

Seitdem war erwartet worden, dass die Neueinstufung möglicherweise erst nach der Neubesetzung der vakanten Leitung des Bundesamtes für Verfassungsschutz durch die neue Bundesregierung erfolgen könnte. Nun kam es doch bereits eine Woche vor dem Amtsantritt des künftigen Bundesinnenministers Alexander Dobrindt (CSU) dazu.

Nancy Faeser erklärte, sie habe Dobrindt vorab über den Schritt informiert, ebenso wie Friedrich Merz, Olaf Scholz und den künftigen Vizekanzler Lars Klingbeil. Das Bundesinnenministerium habe das neue Gutachten selbst erst am vergangenen Montag erhalten und keinerlei Änderungen daran vorgenommen.

Nancy Faeser (SPD) geschäftsführende Bundesinnenministerin, äußert sich im Bundeskriminalamt (BKA) zur AfD.

Nancy Faeser (SPD) geschäftsführende Bundesinnenministerin, äußert sich im Bundeskriminalamt (BKA) zur AfD.

„Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat einen klaren gesetzlichen Auftrag, gegen Extremismus vorzugehen und unsere Demokratie zu schützen. Dabei arbeitet es eigenständig. Die neue Einstufung ist das Ergebnis einer umfassenden und neutralen Prüfung, die in einem 1100-seitigen Gutachten festgehalten ist. Es hat keinerlei politischen Einfluss auf das neue Gutachten gegeben“, sagte Faeser.

In unionsregierten Ländern herrscht wegen der Einstufung der AfD durch das Bundesamt für Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“ Verdruss. „Die von CDU und CSU regierten Länder hatten davon keine Ahnung“, hieß es in Unionskreisen. „Und es gibt die Annahme, dass die SPD-regierten Länder bereits früher Bescheid wussten.“ Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) wolle sich die Einstufung in der Schlussphase ihrer Amtszeit offenbar noch persönlich ans Revers heften, so die Kreise. Das sei „ziemlich uncool“.

Wie kommt die Neueinstufung der AfD zustande?

Jeder Einstufung als „Verdachtsfall“ oder „gesichert extremistischen Bestrebung“ liegt ein ausführliches Gutachten zugrunde, das nur für den Dienstgebrauch und nicht für die Öffentlichkeit bestimmt ist. Das jüngste Verfassungsschutzgutachten umfasst einen Prüfzeitraum von rund drei Jahren und ist 1100 Seiten dick. Darin hat der Nachrichtendienst laut eigenen Angaben „eine Vielzahl von Aussagen und Positionen hochrangiger Parteivertreterinnen und -vertreter aus dem gesamten Bundesgebiet berücksichtigt und auch neueste organisatorische Entwicklungen mit in das Gutachten einbezogen“.

Zwar beobachtet das BfV die AfD auch verdeckt, üblicherweise bezieht sich der maßgebliche Teil solcher Gutachten jedoch auf öffentlich getätigte Äußerungen, etwa auf Parteitagen, in Interviews oder in den sozialen Medien. Eine gerichtliche Überprüfung der Bewertung durch den Nachrichtendienst findet erst im Nachhinein statt, sobald die AfD gegen die Einstufung klagt. Die Einstufung erst als Prüf- und dann als Verdachtsfall hielt dieser Überprüfung in der Vergangenheit stand.