Annette Schavan im Interview„Mehr Macht für Frauen in der katholischen Kirche“

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Annette Schavan beim Papst

Annette Schavan mit Papst Franziskus nach einer Privataudienz im Jahr 2016

Köln – Die frühere Botschafterin Deutschlands beim Heiligen Stuhl, Annette Schavan, hält als Konsequenz aus dem Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche  eine weitergehende Aufklärung für nötig. Sie sieht auch die katholischen Orden am Zug. Ignoranz werde sich „wie Gift“ auswirken.

Ein verbreitetes Unbehagen über Männerbünde in der Kirche würden jetzt öffentlich. Nach Ansicht der CDU-Politikerin hat Papst Franziskus – trotz mancher Kritik –  die Tragweite der Krise mit am besten verstanden.

Frau Schavan, was bedeutet es, wenn jetzt der „Klerikalismus“ als  speziell katholische Ursache von sexuellem Missbrauch herausgestellt  wird.  

Das ist ein großer und wichtiger  Schritt,  weil  damit  anerkannt  wird,  dass  es  einen strukturellen  Kontext  gibt,  der  förderlich  war  für  den  Missbrauch  der  Macht,  der  Gewissen und  für  sexualisierte  Gewalt.  Papst  Franziskus  hat  diesen  dreifachen  Missbrauch  in  seinem Brief  an  alle  Gläubigen  klar  benannt.  

Reformen  in  der  Ämterfrage  lehnt  die  Kirchenleitung  aber  regelmäßig  ab.  

Bislang  ja,  aber  nun  hat  Kardinal  Marx  gesagt,  es  müsse  eine  Debatte  über  den  Zölibat   geführt  werden.  Die  Synode  der  Bischöfe  im  Amazonasgebiet  wird  vermutlich  auch Vorschläge  für  neue  Zugänge  zum  Amt  machen. Ich finde, es muss auch  im  Verhältnis  von Amt  und  Laien  neue  Wege  geben. Laien sind  keine  Dilettanten,  wie  das  Wort  vermuten lässt. Neue Wege  braucht es auch für die  Frauen  in  der  Kirche. Die Leitung  einer Gemeinde oder auch der Verwaltung  einer  Diözese sollte nach  Erfahrung und Fähigkeiten  besetzt werden, nicht nach Geschlecht.  

Gibt es denn keinen weiblichen Machtmissbrauch?

Dazu  hatten  Frauen  bislang  in  der  Kirche  wenig  Gelegenheit.  Aber  im  Ernst: Auch  Frauen  können  natürlich  unfähig  im  Umgang  mit  Macht  sein  oder Macht  missbrauchen. Das  Thema  ist  aber  ein  anderes:  Wieso  beklagen  jetzt  Männer  in  der  Kirche  die Männerbünde?  Dahinter  stehen  ja  wohl  Erfahrungen,  die  nicht  erst  seit  dem  Bericht  über sexualisierte  Gewalt  in  der  Kirche  bekannt  sind.  Das  weit  verbreitete  Unbehagen  über „geschlossene  Gesellschaften“  innerhalb  der  Kirche  wird  jetzt  öffentlich.  Das  öffnet  ein Zeitfenster  für  eine  Weiterentwicklung  der  Kirche,  die  auch  geistlich  überzeugt.  Das betrifft nicht nur die Kirche in Deutschland und die üblichen Reformthemen.

Sondern?

Es  ist  ein  wirklich  geistlicher  Aufbruch  gemeint.  Da  werden  nicht  andauernd  geistlicher Dienst  und  Macht  in  einer  Institution  gleichgesetzt.  Da  arbeiten  Frauen  und  Männer  in Leitung  und  Führung  zusammen.  Da  gibt  es  keine  Laien,  sondern  Christen.  Da  ist  die zölibatäre  Lebensform  die  Lebensform  der  Ordensleute,  nicht  aber  zwingend  auch  die  der Weltpriester. 

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Da  übernehmen  Frauen  diakonische  und  geistliche  Dienste.  Da  wird  ein Wechsel  der  Perspektive  gewagt,  die  Papst  Franziskus  so  am  Herzen  liegt:  das  Leiden  der Opfer,  nicht  der  Schutz  der  Kirche  oder  des  Ordens  steht  im  Mittelpunkt;  die  Peripherien, die  Ränder, in  unseren  Städten  und  Gemeinden  rücken  in  den  Blick,  nicht  nur  die Kathedralen;  die  verlorenen  „Schafe“  werden  wichtig,  nicht  nur  die  wenigen verbliebenen.  

Sollten jetzt auch die katholischen Orden, die Träger vieler Schulen und Jugendeinrichtungen waren und sind, Studien  zu  sexualisierter  Gewalt  in  Auftrag  geben?

Die  Orden  beraten  längst  darüber.  Ich  bin  ziemlich  sicher,  dass  am  Ende  jede  Gemeinschaft in  der  Kirche  weltweit  an  einer  konsequenten  Aufklärung  interessiert  sein wird  und  sein  muss. Wer  findet,  er  könne  das  Thema   liegen  lassen,  wird  erleben,  dass  sich  solche Ignoranz  wie  Gift  in  der  Gemeinschaft  auswirkt.

Die  deutschen  Bischöfe  haben  sich  vorletzte  Woche  in  Fulda  auf  eine  Reihe  organisatorischer Reformschritte  und  vertiefte  Aufarbeitung  des  Missbrauchsskandals  verständigt.  Was erwarten  Sie?

Ich  erwarte,  dass  die  Bischöfe  Veränderungen  des  strukturellen  Kontextes  wirklich  wollen und  leisten.  Der  Münchener  Generalvikar  Peter Beer hat  davon  gesprochen,  dass  Frauen  stärker  an  der Ausbildung  der  Priester  beteiligt  werden  sollten.  Das  kann  so  ein  Schritt  sein  -  aber  eben nur  einer.  Der  Missbrauch  von  Macht  und  Gewissen  sowie  die  festgestellte  sexualisierte Gewalt  machen  vor  allem  nötig,  andere  Strukturen  der  Verantwortung  und  Rechenschaft  zu schaffen.  Das  wird  die  anspruchsvollste  Aufgabe  werden.  

Sie  waren  vier  Jahre  in  Rom  ganz  nah  an  der  Kirchenzentrale.  Ist  das  Problem  dort angekommen?

Ich  bin  davon  überzeugt,  dass  Papst  Franziskus  die  ganze  Tragweite  der  Krise  mit  am besten verstanden hat. Ich erinnere an die  Ansprache an die Kardinäle vor seiner Wahl im Konklave  2013:  Da  hat  er  das  Kreisen  der  Kirche  um  sich  selbst  angeprangert.  Jedes geschlossene  System  neigt  zum  Missbrauch  von  Macht.   Auch  und  gerade  die  Kirche,  die  „an die  Ränder“  gesandt  ist,  versagt  als  geschlossenes  System.  Das  gilt  nicht  nur  für  den Missbrauchsskandal,  sondern  generell.  Diese  schonungslose,  für  manche  in  Rom unerträgliche  Analyse  hat  die  Kardinäle  nicht  gehindert,  Papst  Franziskus  zu  wählen. Deshalb  gilt  jetzt  auch  die  Ausrede  nicht  mehr,  „Rom  will  das  nicht“.  

Den  Missbrauchsskandal  der  katholischen  Kirche  in  Chile  hat  er  zunächst  eher verharmlost,  indem  er  Täter  in  Schutz  genommen hat.  

Auch  der  Papst  macht  Fehler  –  vor  allem  dann,  wenn  man  ihm  falsche  Informationen  gibt. Als  er  aus  Chile  zurück  kam,  muss  er  ein  komisches  Gefühl  gehabt  haben. Er  hat  dann einen Bischof  von  Rom  nach  Chile  geschickt,  der  viele  Gespräche  geführt  hat.  Danach  hat  der Papst  sich  mit  Opfern  aus  Chile  in  Rom  getroffen  und  den  Rücktritt  einiger  chilenischer Bischöfe  angenommen.  Diese  Geschichte  zeigt  seine  Konsequenz  beim  Thema,  die  auch  für die  Zukunft  gilt.

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