BeleidigungDemütigung von Gruppen verboten – „Männer sind Schweine“ ist aber okay

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Screenshot aus dem sozialen Netzwerk Twitter.

Seit etwa einem Jahr gibt es hierzulande den Straftatbestand „Verhetzende Beleidigung“. Bestraft wird, wer Angehörige bestimmter Gruppen mit Äußerungen verächtlich macht, die geeignet sind, die Würde dieser Personen zu verletzen.

Geschützt sind nationale, rassische, religiöse oder ethnische Herkunft, Weltanschauung, Behinderung und sexuelle Orientierung. Die Tat begeht man durch unaufgefordertes „Gelangenlassen“ strafbarer Äußerungen an Dritte – per Brief, per SMS oder E-Mail und natürlich auch durch einen Post in einem sozialen Netzwerk.

Prof. Schwartmann

Professor Dr. Rolf Schwartmann leitet die Kölner Forschungsstelle für Medienrecht an der Technischen Hochschule Köln.

Da ein Angriff wegen des Geschlechts von der Norm nicht geschützt wird, wäre es – so gesehen – in Ordnung, wenn man sagte: „Männer sind Schweine!“ Wer aber „Ausländer raus!“ postet, hat zu Recht ein Problem: Die Aussage grenzt eine ganze Menschengruppe wegen ihrer Herkunft aus und spricht ihr das Existenzrecht im Staat ab. Das ist als Angriff auf die Menschenwürde zu werten.

Weil das Gesetz alle Weltanschauungen gleichermaßen schützt, gilt das – wenn man die NS-Ideologie nicht ausdrücklich ausnimmt – allerdings auch für Nazis. Die Aussage „Nazis raus!“ müsste konsequenterweise strafbar sein – ein bizarres Ergebnis. Solche Fälle sind allerdings noch Theorie.

Bußprediger plädierte auf unschuldig

Die Schweiz kennt eine ähnliche Strafrechtsnorm. Die „Neue Zürcher Zeitung“ (NZZ) berichtete unlängst über eine erste Verurteilung. Ein 63 Jahre alter „Bußprediger“ hatte „im Namen Gottes“ behauptet, gleichgeschlechtliche Liebe sei eine Sünde vor Gott, sei böse Lust und schändliche Begierde. Damit rief der Mann laut Anklageschrift zu Diskriminierung und Hass gegen Homosexuelle auf. Der Angeklagte gestand und plädierte zugleich auf nicht schuldig: Eine Bußpredigt dürfe man nicht mit Hass und Volksverhetzung verwechseln. „Homosexualität ist Unzucht im Namen des Herrn“, predigte er laut „NZZ“ auch vor Gericht.

Strafgesetzbuch (StGB)

§192a Verhetzende Beleidigung

Wer einen Inhalt (§11 Absatz 3), der geeignet ist, die Menschenwürde anderer dadurch anzugreifen, dass er eine durch ihre nationale, rassische, religiöse oder ethnische Herkunft, ihre Weltanschauung, ihre Behinderung oder ihre sexuelle Orientierung bestimmte Gruppe oder einen Einzelnen wegen seiner Zugehörigkeit zu einer dieser Gruppen beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet, an eine andere Person, die zu einer der vorbezeichneten Gruppen gehört, gelangen lässt, ohne von dieser Person hierzu aufgefordert zu sein, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. §11 Absatz 3

„Inhalte im Sinne der Vorschriften, die auf diesen Absatz verweisen, sind solche, die in Schriften, auf Ton- oder Bildträgern, in Datenspeichern, Abbildungen oder anderen Verkörperungen enthalten sind oder auch unabhängig von einer Speicherung mittels Informations- oder Kommunikationstechnik übertragen werden.“

Weil auch Aussagen aus religiöser Überzeugung für Betroffene herabsetzend und diskriminierend sein können, können sie gegen ein gesetzliches Diskriminierungsverbot verstoßen. Diesem Argument der Urteilsbegründung ist beizupflichten. Die Strafbarkeit macht vor der Religionsfreiheit nicht halt. Sie darf ebenso wie die Kunstfreiheit kein Deckmantel für Diskriminierungen sein.

Das Problem des „Bußpredigers“ stellt sich auch in Deutschland, wie der Rechtsstreit um den evangelikalen Bremer Pastor Olaf Latzel und dessen anstößige Aussagen über Homosexualität zeigt. Gehört jemand einer Religion an, die etwa schwule oder lesbische Beziehungen im Widerspruch zu göttlichen Normen oder einem tradierten Wertekanon sieht, dann stellt sich die Frage, wann eine lauthals geäußerte Ablehnung solchen Lebenswandels zur diskriminierenden Abwertung von Schwulen und Lesben wird. Rechtlich ist die Äußerung religiöser Überzeugungen Ausdruck der Religionsfreiheit und der Meinungsfreiheit.

Letztere ist für das Bundesverfassungsgericht die Grundlage jeder Freiheit überhaupt. Das Grundgesetz gewährt sie nicht etwa, sondern setzt sie voraus.

Grenzziehung zwischen Gesellschaftskritik und Hass

Traditionelle Religion lebt in einer modernen Gesellschaft und muss deren Kritik an ihren Lehren aushalten. Umgekehrt muss die moderne Gesellschaft ein traditionelles Religionsverständnis aushalten, einschließlich einer daraus resultierenden, religiös motivierten Gesellschaftskritik. Klar ist aber auch: Das Recht muss die Grenze ziehen zwischen strafbarem, nicht bloß gedachtem, sondern gelebtem homophoben Hass und einer noch erlaubten religiös geprägten Handlung. Diese Grenzziehung ist brisant, denn das subjektive Gefühl, verletzt zu sein, kann die Strafbarkeit einer Handlung kaum begründen.

Das Bundesverfassungsgericht stellt stattdessen maßgeblich auf den objektiven Verständnishorizont ab. Wäre der subjektive Eindruck für eine Diskriminierung maßgeblich, dann hätte der „Gefühlsstaat“ den Rechtsstaat abgelöst.

Ein gefühlter Rechtsstaat ist ein Paradox. Der Rechtsstaat steht vor der schwierigen Herausforderung, die Grenze zulässigen Verhaltens so zu definieren, dass Menschen effektiv vor Abwertungen geschützt werden, ohne das scharfe Schwert des Strafrechts allzu schnell einzusetzen. Andernfalls wird – letztlich vom Bundesverfassungsgericht – die Frage zu beantworten sein, ab wann die Ausdehnung der Strafbarkeit die Meinungsfreiheit tangiert.

Meinungsäußerungen dürfen nicht unterbunden werden

Die Vorschrift zur „verhetzenden Beleidigung“ wird in vielen Fällen präventiv disziplinierend sein und sich somit positiv auf den gesellschaftlichen Diskurs auswirken. Dies könnte aber zu einem weit vorgelagerten Vermeideverhalten führen, um nur ja etwaigen Problemen aus dem Weg zu gehen.

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Für eine Gesellschaft, die die Meinungsfreiheit zu Recht hoch schätzt, ist das nicht erstrebenswert. Meinungsäußerungen – auch wenn sie moralisch abzulehnen sind – dürfen nicht mit unzumutbarem strafrechtlichem Druck unterbunden werden. Wo das Strafrecht in bester Absicht grenzenlos schützen will, wird es zum verfassungswidrigen Instrument.

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