Sanierungsstau von zwölf MilliardenSo marode sind die NRW-Unis

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Der Campus der Universität zu Köln.

Düsseldorf – Eugen Esman muss lachen, wenn man ihn fragt, ob seine Uni sanierungsbedürftig ist. „Ich könnte jetzt so gemein sein und fragen: Wo zeigt sich der Sanierungsmangel nicht?“ Der 25-jährige Jurastudent ist Vorsitzender des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) der Uni Köln und findet sofort Beispiele, wo der Sanierungsmangel das Leben der Studierenden beeinflusst.

Da seien vor allem fehlende Steckdosen, der zum Teil schlechte W-Lan-Zugang in den Hörsälen und die Sache mit den Lernplätzen. „Sobald es wieder Präsenzsemester gibt, sitzen die Studierenden wieder auf den Treppen in den Gebäuden.“ Warum? „Weil es nicht genügend ausgestattete Orte gibt, wo sie lernen können.“

Alte Mensa muss wegen Baumängeln schließen

Nicht nur die Lernenden suchen nach Alterativen: Ende Juni muss die alte Mensa geschlossen und geräumt werden - ein bedeutsames Gebäude für die Studierendenschaft und Teil der Universitätsverwaltung.   „Wegen Baumängeln“, sagt Esman und lacht schon wieder. Dann wird er ernst. „Für uns ist das ein echtes Problem: Teile der Studierendenschaft müssen dann in einen anderen Stadtteil nach Zollstock umziehen. Da ist es natürlich schwer den Ratsuchenden unmittelbar am Campus zu helfen.“ Man sei bereits im Austausch mit der Universitätsverwaltung.  „Wir hoffen, dabei eine langfristig sinnvolle Lösung entwickeln zu können.“

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Esman sagt, Schuld sei nicht unbedingt die Universität, das ist ihm wichtig. „Das Rektorat bemüht sich sehr darum, die Situation zu verbessern.“  Vielmehr sei es die Landesregierung, die den Hochschulen keine ausreichende Unterstützung für eine sinnvolle Infrastrukturplanung zuteil kommen ließe, sagt Esman. Es sei nicht klar ersichtlich, nach welchen Kriterien entschieden wird, wo die finanziellen Zuschüsse hinfließen und wohin nicht. Unklar sei auch, welche Prioritäten die Landesregierung bei der Förderung von Wissenschaft und Studium verfolgt. „Man könnte den Eindruck haben, es werden vor allem die Projekte unterstützt, die besonders lukrativ sind oder Prestige einbringen.“ Doch Letzteres sei vor allem bei internationalem Besuch schnell vorbei. „Wenn man Lehrende und Studierende aus dem Ausland in einer Bauruine empfängt, ist man nicht wirklich wettbewerbsfähig.“

Trotz Verbesserungen setzt sich die Abnutzung fort

NRW-Wissenschaftsministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen hat den Sanierungsstau an den Universitäten des Landes jetzt mit sechs Milliarden Euro beziffert. Das geht aus der Antwort der Landesregierung auf eine Anfrage der Grünen im Landtag hervor, die dem „Kölner Stadt-Anzeiger vorliegt.  Bei den Universitätskliniken liege der „Sanierungsbedarf in vergleichbarer Größenordnung“, heißt es in der Drucksache.

In den vergangenen Jahren habe sich die Situation mit den zur Verfügung gestellten Mitteln an vielen Hochschulen verbessert. „Gleichzeitig kamen an anderer Stelle durch fortschreitende Abnutzung neue Aufgaben in diesem Bereich hinzu“, räumt Pfeiffer-Poensgen ein. Die Sanierung und Modernisierung des Gebäudebestands an den Hochschulen und Universitätskliniken müsse „als Daueraufgabe verstanden werden, die nicht in einem bestimmten Zeitraum erledigt werden“ könne. 

Sanierungsstau betrifft auch Universitätskliniken

Matthi Bolte-Richter, hochschulpolitischer Sprecher der Grünen im Düsseldorfer Landtag, verlangt von der parteilosen Ministerin ein beherzteres Zupacken. „Die Landesregierung verschleppt die notwendigen Investitionen in die Hochschulen. Der Sanierungsbedarf an den Hochschulen und Universitätskliniken liegt bei zwölf Milliarden Euro, aber die Landesregierung gibt ihnen nicht ansatzweise genug Geld“, so der Politiker aus Bielefeld.

Schwarz-Gelb habe das von der rot-grünen Vorgängerregierung aufgelegte Sanierungsprogramm  auslaufen lassen ohne für adäquaten Ersatz zu sorgen. „Die Landesregierung  stellt jährlich 200 Millionen Euro bereit, woraus auch noch Neubauten und Forschungsgebäude bezahlt werden müssen. Allein die aktuellen Sanierungsfälle abzuarbeiten, würde bei diesem System weit mehr als 30 Jahre dauern“, erklärt Bolte. In der Zwischenzeit würde allerdings erneut ein hoher Sanierungsbedarf entstehen. 

Auch an den Universitätskliniken besteht ein erheblicher Sanierungsstau. „Ihnen gibt die Landesregierung 0,7 Milliarden Euro, obwohl sie festgestellt hat, dass der Sanierungsbedarf rund sechs Milliarden Euro beträgt“, kritisiert der Hochschulexperte der Grünen. Hinzu komme noch ein Investitionsbedarf in Höhe von 700 Millionen Euro für Sanierungen und den Neubauten bei Studierendenwohnheimen.

„Wir brauchen dringend ein Wissenschaftsmodernisierungsprogramm, mit dem der Sanierungsstau bei allen wissenschaftlichen Einrichtungen abgearbeitet werden kann. Dabei muss ein klimagerechter Standard angewendet werden“, fordert Bolte. 

Infrastruktur der Unis wurde vernachlässigt

In Nordrhein-Westfalen gibt es 14 öffentlich-rechtliche Universitäten, 16 öffentlich-rechtliche Hochschulen für angewandte Wissenschaften und sieben staatliche Kunst- und Musikhochschulen. An der Uni Duisburg-Essen zeigen sich die Sanierungsmängel nicht nur an den Universitätsgebäuden, sondern vor allem an der Infrastruktur, die zum Studierendenleben dazugehört. „Als man sich entschlossen hat, mehr universitäre Bildung anzubieten, hat man das Drumherum vergessen“, sagt Marten Dahlhaus, Vorsitzender des Verwaltungsrates des Studierendenwerks der Uni.

Es gehe nicht darum, nur einen Lernort bereit zu stellen, sondern auch um Wohnraum, Essensmöglichkeiten und interkulturellen Austausch. „Mehr Möglichkeiten für Studierende zu schaffen, heißt nicht nur, größere Unis zu bauen, sondern auch die Infrastruktur dafür zu schaffen – und die muss stärker bezuschusst werden.“ Momentan bekommen die Studierendenwerke aber eher weniger als mehr Unterstützung, sagt Dahlhaus.

Steckdosen fehlen besonders

Aylin Kilic, Vorsitzende des AStA der Uni Duisburg-Essen, sieht das ähnlich. Man habe bei der Planung der Universitäten wahrscheinlich nicht weit genug gedacht, sagt die Studentenvertreterin: „Damals dachte man noch, Studierende lernen nur in der Bibliothek und deswegen gibt es heute so wenige Lern- und Arbeitsplätze auf dem Campus.“ Ganz besonders fehle es auch hier an Steckdosen.

An der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen (RWTH) hat man das Steckdosen-Problem gelöst, indem man sie von der Decke hängen lässt. Das gelte aber nur in den Gebäuden, die schon etwas älter sind“, sagt Karl Hammer, Referent des AStA der RWTH.  „Insgesamt sind die Lernorte hier aber gut ausgestattet, es gibt genug Möglichkeiten zum Arbeiten.“

Trotzdem zeige sich auch hier der Sanierungsmangel, sagt Hammer. Viele Hörsäle seien baufällig und deswegen zum Teil geschlossen – so etwa das Kármán-Auditorium, einem Hörsaal-Komplex der Uni. „Wenn so große Räume nicht genutzt werden können, wird es eng auf dem Campus. Irgendwo muss man die Studierenden unterbringen.“

Zeitgleich gebe es auch Fortschritte: 2018 waren 94 Prozent der Plätze in Aachener Studierendenwohnheimen sanierungsbedürftig. Hammer sagt, daran werde nun gearbeitet. „Ganz im Gegensatz zu den Hörsälen.“

Sanierungsstau entwickelte sich über Jahre

Stefan Nacke ist der wissenschaftspolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion. Er weist den Vorwurf, die schwarz-gelbe Landesregierung unternehme zu wenig für die Wissenschaftsstandorte, zurück: „Der Sanierungsstau hat sich über Jahrzehnte bereits vor 2017 gebildet und die rot-grüne Vorgängerregierung war nicht in der Lage, ihn abzubauen. Der NRW-Koalition ist es dagegen mit der Ablösung der Sonderprogramme durch eine substantielle Erhöhung dauerhafter Mittel gelungen, qualitative Verbesserung zu erreichen“, so Nacke. Dieser Systemwechsel auf die sogenannte „Mietausgaben-Budgetierung“ bedeute allein in der aktuellen Legislaturperiode eine Milliarde Euro.  

Daniela Beihl, hochschulpolitische Sprecherin der FDP-Landtagsfraktion, weist darauf hin, dass Schwarz-Gelb  bei der bei Regierungsübernahme 2017 einen großen Sanierungsstau und lange Verfahrenswege über den BLB übernommen habe: „Mit dem neuen Hochschulfreiheitsgesetz ermöglichen wir den Hochschulen mit dem Optionenmodell die Bauherreneigenschaft selber zu übernehmen“. Die Wirkung des Gesetzes werde sich in den kommenden Jahren bei Bauvorhaben entfalten, glaubt die Politikerin aus Espelkamp.

Konjunkturpaket soll Unikliniken unterstützen

Die Corona-Pandemie hat deutlich gemacht, wie wichtig eine leistungsfähige Hochschulmedizin ist. Im vergangenen Jahr brachte Schwarz-Gelb deshalb ein Konjunkturpaket speziell für die Unikliniken in Höhe von einer Milliarde Euro auf den Weg.

Ein Sprecher der Uniklinik Köln erklärte, in den vergangenen Jahren sei ein großer Investitionsstau und Sanierungsbedarf aufgelaufen. So würde die Sanierung und Erweiterung der HNO-Klinik rund 30 Millionen Euro kosten. Für die Erneuerung der Augenklinik aus den 50er Jahren müssten 25 Millionen Euro veranschlagt werden. Auch ein neues Zentrum für Infektionsmedizin mit Ambulanzstrukturen und Laboren für die Diagnostik stehen auf der Wunschliste. Experten rechnen mit Kosten von rund 120 Millionen Euro.

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