Machtkampf in der NRW-CDUHendrik Wüst will Kronprinz werden

Lesezeit 7 Minuten
Verkehrsminister Hendrik Wüst will Nachfolger von Armin Laschet als Ministerpräsident werden.

Verkehrsminister Hendrik Wüst will Nachfolger von Armin Laschet als Ministerpräsident werden.

Düsseldorf – Hendrik Wüst ist im März Vater geworden. Die kleine Philippa ist das erste Kind des 45-Jährigen. Ein Ereignis, das den Blick des NRW-Verkehrsministers auf die Politik verändert hat, wie er sagt. „Eigene Kinder machen einem noch mal viel bewusster, dass Politik sich nicht nur auf die Bedürfnisse der heutigen Generation konzentrieren darf, sondern auch und gerade die Zukunft unserer Kinder in den Blick nehmen muss“, sagte der NRW-Verkehrsminister dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Die großen Themen wie Klimaschutz, Staatsverschuldung, Erhalt unseres Wohlstandes bekämen als Vater eine persönlichere Dimension. Er habe sich vorgenommen, seiner Tochter „eine lebenswerte Welt“ zu hinterlassen.

Wie gut es um die Zukunft bestellt ist, kann Wüst möglicherweise bald in einer herausragenden Rolle selbst mitgestalten. Viele in der CDU sehen den Münsterländer als Top-Favoriten für die Nachfolge von Armin Laschet als Ministerpräsident von NRW. Am Montag will der Landesvorstand der CDU die Weichen für die künftige Aufstellung der NRW-CDU stellen. Zunächst geht es darum, einen Nachfolger für Laschet als Landesvorsitzender zu finden.

Das könnte Sie auch interessieren:

Wüst-Unterstützer wollen wissen, dass sich bereits sechs von acht Bezirksvorsitzende für Wüst als Landeschef ausgesprochen haben. Kritiker halten das für Wunschdenken. Wüst gibt sich gelassen, verweist darauf, die Gremien würden entscheiden: „Wenn man sich öffentlich nur mit sich selbst beschäftigt, darf man sich nicht wundern, wenn die Inhalte nicht durchkommen." Ein Theater wie mit der CSU in Berlin dürfe sich in NRW nicht wiederholen. „Wir brauchen eine Lösung, die gut ist fürs Land und für die Partei. Die Lösung muss klar und zukunftsgerichtet sein“, sagt Wüst.

Alles zum Thema Hendrik Wüst

Wüst will eine Vorentscheidung

Diese Beschwörungsformel lässt sich auch als ein Statement in eigener Sache lesen. Wüst ist offenbar fest entschlossen, eine Vorentscheidung im Kampf um die künftige Führung der NRW-CDU herbeizuführen. „Hendrik will es jetzt wissen“, sagt ein Mitglied des Landesvorstands. Ein Unterfangen, bei dem wertvolles Porzellan zu Bruch gehen könnte, fürchten die Wüst-Skeptiker in der NRW-CDU.

Der groß gewachsene Fan des 1. FC Köln hinterlässt bei öffentlichen Auftritten meist einen smarten Eindruck. Auf den Gruppenfotos des NRW-Kabinetts wirkt er wie ein Jungspund. Dabei ist Wüst schon lange im politischen Geschäft. 2005 kürte Jürgen Rüttgers ihn überraschend zum Generalsekretär der NRW-CDU. Wüst war früh ganz oben – erlebte dann aber einen dramatischen Absturz, den viele politisch nicht überlebt hätten.

Rücktritt vor der Landtagwahl 2010

In der Regierungszeit von Jürgen Rüttgers sah es lange danach aus, als ob die CDU die Wiederwahl im Schlafwagen nach Hause fahren würde. Die SPD lag am Boden, die neue Landeschefin Hannelore Kraft galt als Notbesetzung, nachdem die Genossen sich selbst zerlegt hatten. Doch auf den letzten Metern unterliefen der Union folgenschwere Fehler. Kampagnen gegen die SPD („Kraftilanti“) wirkten überdreht, ein Maulwurf lancierte peinliche interne E-Mails zwischen Staatskanzlei und CDU-Zentrale, in denen gefeixt wurde, man müsse Kraft „immer auf die Omme“ geben.

Wenige Wochen vor der Abstimmung wurde die „Rent-a-Rüttgers-Affäre“, bei er es um bezahlte Auftritte des Ministerpräsidenten an Messeständen von Firmen ging, zur schweren Belastung. Wüst übernahm die Verantwortung für das Desaster und trat zurück.

Die Landtagswahl ging für die CDU verloren. Bei der Suche nach den Schuldigen zeigten viele in der CDU mit dem Finger auf Wüst. Der Jurist akzeptierte die Rolle des Sündenbocks und begab sich, wie er selbst oft sagte, in ein „Abklingbecken“. Mit einem Comeback hatten wohl nur wenige gerechnet. Ist die Vergangenheit als gescheiterter CDU-General nicht eine zu schwere Hypothek für die künftige Spitzenkandidatur?

Wüst tickt jetzt anders als mit Anfang 30

Wüst gibt auf die Frage den Geläuterten: „Natürlich hat es mich geprägt, dass nicht immer alles geradlinig verlaufen ist. Es war Glück und Unglück in einem, dass ich damals noch so jung war“, sagte er unserer Zeitung. Mit Mitte 40 ticke man „natürlich auch anders als mit Anfang 30“. Inzwischen habe er einen Rat angenommen, den er früher „zu oft ignoriert“ habe. „Ich gönne mir jetzt auch mal einen Moment, die Dinge zu durchdenken und ab und an auch mal eine Auszeit."

Vielleicht, so sagt der Verkehrsminister, der im kleinen Ort Rhede (Kreis Borken) geboren wurde, sei er auch deshalb „ruhiger und gelassener und nicht mehr so streitlustig und ungestüm wie damals“. Er gehe „achtsamer mit den Gefühlen anderer“ und mit sich selbst um. „Ich bin Armin Laschet sehr dankbar, dass ich eine Chance bekommen habe, mit einer guten Portion Erfahrung und auch Demut heute wieder mitzuarbeiten.“

Seit 2017 durfte Wüst wieder in der ersten Reihe mitspielen. Mit seiner Berufung zum Verkehrsminister hatte er selbst nicht gerechnet. Wüst, Chef der Mittelstandsvereinigung, gehört dem konservativen Wirtschaftsflügel an. Er hatte keinen engen Draht zu Laschet. Der wollte aber alle Strömungen – und auch potenzielle Kritiker – in die Regierung mit einbinden. Dass Wüst zum Kronprinzen werden könnte, war damals nicht abzusehen.

Wüst hat ein Mandat, Ina Scharrenbach nicht

Armin Laschets Ambitionen auf die Kanzlerschaft und die zeitlichen Abläufe haben Wüst nun eine komfortable Ausgangssituation beschert. Denn: Sollte Laschet im Herbst Kanzler werden, würde er die Legislaturperiode in NRW, die bis Mai 2022 andauert, nicht als Regierungschef in Düsseldorf zu Ende führen können. Für den Fall einer Nachwahl sieht die Landesverfassung vor, dass der neue Ministerpräsident aus den Reihen des Parlaments gewählt werden muss. Wüst verfügt über ein Mandant. Die ehrgeizige Bauministerin Ina Scharrenbach und der populäre Innenminister Herbert Reul gehören dem Parlament nicht an - und sind damit außen vor.

Mehr Auswahl bei den Bewerbern könnte nur die Änderung der Landesverfassung bringen, für die wohl keine Mehrheit zustande käme. Es gehe darum, bei der Bundestagswahl eine bürgerliche Mehrheit für Armin Laschet zu erkämpfen und die erfolgreiche Regierungsarbeit in NRW nach der Landtagswahl fortzusetzen, sagt Wüst: „Für beides werden wir uns optimal aufstellen“, verspricht der Verkehrsminister.

Ausgang des Machtkampfs ist noch offen

Die Stimmen, die sich offen für Wüst aussprechen, mehren sich. „Die NRW-CDU muss jetzt Klarheit schaffen und die Weichen für die Zukunft stellen“, sagt der Landtagsabgeordnete Oliver Kehrl. „Hendrik Wüst sollte Parteivorsitzender und Spitzenkandidat bei der Landtagswahl werden“, fügt der der Politiker aus Köln hinzu: „Eine geeinte NRW-CDU sorgt für den Rückenwind, der Armin Laschet zum Kanzler machen wird.“ Romina Plonsker, Landtagsabgeordnete aus dem Rhein-Erft-Kreis, sieht das ähnlich: „Wir brauchen jetzt eine langfristige Perspektive für die NRW-CDU  – und die bietet  Hendrik Wüst.“

Ob es am Ende tatsächlich auf Wüst als neuen Frontmann hinausläuft, ist allerdings noch nicht in trockenen Tüchern. Alte Weggefährten des Ministerpräsidenten wollen Laschet die Tür für eine Rückkehr nach NRW im Fall einer Niederlage bei der Bundestagswahl offen halten. Andere stoßen sich an Wüsts Bestreben, die Angelegenheit schnell in seinem eigenen Sinne zu klären. „Da ist wieder der alte Hendrik, der die Ellenbogen ausfährt“, entfuhr es einem Bezirksvorsitzenden. Er plädiert für eine Interimslösung an der Parteiführung, bis die Stimmen bei der Bundestagwahl ausgezählt sind.

Reul ermahnt die CDU zur Einigkeit 

Für die Mission wäre wohl Innenminister Reul der aussichtsreichste Kandidat. Der Politiker aus Leichlingen, der als früherer Generalsekretär gut weiß, wie die Partei tickt, ruft die CDU zur Einigkeit auf. „Ich will, dass die CDU die Bundestagswahl gewinnt und Armin Laschet Bundeskanzler wird. Deshalb halte ich all die durchschaubaren Personal- und Pöstchendebatten für falsch und gefährlich“, sagte der Politiker aus Leichlingen unserer Zeitung. Man müsse sich endlich mit den politischen Gegnern in Berlin beschäftigen: „Wir haben keine Zeit für interne Nachfolgediskussionen und sonstige gute Ratschläge."

Am Ende, so heißt es in der CDU, werde Laschet entscheiden, wie es in der NRW-CDU weitergehen soll. Der hat sich bislang nicht in die Karten blicken lassen. Wüst glaubt nicht, dass es über die Nachfolge-Frage zu einem Zerwürfnis kommt. „Wir werden den Laden in Nordrhein-Westfalen gut zusammenhalten, weil wir uns alle gut verstehen“, sagt der Verkehrsminister. Dies sei übrigens ein Verdienst von Armin Laschet.

KStA abonnieren