BundestagFDP nennt sich „klimaneutrale Fraktion“ – Kritik von Umweltschützern

Lesezeit 4 Minuten
Das Heizkraftwerk Tiefstack in Hamburg im rötlichen Schimmer der Dämmerung.

Heizkraftwerk Tiefstack in Hamburg.

Die FDP im Bundestag gleicht Emissionen über den CO2-Handel aus. Die Deutsche Umwelthilfe kritisiert, dass die Partei dabei etwas nicht bedenke.

Die Überraschung war groß, als nicht etwa die Grünen, sondern die FDP stolz diesen frischen Triumph verkündete: Im Bundestag stelle sie nun „die erste klimaneutrale Fraktion“. Das war vor gut drei Jahren, und schon damals wollten die Liberalen damit „zeigen, dass eine Bundestagsfraktion auch klimaneutral sein kann“ und empfahl ihr Vorgehen für ganz Deutschland – nämlich ein „Zusammenspiel von Technologie, Markt und Klimaschutz“.

Erstaunlich ist, dass seitdem keine weitere Fraktion ähnliche Erfolge vermeldete, auch hier: nicht einmal die Grünen. Dafür stimmt die FDP nun zum zweiten Mal ein Klimaloblied an – schon wieder auf sich selbst: Erneut arbeite man als „klimaneutrale Fraktion“, verlautbaren die Liberalen, und liefern ein frisches Zertifikat mit.

„Die Fraktion der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag fördert direkten Klimaschutz in Europa mit For Tomorrow“, beglaubigt da die gleichnamige Organisation, „kompensiert 388,9 Tonnen CO2-Ausstoß und bewirkt, dass 388,9 Emissionsrechte (EUA) stillgelegt werden“. Dies entspreche der Abschaltung eines Steinkohlekraftwerks für acht Stunden, ergänzt die Urkunde noch.

Und das macht eine ganze Fraktion „klimaneutral“? Das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) hat die FDP-Rechnung zur Expertenprüfung vorgelegt – und Skepsis geerntet.

Die Rechnung der Liberalen geht so: Der jährliche CO2-Fußabdruck ihrer Fraktion wird für 2022 auf rund 389 Tonnen geschätzt, erklären sie dem RND. Dort fließen Dienstreisen der Fraktionsmitarbeiter ein, ebenso Auslandsreisen der Abgeordneten, Arbeitswege der Fraktionsmitarbeiter, die Emissionen der Fraktionsfahrzeuge sowie der Energieverbrauch der Fraktion in allen Bundestagsgebäuden – und sogar der Strom im Homeoffice und bei Veranstaltungen der FDP-Fraktion. Auch Büromaterialien seien eingerechnet, erklärt die Fraktion – wobei man ja ohnehin papierlos arbeite.

FDP: „Alle Emissionen vollständig ausgeglichen“

Für die geschätzte Summe des so ausgestoßenen CO2 hat sich die FDP über die gemeinnützige Berliner Organisation Kompensationszertifikate gekauft – und sei damit klimaneutral, erklärt ihr Fraktionsvize Lukas Köhler. Man habe „erneut alle durch unsere Arbeit angefallenen CO2-Emissionen durch die Stilllegung von CO2-Zertifikaten vollständig ausgeglichen“, sagte Köhler dem RND.

Weil in der EU Energieversorger, Großindustrie und Fluglinien nur dann CO2 ausstoßen dürfen, wenn sie dafür Verschmutzungsrechte erwerben und deren Anzahl begrenzt ist, trage die FDP durch die Stilllegung der Zertifikate also zur Verknappung und damit „aktiv zur Einhaltung der Klimaziele bei“, erklärt er. „Als FDP-Fraktion lassen wir Taten sprechen und nutzen den Emissionshandel, wofür er auch gedacht ist: effizienten und effektiven Klimaschutz“, so Köhler.

Genau das bestreiten Umweltschützer allerdings nach Prüfung der FDP-Zertifikate. „Statt tatsächlich CO2-arme Dienstwagen zu nutzen oder Dienstflüge zu reduzieren, rechnet sich die FDP mit einem Taschenspielertrick klimaneutral“, sagte der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, Jürgen Resch, dem RND. „So funktioniert Klimaschutz nicht. Der europäische Emissionshandel sieht nämlich die Freigabe von bis zu 200 Millionen aus der sogenannten Markt-Stabilitäts-Reserve vor, wenn die Gesamtmenge eine Untergrenze unterschreitet.“

Umwelthilfe: „So funktioniert Klimaschutz nicht“

Wenn die FDP wirklich in einen Wettbewerb um Klimafreundlichkeit treten wolle, solle sie „ehrlich CO2 reduzieren, zum Beispiel alle Verbrenner-Dienstwagen ihrer Abgeordneten durch effiziente Elektro Pkw ersetzen und aufzeigen, wie sie erfolgreich durch den Verzicht auf Einweg-Verpackungen Müll vermeiden und in der Büroheizung und Klimatisierung Energie sparen“, so Resch.

Es wäre hingegen begrüßenswert, wenn die FDP-Bundestagsfraktion insgesamt transparent die Entwicklung ihrer Klimagasemissionen veröffentlichen würde. „Bei Dienstwagen, Reiseverhalten und Flugnutzung gehen aber gerade FDP-Spitzenpolitiker eher mit schlechtem Beispiel voran“, klagt der Umweltlobbyist mit Blick auf die jährlichen Dienstwagen-Bewertungen, die sein Verein seit vielen Jahren durchführt. „Würde sich ein Unternehmen mit solchen Methoden das Etikett ‚klimaneutral‘ verpassen, würden wir das als Verbrauchertäuschung bezeichnen und rechtlich verfolgen.“

Auch an der konkreten Kompensation hat Resch Zweifel: „Das Emissionshandelssystem der EU, das genutzt wurde, ist für Außenstehende ungeeignet, ‚klimaneutral‘ zu werden. Es ist eben kein geschlossenes System und damit ungeeignet, tatsächlich CO2-Emissionen einzusparen.“ Allein der Preis für die erworbenen Zertifikate spreche Bände: „Der Wert der stillgelegten Emissionszertifikate liegt bei rund 2000 Euro im Monat, das entspricht gerade einmal den Leasingkosten für einen gehobenen Verbrenner-Dienstwagen“, so der DUH-Experte.

Einen Wettbewerb zwischen den Bundestagsfraktionen um den niedrigsten CO2-Fußabdruck pro Abgeordneten würde er sehr begrüßen, so Resch. „Aber sich auf diese unseriöse Weise per Ablasshandel eine angebliche Klimaneutralität selbst auszustellen, ist für mich Verbraucher- und Wählertäuschung.“

KStA abonnieren