Das StreitgesprächSollen Läden immer geöffnet haben?

Lesezeit 6 Minuten
Rewe Einkaufskorb

Symbolbild

  • Seit Jahren gibt es Diskussionen um verkaufsoffene Sonntage und Öffnungszeiten von Geschäften an Feiertagen.
  • Stellt sich die grundlegende Frage: Sollte man seine Gemüsebrühe auch sonntags um halb drei nachts im Supermarkt kriegen?
  • Ein Liberaler diskutiert mit einem, der den Feiertag schützen will.

Köln – Pro: „Supermärkte gehören in Großstädten zur öffentlichen Daseinsvorsorge“

Alexander Holecek

Neulich im Rewe: Da stand ein Herr an der Kasse, der  glaubte, sich bei der Kassiererin entschuldigen zu müssen: „Ich weiß ja, um die Zeit sollte man nicht mehr einkaufen. Aber heute ging es nicht anders. Ich hoffe, Sie müssen nicht mehr  lange arbeiten, junge Frau.“

Es war 19.30 Uhr, und man kann sich schon fragen, aus welcher Zeit der Mann stammt. Jedenfalls, welch ein Glück: Kurz vor Mitternacht (manchmal vergisst man ja was) saß die Frau immer noch hinter der Kasse und machte ihren Job – wie Millionen andere Deutsche zu der Zeit. Der Laden war voll, sie lächelte nicht, aber sie lächelt eigentlich nie.

Ständige Verfügbarkeit von Lebensmitteln gehört zum modernen Leben

Wenn der Supermarkt wie früher seit 19 Uhr geschlossen gewesen wäre, hätten weder der Herr, noch alle anderen nach ihm einkaufen können, von denen wahrscheinlich viele selbst gerade von der Arbeit kamen. Es wäre ein elementarer Einschnitt in unser Leben gewesen. Denn Supermärkte gehören doch gerade in Großstädten zur öffentlichen Daseinsvorsorge wie Krankenhäuser, der öffentliche Nahverkehr und fließend Wasser.

Alex Holecek Supermärkte

Will immer einkaufen: Alexander Holecek

Die ständige Verfügbarkeit von Lebensmitteln und anderen Alltagsgütern gehört zu unserem modernen Leben. Und es ist eine riesige Errungenschaft unserer liberalen Gesellschaft, dass jeder zu jeder Zeit tun kann, worauf er Lust hat. Den Fernseher anzumachen oder eben Brot zu kaufen.

Nahversorgung soll eine Ausnahme sein?

Dafür braucht es aber eine Infrastruktur, die das ermöglicht und wie es sie in Teilen ja schon gibt. Wir fahren nachts Eisenbahn, gehen in die Kneipe, lesen Zeitungen, die nachts gedruckt und ausgeliefert werden. Und weil der Ferienflieger nach Bodrum morgens um fünf am günstigsten ist, fahren wir nachts mit dem Taxi zum Flughafen. Dass Pflegeheime, Polizeiwachen und Elektrizitätswerke rund um die Uhr besetzt sind, hinterfragt niemand. Im Gegenteil: Wir erwarten es sogar. Mit Recht.

Das könnte Sie auch interessieren:

Aber Nahversorgung soll nun eine Ausnahme sein? Dafür gibt es keinen Grund. Es wird Zeit, dass Supermärkte, Drogerien, Einkaufszentren, Kioske und Bäckereien rund um die Uhr offen  sind, auch sonntags und an  Weihnachten. Das hülfe übrigens nebenbei den Innenstädten im Behauptungskampf gegen den Internethandel, wo in den Warenlagern ebenfalls rund um die Uhr gearbeitet wird. Und wer nachts nicht einkaufen will, lässt es halt. Niemand wird gezwungen.

„Unchristlich“ ist kein Argument

Das Leben wäre doch viel zu langweilig, wenn es nur bis Einbruch der Dunkelheit stattfände. Das Testbild im Fernsehen nach Nachrichten und Nationalhymne ist ja auch Geschichte. Harald Schmidt war doch viel lustiger. Und warum ist Köln so provinziell, dass es unter der Woche keinen  Nachtverkehr bei Bus und Bahn hat? In Berlin, München und Wien gibt es den schon lange.

Wer alles, was vom werktäglichen nine-to-five abweicht, „unchristlich“ nennt, sollte mal den Pfarrer in der Osternacht fragen, ob er das beruflich macht. Jeder vierte Beschäftigte arbeitet nach 19 Uhr oder samstags oder beides, jeder siebte sonntags, jeder zehnte nachts. Und längst nicht alle empfinden das als Zumutung. Wer sich entscheidet, LKW-Fahrer, Flugbegleiter oder Barkeeper zu werden, weiß, worauf er sich einlässt. Aber er tut es trotzdem, weil er es will oder Zuschläge für Nächte und Wochenenden bekommt.

Für Supermarktkassierer sollte das Gleiche gelten. Wer um 15 Uhr Feierabend haben will und freitags gerne etwas früher, kann ja Lehrer werden oder beim Straßenverkehrsamt anfangen.

Joachim Frank, 54, Chefkorrespondent, würde an Sonn- und Feiertagen  auch gern mal shoppen gehen. Aber mit einer „Ich will immer und überall alles  tun können, was ich   will“-Egozentrik lässt sich keine Gesellschaft organisieren. Die Sonntagsruhe  folgt keiner Verbotslogik, sondern eröffnet einen Freiheitsraum.

Contra: „Ich. Ich. Ich. Meine Freizeit. Mein Konsum. Meine Interessen über alles“

Klar nervt es mich, wenn ich am Karfreitag nicht tanzen gehen darf, obwohl ich das doch an allen  anderen 364  Tagen im Jahr  tun könnte. Klar finde ich das doof, dass ich an meinem freien Sonntag nicht endlich auf die Ehrenstraße zum Shoppen gehen kann, weil die Geschäfte an diesem Tag geschlossen bleiben müssen.

Joachim Frank Supermärkte

Joachim Frank legt Wert auf Arbeitsruhe am Sonntag.

Ich. Ich. Ich. Meine Freizeit. Mein Konsum. Meine Interessen über alles. So kann eine Gesellschaft nicht funktionieren. Die Widersprüchlichkeit der Forderung nach unbegrenzter Ladenöffnung beginnt schon damit, dass anderen nicht zugestanden werden soll, wovon ich selbst profitiere: einem verlässlich freien Tag, an dem ich mich verabreden, einen Ausflug machen, bummeln gehen oder einfach abhängen kann.

Eingriff auf die Planung in der Familie und im Freundeskreis

Für  mein persönliches Einkaufsvergnügen müssten Verkäufer und Verkäuferinnen in den Kaufhäusern und Supermärkten stehen, Lieferanten durch die City kurven, Einzelhändler ihre Familien daheim allein sitzen lassen.

Natürlich ließe sich die gesetzliche Fünf-Tage-Woche theoretisch so organisieren, dass ein Teil der arbeitenden Bevölkerung am Dienstag und Donnerstag frei hat, ein anderer  am Montag und Freitag und wieder ein anderer halt am Mittwoch und Sonntag. Aber was hieße das für die Planung schon eines ganz simplen Familientreffens? Von Unternehmungen im Freundeskreis oder Vereinsaktivitäten gar nicht zu reden und – ja, auch das – vom Sonntagsgottesdienst. Zu dessen Schutz gelangte das Verbot der „typisch werktäglichen Geschäftigkeit“ (so das Bundesverfassungsgericht in einem Urteil aus dem Jahr 2010) an Sonn- und Feiertagen ursprünglich einmal in die Weimarer Reichsverfassung von 1919 und  30 Jahre später unverändert auch ins Grundgesetz.

Der kollektive arbeitsfreie Sonntag sichert soziale Verbindungen

Das heißt: Der Sonntag als Tag der Arbeitsruhe und „seelischen Erhebung“ hat Verfassungsrang. Das ist kein Totschlagargument, zumal man die Verfassung ja auch ändern könnte. Aber da das Grundgesetz dem Individuum und seiner Entfaltung ansonsten größtmögliche Freiräume bietet, signalisiert der rechtliche Sicherheitszaun um den freien Sonntag, dass es dabei vielleicht doch um mehr geht als eine unsinnige, lästige Spaßbremse.

Der kollektive arbeitsfreie Sonntag sichert soziale Verbindungen. Er gibt dem Leben des Einzelnen und der Gesellschaft eine Struktur, einen Rhythmus  – der übrigens auch den biologischen und psychischen Bedürfnissen des Menschen entspricht. Es braucht weder einen miesepetrigen Kulturpessimismus noch  kapitalismuskritisches Herumnörgeln an einem angeblichen Konsumdiktat, um die Schutzwürdigkeit des Sonntags zu erkennen und zu verteidigen. Wenn, ja wenn nicht wieder die „Ich will immer und überall alles tun können, was ich will“-Egozentrik zum Maß der Dinge wird.

Ob Gott, der Herr (falls es ihn gibt), am siebten Schöpfungstage wirklich ruhte, wie es im ersten Buch der Bibel heißt, das kann getrost eine offene Frage bleiben. Klar aber ist, dass schon das Volk Israel den Wert einer wiederkehrenden Auszeit erkannt und mit dem Gütesiegel einer göttlichen Offenbarung versehen hat: „Du sollst den Feiertag (Sabbat) heiligen“, so steht es im dritten der Zehn Gebote. Es gilt für Mensch und Tier. Alle Kreaturen sollen sich regelmäßig von den Lasten und Mühen des Alltags erholen dürfen. Die Sonntagsruhe ist deshalb kein einengendes Verbot, sondern die Eröffnung eines Freiheitsraums.

KStA abonnieren