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Kritik an Grünen wächst„Ricarda Lang ist angekommen, wo sie offensichtlich hinwollte, beim Verrat“

Lesezeit 4 Minuten
Ricarda Lang, Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen (Archivbild)dpa

Ricarda Lang, Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen, findet mit ihrer Argumentation nicht überall Gehör. (Archivbild)

Bei „Anne Will“ und einer Pressekonferenz am Montag versucht Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang, Lützerath zum Erfolg zu erklären. Klimaaktivisten sehen das anders – die einstige Grüne Jutta Ditfurth auch.

Nach der Räumung von Lützerath knirscht es weiter zwischen den Grünen und Anhängern der Klimabewegung, die in der Vergangenheit als großer Unterstützer der Partei galt. Ricarda Lang warb offenbar auch deshalb zu Wochenbeginn um Verständnis für die Position der Partei.

Bereits bei einem Auftritt in der ARD-Talkshow „Anne Will“ am Sonntagabend hatte Lang auf die Erfolge der Grünen in Sachen Klimaschutz und Kohleausstieg hingewiesen. Am Montag legte die Parteichefin bei einer Pressekonferenz dann noch einmal nach.

Ricarda Lang: „Wenn wir keine Kompromisse machen würden, würde einfach gar nichts passieren“

„Wenn man 1,5 anschaut, dann kann man sich heutzutage mit kaum noch einem Kompromiss wirklich zufrieden geben“, sagte die Co-Parteivorsitzende am Montag in Berlin mit Blick auf das im Pariser Klimaabkommen festgehaltene Ziel, die Erderwärmung möglichst auf 1,5 Grad im Vergleich zur vorindustriellen Zeit zu begrenzen. „Und gleichzeitig ist klar: Wenn wir keine Kompromisse machen würden, dann würde beim Klimaschutz einfach gar nichts passieren. Denn die wenigsten anderen Parteien haben daran ein ernsthaftes Interesse.“

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Damit setzte Lang ihre Argumentation aus der ARD-Talkshow fort. Bei vielen Anhängerinnen und Anhängern der Grünen sowie Klimaaktivisten kommt die Position der Grünen derweil nicht gut an. Unter einem Tweet der Partei, der auf einen Livestream von Langs Pressekonferenz verlinkte, sammelten sich auch am Montag negative Kommentare.

Kritik von der Klimabewegung für die Grünen: „Unnötiger grüner Populismus“

„Eure Verhandlungsposition auf diese zwei Alternativen zu reduzieren, ist leider unnötiger grüner Populismus“, schrieb David Dresen, Aktivist bei der Gruppe „Alle Dörfer bleiben“. Auch die ehemalige Grünen-Politikerin Jutta Ditfurth kritisierte Lang mit scharfen Worten. „Man hört die Ausreden, sieht Mimik und Rhetorikschulungen und wendet sich angesichts des Politiker*innengesülzes mit Grausen ab“, kommentierte Ditfurth ein Video von Langs Pressekonferenz. „Ricarda Lang ist angekommen, wo sie offensichtlich hinwollte, beim Verrat“, schrieb Ditfurth weiter.

Bereits während der ARD-Sendung am Sonntagabend hatte sich „Fridays for Future“-Aktivistin Luisa Neubauer positioniert – und den „Erfolg“ der Grünen bezweifelt. „Wir reden hier von Kompromissen“, hatte Neubauer gesagt. „Der große Kompromiss, an den sich die Bundesregierung zu halten hat, ist das Pariser Abkommen“, erklärte Neubauer, die zu den prominentesten Klimaaktivisten in Deutschland gehört. 

Dafür gab es Zustimmung vom Bundessprecher der Grünen Jugend, Timon Dzienus. „Damit hat Luisa Neubauer alles gesagt, was wichtig ist“, schrieb Dzienus bei Twitter. Auch die politische Konkurrenz äußerte sich kritisch. „Eine Partei kappt ihre Wurzeln“ befand der Magdeburger Linken-Politiker Robert Fietzke. „Kein Wort des Zweifels, kein Wort über verletzte Klima-Aktivist*innen.“

Es gibt auch Zuspruch für die Grünen: „Ricarda Lang argumentiert bei Anne Will sehr gut“

Vereinzelt gab es jedoch auch Zuspruch für die Parteichefin. „Ricarda Lang argumentiert bei Anne Will sehr gut, warum der Kohleausstieg 2030 im Westen und das Retten von fünf Dörfern und drei Höfen ein schmerzhafter, aber richtiger Kompromiss war“, lobte der freie Politikberater Lucas Gerrits, bekam dafür aber prompt Kontra von „Alle Dörfer bleiben“-Aktivist Dresen. „Ich werd’ euch nie wieder wählen“, lautete seine Antwort.

Ähnliche Kritik hatte sich am Freitag bereits die Chefin der NRW-Grünen und stellvertretende NRW-Ministerpräsidentin Mona Neubaur gefallen lassen müssen, als sie auf Twitter ausführlich um Verständnis für die Position der Partei geworben und den Kompromiss für den Kohleausstieg im Jahr 2030 als Erfolg bezeichnet hatte.

Der Energiekonzern RWE, der die Kohle unter Lützerath abbauen will, habe spätestens seit März vergangenen Jahres einen „ausgeurteilten Rechtsanspruch auf das Gebiet dort“, sagte nun auch Lang. Wenn die Grünen nicht verhandelt hätten, wären Lützerath und fünf weitere Dörfer abgebaggert und 500 Menschen umgesiedelt worden.

Ricarda Lang drängt auf vorgezogenen Kohleausstieg in Ostdeutschland

Zunächst werde in Deutschland weiter Kohle zur Stromerzeugung gebraucht: „Für die nächsten Jahre ist klar, dass wir aufgrund des Angriffskrieges Putins auf die Ukraine erst mal mehr Kohle verstromen müssen, um die Energiesicherheit in diesem Land zu sichern.“

Lang drängte auch auf einen in Ostdeutschland von 2038 auf 2030 vorgezogenen Kohleausstieg. „Wenn sich die Ministerpräsidenten der Ost-Bundesländer aus Sachsen, Sachsen Anhalt und Brandenburg der Debatte um den Kohleausstieg 2030 verweigern, dann verweigern sie sich am Ende auch der Debatte um sichere Arbeitsplätze in ihren Bundesländern.“

Ricarda Lang zur Gewalt in Lützerath: „Es gibt Bilder, die auch mich schockieren“

Lang sagte, nach ihrem Eindruck sei der „ganz, ganz überwiegende Teil der Demonstrationen und Proteste“ in Lützerath friedlich gewesen. „Da, wo das nicht der Fall war, ist es natürlich nicht akzeptabel.“ Nach ihrem Eindruck sei auch die Polizei an vielen Stellen bei der Räumung sehr besonnen vorgegangen. „Gleichzeitig gibt es Bilder von diesem Samstag, gibt es Videos von diesem Samstag, die auch mich ehrlicherweise schockieren.“

Es sei deshalb wichtig, dass der Polizeieinsatz parlamentarisch aufgearbeitet werde und Polizeigewalt Konsequenzen habe. Aktivisten werfen der Polizei Gewaltexzesse bei der Großdemonstration am Samstag vor. Lang war zuvor in einigen Beiträgen in den sozialen Netzwerken dafür kritisiert worden, die Gewalt bei der Demonstration am Samstag bei ihrem Auftritt bei „Anne Will“ am Sonntagabend nicht angesprochen zu haben. (mit dpa)

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