Erstaufnahmelager für Flüchtlinge„Ankerzentren führen zu neuen Problemen“

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Ankerzentren dpa

In Bayern gibt es schon sieben Ankerzentren.

Berlin – Seit Anfang August gibt es in Bayern die ersten sieben sogenannten Ankerzentren, in denen Asylbewerber vom Tag der Ankunft bis zu ihrem Asylbescheid oder bis zur Abschiebung bleiben sollen. So will es vor allem die CSU, allen voran Bundesinnenminister Horst Seehofer, der sie auch in seinen „Masterplan Migration“ aufgenommen hat. Die CSU hat auch dafür gesorgt, dass die bundesweite Einrichtung solcher Ankerzentren im Koalitionsvertrag festgeschrieben wurde. Wie sie genau aussehen sollen, ist allerdings nach wie vor unklar.

Die Entscheidung liegt ohnehin bei den Ländern, und viele stehen der Idee skeptisch oder ablehnend gegenüber. Es überrascht kaum, dass bisher lediglich die CSU-Regierung in Bayern bereit war, an einer ersten Pilotphase teilzunehmen. Allerdings wurden auch in Bayern nur bereits bestehende Einrichtungen umbenannt. Auch Sachsen will noch im Lauf des Augusts ein Erstaufnahmelager in Dresden zum Ankerzentrum umfunktionieren.

„Ankunft, Entscheidung, kommunale Verteilung bzw. Rückführung“

AnKER, wie die offizielle Schreibweise lautet, steht für „Ankunft, Entscheidung, kommunale Verteilung bzw. Rückführung“, das heißt, alle am Asylverfahren beteiligten Landes- und Bundesbehörden sollen in den Zentren vertreten sein. Ziel ist es, Asylverfahren zu beschleunigen und von dort aus auch abgelehnte Bewerber direkt abzuschieben. Bis zu 1.500 Asylbewerber sollen in diesen Masseneinrichtungen leben, bis zu 18 Monate lang.

Die Kritik an den Plänen Seehofers reißt nicht ab, seitdem er im Frühjahr angekündigt hat, dass die ersten noch vor der Sommerpause anlaufen sollen. Auch der Koalitionspartner SPD drängt, dass er endlich Details vorlegen müsse. „Leider haben sich meine Befürchtungen bestätigt“, sagte der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius dieser Zeitung. „Herr Seehofer hat immer noch kein Konzept für die Ankerzentren auf den Tisch gelegt. An den bestehenden bayerischen Einrichtungen wurden jetzt lediglich die Türschilder ausgetauscht. Auf diese Schaufensterpolitik werde ich mich nicht einlassen.“

Kritik an den Ankerzentren

Kritik an den Ankerzentren übt auch der Rat für Migration, ein Zusammenschluss von Wissenschaftlern, die zum Thema Migration und Integration forschen. „Ankerzentren lösen keine Probleme, vielmehr führen sie zu neuen Problemen“, sagt Sabine Hess, Kulturanthropologin in Göttingen, die am Dienstag in Berlin die Ergebnisse einer Kurzstudie im Auftrag des Mediendiensts Integration vorstellte.

Die geplanten Zentren würden sehr wahrscheinlich weder zur einer Beschleunigung von Asylverfahren führen noch zur Entlastung der Kommunen, so Hess. Vielmehr würde es dort zu noch stärkerer Isolation und schweren psychosozialen Belastungen für die Geflüchteten kommen, befürchten Hess und ihre Koautoren. Zudem würden die Ankerzentren Integration verhindern. Der Rat für Migration fordert vielmehr, Flüchtlinge und Asylbewerber so möglichst dezentral unterzubringen.

Großunterkünfte führen zu Problemen

Dass Großunterkünfte zu Problemen führen, ist auch in vielen Kommunen unstrittig. In der Zeit der Massenflucht über den Balkan, als Hunderttausende Menschen nach Deutschland kamen, gab es aber keine andere Möglichkeit, sie schnell unterzubringen. Ein Beispiel dafür, dass auch solche Unterkünfte menschlich gestaltet werden können, ist die zentrale Erstaufnahmeeinrichtung des Landes Baden-Württemberg in Heidelberg.

Auf dem riesigen Gelände des Patrick-Henry-Village waren einst US-Soldaten untergebracht, im Dezember 2015 wurde das Aufnahmelager zum ersten bundesweiten „Ankunftszentrum“, in dem Mitarbeiter der Ausländerbehörde, des Bundesamts für Migration, der Arbeitsagentur, aber auch Ärzte, ehrenamtliche Helfer und Anwälte vor Ort sind. Abgeschoben, und das ist einer der wichtigsten Unterschiede zu den Ankerzentren, wird von dort nicht.

Anhörung findet in der Regel innerhalb von zehn Tagen statt

Innerhalb von drei Tagen werden alle Flüchtlinge, die in Baden-Württemberg ankommen, in Heidelberg registriert, erkennungsdienstlich und medizinisch behandelt, und sie stellen ihren Asylantrag. Die Anhörung findet in der Regel innerhalb von zehn Tagen statt. Dann werden sie weiterverteilt auf kleinere Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes und von dort, so sie eine positive Bleibeperspektive haben, in die Kommunen.

Damit die Menschen nicht nur herumsitzen und die Zeit totschlagen, gibt es im Ankunftszentrum ein breites Angebot von Kursen, für Kinder und Erwachsene. Sie dürfen sich auch jederzeit frei bewegen. „Die Bewohner werden nicht abgeschottet“, sagt Markus Rothfuß, der Leiter der Einrichtung. Die Umwandlung in ein Ankerzentrum lehnt der ehemalige Polizist ebenso ab wie der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann. „Wir bleiben bei unserem Modell“. (mit mdc)

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