Fast 500 EuroDarum zahlen viele Flüchtlinge horrende Mieten für ihr Zimmer

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Symbolbild

Köln – Das neue Leben von Ajmal E. steckt ordentlich abgeheftet in einem Aktenordner, Brief für Brief, Dokument für Dokument. Der 24-Jährige sitzt in seinem Zimmer in einer Flüchtlingsunterkunft in Leverkusen-Manfort.

Das Haus ist runtergerockt, es war wohl mal Bürogebäude, bevor es die Stadt angemietet hat. Nun ist es Ajmals Zuhause, auch wenn er sich schwertut, es so zu nennen. Ajmal hat sich sein Deutsch weitestgehend selbst beigebracht. Manchmal dauert es noch, bis sein Kopf die richtigen Wörter ausspuckt, aber: Er versteht die anderen, und die anderen verstehen ihn. Was die Stadt dem Asylbewerber aber Anfang des Jahres schreibt, das versteht Ajmal nicht. Er heftet das Blatt trotzdem ab. Dann zeigt er es einem deutschen Freund aus dem Fußballverein. Auch der versteht nicht so richtig. Es kommt ihm absurd vor.

Monatsmiete von fast 500 Euro

495 Euro. So viel soll Ajmal seit Januar für sein Zimmer im Übergangsheim zahlen. Für 15 Quadratmeter inklusive Bett, Glastisch, Sofa, Kühlschrank und einem Spint, der aussieht wie aus einer Schul-Turnhalle. Rattern dringt durch die Wände, der Waschmaschinenraum ist nebenan.

495 Euro. Das ist für Ajmal ein Vermögen. Erst recht seit er weg ist aus dem Dorf im Norden Afghanistans, wo die Taliban ihm gedroht haben sollen, sie würden ihn töten, wenn er bleibt. Ajmal blieb nicht.

495 Euro. Dafür könnte Ajmal woanders mit etwas Glück eine Zwei-Zimmer-Wohnung finden. Stattdessen hockt er im Schneidersitz auf einem Schreibtischstuhl und schüttelt den Kopf.

Erhöhung der Benutzungsgebühr

Bis Ende 2017 hat Ajmal rund 75 Euro für sein Zimmer bezahlt, zuzüglich Nebenkosten. Das konnte er selbst aufbringen, er arbeitete in Teilzeit bei der Deutschen Post. Manchmal verdiente er 800 Euro im Monat. Das reichte fürs Wohnen und Leben. Dann beschloss der Leverkusener Rat am 18. Dezember 2017 die Erhöhung der Benutzungsgebühr. Einstimmig. Und Ajmal war wieder abhängig vom Staat. „Das ist demütigend“, sagt er. Auch, wenn ihn eine Ausnahmeregelung für arbeitende Bewohner vom hohen Preis entbindet.

Das Leverkusener Vorgehen ist keine Besonderheit. Viele Kommunen in NRW haben kürzlich per Ratsbeschluss die monatlichen Gebühren für Flüchtlingsunterkünfte drastisch erhöht. In Köln kostet das Zimmer nun bis zu 54,09 Euro pro Quadratmeter. In Bornheim beschloss der Rat eine Erhöhung der Gebühren auf 20,60 Euro pro Quadratmeter.

Satzungen würden angeglichen

Preise, für die man auf dem freien Wohnungsmarkt ein Luxusapartment in Toplage findet. Auch Dortmund hob die Gebühren im März an, auf einen Pauschalbetrag von 393,16 Euro. In Düsseldorf sind es seit Januar durchschnittlich 119,57 Euro pro Person, in Bonn wird eine neue Satzung diskutiert, die laut Stadt „voraussichtlich deutliche Erhöhungen ergeben“ wird. Begründet werden die Beschlüsse alle nahezu identisch: Die Satzungen sind zehn bis mehr als dreißig Jahre alt.

Nun zeige sich, dass die tatsächlichen Kosten der Unterbringung für Flüchtlinge deutlich über der erhobenen Benutzungsgebühr lägen. In dem Preis enthalten sind ja auch Nebenkosten, Betreuung und Personal. Nun werde schlichtweg angeglichen. Es gibt aber noch einen weiteren Grund: Die Kommunen holen sich Geld vom Bund zurück. Es ist ein Trick.

Kommunen wollen sich Geld vom Bund sichern

Er funktioniert so: Für alle Menschen, die Hartz IV, Grundsicherung oder Leistungen für Asylbewerber beziehen, ihren Wohnraum also nicht selbst bezahlen können, übernimmt das Jobcenter die „Kosten der Unterkunft und Heizung“. Kostenträger ist eigentlich die Kommune. Aus ihrem Haushalt wird die Unterstützung bezahlt. So war es auch in den vergangenen Jahren bei Flüchtlingen. Ende 2016 allerdings beschloss der Bund, die Gebühren für anerkannte Asylberechtigte für die Jahre 2016 bis 2018 vollständig zu tragen – um die Kommunen zu entlasten. Steuergelder werden so vom Bundeshaushalt in den kommunalen Haushalt verschoben. Vermutlich, so deutet es der Koalitionsvertrag an, auch noch über das Jahr 2018 hinaus.

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Je höher die Kommunen die Gebühr für ein Zimmer im Übergangsheim ansetzen, desto mehr Geld bekommen sie vom Bund. Denn viele anerkannte Flüchtlinge leben noch immer in einer Unterkunft, weil es zu wenig sozialen Wohnungsbau gibt. Laut Zahlen der Kommunen, die der „Kölner Stadt-Anzeiger“ erfragt hat, sind in den fünf größten Städten in NRW im Schnitt ein Drittel der Bewohner von Flüchtlingsunterkünften schon anerkannt. Für sie zahlt der Bund.

Überwiesen wird aber nicht pro Flüchtling. Stattdessen errechnete man einen Beteiligungssatz, nach dem der Bund pro Bundesland ausschüttet. Für NRW waren das 2017 218 Millionen Euro. Weil nun die Gebühren und damit der Grundwert erhöht wurden, gilt: Tendenz steigend.

Ohne Härtefallregelung muss voller Zimmerpreis gezahlt werden

Für die beschäftigungslosen Bewohner der Übergangsheime ändert sich dadurch: nichts. Ob nun 50 oder 500 Euro pro Zimmer: Ihre Kosten wurden früher von der Kommune getragen, heute vom Bund. Bei Bewohnern, die arbeiten, Selbstzahlern wie Ajmal, werden in einigen Kommunen die hohen Kosten durch Härtefallregelungen ausgehebelt. So bezahlen sie nach Vorlage eines Einkommensnachweises beispielsweise in Köln und Leverkusen die alten Nutzungsgebühren.

In Bielefeld, Bornheim und Schwelm aber müssten laut dem Flüchtlingsrat NRW Selbstzahler die vollen Kosten tragen. „Das ist ungerecht. Da werden Menschen dafür bestraft, dass sie arbeiten gehen“, sagt Geschäftsführerin Birgit Naujoks.

Problem der Mehrkosten für Städte ist beim Bund bekannt

Auch beim Bund zeigt man sich wenig begeistert über das Vorgehen einiger Kommunen. Allerdings aus anderen Gründen. Das „Problem“ mit den Gebührenerhöhungen sei bekannt, heißt es auf Anfrage aus dem Bundesfinanzministerium. Beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat man die Befürchtung, einige Kommunen könnten das Geld nicht zweckgebunden verwenden. Das wäre illegal. „Es ist natürlich bekannt, dass große Lasten durch den Zuzug entstanden sind“, so ein BMAS-Sprecher: „Wenn einige Kommunen aber versuchen, sich durch die neue Mithilfe des Bunds nun »gesundzustoßen«, muss man denen auf die Finger klopfen. Da wird man einen intensiven Blick drauf werfen.“

Gegen den Verdacht des Missbrauchs spricht allerdings: Keine der Großstädte in NRW hat bisher die jährlichen Kosten für Unterkünfte durch die Gebühren nur annähernd decken können. So gab die Stadt Köln 2016 mehr als 120 Millionen Euro für Geflüchtete aus. Diese Summe bekäme sie bei rund 10.000 Flüchtlingen in städtischen Unterkünften selbst dann nicht wieder rein, wenn sie eine Gebühr von 1.000 Euro pro Person ansetzen würde.

Leerstehende Zimmer treiben Kosten in die Höhe

„Die Kommunen mussten 2015 schnell handeln und Unterkünfte schaffen. Durch langfristige und überhöhte Verträge sind so immense Kosten entstanden“, sagt Naujoks: „Deswegen waren die Preisanpassungen durchaus nötig.“ Mittlerweile aber stehen viele Unterkünfte leer.

Laut Zahlen des WDR, die sich mit Recherchen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ decken, sind derzeit fast ein Drittel der kommunalen Flüchtlingsunterkünfte in NRW nicht ausgelastet. „Und je weniger Menschen in einer Unterkunft leben, desto teurer muss letztlich ein Platz für Einzelpersonen werden“, sagt Naujoks. Sie befürchtet, dass die Kommunen wegen der Bundesbeteiligung in Zukunft weniger Aufwand betreiben könnten, um Flüchtlinge auf dem freien Wohnungsmarkt zu vermitteln. „Durch die Anhebung der Gebührensätze könnte es gar unwirtschaftlich sein, wenn Flüchtlinge aus den Heimen ausziehen.“

Ajmal hat es mittlerweile geschafft. Er hat eine Wohnung gefunden. Ein Zimmer, Küche, Bad. 35 Quadratmeter. Ein Zuhause. Der Preis: 400 Euro warm.

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