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Haltung zeigenWas die Körpersprache von Friedrich Merz verrät

Lesezeit 5 Minuten
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) gibt im Bundeskanzleramt eine Pressekonferenz.

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) gibt im Bundeskanzleramt eine Pressekonferenz.

Bro-Handschlag oder förmlicher Gruß? Körperhaltung und Mimik senden subtile Signale – das nutzen auch Politiker. Ein Kommunikationsexperte wirft einen Blick auf die erste Amtswoche von Friedrich Merz. Was sagt der Kanzler wortlos?

Politiker sind eben auch Menschen und damit - ganz nüchtern beschrieben - ein Gefäß aus Fleisch und Blut sowie rund 640 Muskeln, um dieses zu bewegen. Jede dieser Bewegungen kann unterbewusst soziale Botschaften ausdrücken. Das machen sich auch Spitzenpolitiker zunutze: In seiner ersten Woche als Bundeskanzler hat Friedrich Merz (CDU) bei seinem Antrittsbesuch den französischen Präsidenten Emmanuel Macron fest umarmt und Stunden später lässig in die Hand des polnischen Donald Tusk eingeschlagen. Dem ukrainischen Staatsoberhaupt Wolodymyr Selenskyj dagegen hat er eine Hand auf die Schulter gelegt und sich bei einer Pressekonferenz am Rand positioniert.

Gesten sagen oft mehr als Worte. Zum Beispiel hinterlassen hängende Schultern einen anderen Eindruck als eine erhobene Brust. Und ein Handschlag kann eine Medienwelle auslösen. Doch sollten nicht Inhalte in der Politik im Vordergrund stehen, und die Körpersprache dahinter verblassen?

Diese Rolle spielen Gesten und Mimik in der Politik

So einfach ist es nicht, erklärt Kommunikationsexperte Benedikt Held. „Körpersprache ist in der Politik wichtig, weil sie generell im Zwischenmenschlichen wichtig ist“, sagt Held. Der Psychologe analysiert seit Jahren die Körpersprache von Politikerinnen und Politiker und hat auf seinem YouTube-Kanal eine halbe Million Follower. „Mimische Signale zeigen uns tiefer liegende psychologische Dynamiken.“ Über Körpersprache können wir Handlungen zwischen Personen besser einschätzen, meint Held. Ein Blick hinter die Kulissen: „Nicht nur das, was wir sehen sollen. Sondern das, was passiert.“

Und was passierte in der ersten Amtswoche des neuen Bundeskanzlers? Da habe Merz ein gutes Pokerface gezeigt, sagt Held. Selbst als er im ersten Wahlgang scheiterte, sei Merz souverän aufgetreten, findet Held. „Bei ihm sehen wir keine überbordenden Gefühle. Sondern eine gewisse Zentriertheit und Getragenheit, anders als zum Beispiel bei Macron oder Trump.“

Merz und Macron mit Bro-Handschlag: „Die mögen sich, das sieht man“

Zum französischen Präsidenten Emmanuel Macron in den Élysée-Palast führte wenig später Merz‘ erste Reise als Bundeskanzler. Als er dort aus der Limousine stieg, lächelte er breit. Macron und er umarmten sich, klopften sich auf die Schulter. „Auf den Bildern und Videos sehen wir Krähenfüße“, bemerkt Held. Diese kleinen Falten um die Augen zeigen: „Es handelt sich nicht um ein soziales Lächeln, sondern um echte Freude.“

Wenig später stand Merz mit verschränkten Armen vor Macron. Also plötzlich doch dicke Luft? Nein, erklärt Benedict Held: „Fast kein körpersprachliches Signal hat eine objektive Bedeutung.“ Je nach Kontext können verschränkte Arme zum Beispiel zeigen: Ich lehne etwas ab, erklärt der 26-Jährige. Oder: Ich bin total interessiert an meinem Gegenüber und verschließe mich deshalb vor der restlichen Umgebung. „Es kann auch sein, dass mir kalt ist, oder diese Haltung bequem für mich ist.“ Alle Signale müssen im Kontext analysiert werden, sagt Held. Und bei Merz und Macron sei der Gesamteindruck: Zugewandtheit, Verbrüderung. „Die mögen sich, das sieht man“, sagt Held.

Wenige Stunden später eine ähnliche Szene: wieder Merz, wieder eine Limousine. Diesmal begrüßte der Kanzler in Polen den Ministerpräsidenten Donald Tusk. Statt einer Umarmung reichen sie sich die Hand und klopfen sich gegenseitig einmal auf den Arm. „Hier darf man die persönliche und kulturelle Ebene nicht vernachlässigen“, meint Benedikt Held. „Macron und Merz kennen sich besser als Merz und Tusk.“ Und während eine Umarmung mit einem angedeuteten Bise, also ‘Küsschen rechts, Küsschen links‘ in Frankreich gängig ist, würde sie in Polen Verwunderung auslösen.

Deshalb lobt Held den Umgang von Merz in der Situation: Er stimme sich körpersprachlich auf sein Gegenüber ein, das werde meist positiv wahrgenommen.

Kiew: Merz fällt doppelt auf

Und ein letzter Ortswechsel, nach Kiew. Hier trafen Merz, Macron, Tusk und der britische Premierminister Keir Starmer auf Wolodymyr Selenskyj. Als Teil der „Koalition der Willigen“ plädierten sie für einen dreißigtägigen Frieden in der Ukraine. Aller Inhalt außer Acht: Merz fiel auf. Zum einen, weil er mit seinen 1,98 Metern deutlich über die anderen vier Männer ragte. Zum anderen, weil es sich eher abseits hielt, analysiert Held.

Studien zeigen, dass größere Menschen leichter respektiert werden, sagt der Psychologe. „Aber körperliche Eigenschaften sind nur die Karten, die man ausgeteilt bekommt. Wie man die spielt, ist ein anderes Thema.“ In Kiew stand Merz häufig geduckt, beobachtet Held. „Manche große Menschen nehmen den Raum nicht so gern ein.“ Auch hielt sich Merz – genau wie Donald Tusk – eher am Rande der Gruppe auf. „Da redet dann Macron mit Selenskyj und Starmer, die drei bilden ein Dreieck“, beschreibt Held. „Und Merz steht einen halben Schritt entfernt.“

Merz tritt in Deutschland präsenter auf

Was sagt das über den Kanzler? „Er ist in einem Zwischenzustand“, analysiert Held. „Auf der einen Seite war er körpersprachlich bei den Sichtbareren in Kiew. Gleichzeitig schien er seine neue Rolle noch nicht ganz eingenommen zu haben.“ In Deutschland sei Friedrich Merz bisher größtenteils anders aufgetreten. Präsenter, lauter, aufgerichteter.

Die Bilanz nach der ersten Woche des neuen Bundeskanzlers lautet: durchwachsen. Die ausgefeilte Gestik eines Staatsoberhaupts entwickelt sich nicht über Nacht. „Ich glaube, es gibt keinen Politiker auf Spitzenebene, der sich nicht mit seiner Körpersprache beschäftigt“, sagt Held. Auch Merz macht hier Veränderungen durch: Vor ein paar Wochen zum Beispiel zuckten seine Gesichtsmuskeln plötzlich häufiger nach oben. „Er lächelt viel mehr“, sagt Benedikt Held. Vermutlich sei das das Werk eines PR-Beraters, der dem Kanzler vorsichtig eröffnet habe: Sie kommen zu ernst rüber.

Gelegenheiten, um seine Fähigkeiten beim Lächeln, Umarmen und Händeschütteln zu zeigen, wird Friedrich Merz in den nächsten Jahren zur Genüge haben. Eine Kunst der Politik ist, dass man auch wortlos verstanden wird.