Interview mit Hubert Wolf„Das Zölibat ist ein erheblicher Risikofaktor“

Lesezeit 6 Minuten
Deutsche Bischöfe beim Gottesdienst

Deutsche Bischöfe beim Gottesdienst

  • Ein Großteil der Deutschen und vor allem der Katholiken ist für die Abschaffung der Zölibatspflicht für Priester.
  • Kirchenhistoriker Hubert Wolf hat dem Thema ein Buch gewidmet. Er sagt: Das Zölibat ist ein Risikofaktor – und gehört keineswegs zum Wesen des Priestertums.
  • Ein Gespräch über die Geschichte des Zölibats, falsch verstandene Traditionen und Wege aus der Krise.

Herr Professor Wolf, 88 Prozent der Deutschen und 84 Prozent der deutschen Katholiken sind gegen die Beibehaltung der Zölibatspflicht für Priester. Warum schreiben Sie ein ganzes Buch über eine Frage, in der sich ohnehin fast alle einig sind? Weil diejenigen, die noch am Zwangszölibat festhalten, immer noch so tun, als handelte es sich um eine Tradition, an der die Kirche unbedingt festhalten müsse. Dabei gibt es weder einen Auftrag Christi noch ein göttliches Gebot noch eine apostolische Anordnung, die den Zölibat für Priester verbindlich vorschreibt. Selbst das Zweite Vatikanische Konzil (1962 bis 1965) erachtet den Zölibat lediglich als „angemessen“, aber nicht als wesentlich für den priesterlichen Dienst.

Daraus folgt?

Beibehalten oder abschaffen ist eine Güterabwägung, nichts anderes. Aus zwei Gründen sehe ich mich als Historiker fast genötigt, zu dieser Abwägung beizutragen. Der erste Grund ist der Missbrauchsskandal. Klar ist: Der Zölibat an sich ist zwar nicht die Ursache für sexuellen Missbrauch, aber eben doch ein erheblicher Risikofaktor. Daraus leitet sich fast von selbst die Forderung ab, die zwingende Verbindung von Priestertum und Ehelosigkeit aufzugeben.

Zur Person

Hubert Wolf, geboren 1959, ist Professor für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte an der Universität Münster. Dort gehört der vielfach ausgezeichnete Theologe auch zum Exzellenz-Cluster „Religion und Politik“. (jf)

Soeben ist zum Thema sein neues Buch erschienen:

„Zölibat. 16 Thesen“, C.H. Beck Verlag, 190 S., 14,95 Euro.

Sie erwähnten zwei Gründe für Ihre Beschäftigung mit dem Zölibat. Welches ist der zweite?

Die Anfrage lateinamerikanischer Bischöfe, ob der Papst sich auf dem Boden der Tradition bewegen würde, wenn er verheiratete Priester in der katholischen Kirche zuließe.

Und? Wäre das mit der Tradition vereinbar?

Eindeutig ja. In der alten Kirche gab es völlig unstreitig verheiratete Priester. In den mit Rom unierten Ostkirchen gibt es sie völlig selbstverständlich bis heute. Historisch ist zunächst einmal festzustellen: Mit „Zölibat“ waren über die Jahrhunderte hinweg sehr viele verschiedene Dinge gemeint: vom Verbot der Wiederheirat etwa eines verwitweten Priesters über sexuelle Enthaltsamkeit an Sonn- und Feiertagen bis hin eben zur verpflichtenden lebenslangen Ehelosigkeit. Es gab in der katholischen Kirche alles – und nichts, was es nicht gab. Es liegen wunderbare Studien vor über ganze katholische Priesterdynastien aus dem 17. und 18. Jahrhundert im Münsterland, in denen das Priesteramt über Generationen hinweg vom Vater auf den Sohn überging. Und niemand hatte etwas dagegen, kein Bischof schritt dagegen ein. Das zeigt: Es gab ein Kirchengesetz, das aber weder von unten eingehalten noch von oben durchgesetzt wurde. Zu letzterem setzte die kirchliche Obrigkeit erst im 19. Jahrhundert an.

Das könnte Sie auch interessieren:

Warum?

Weil es die Kleriker einerseits in immer höhere Sphären entrückte und sie von außen unangreifbar, für die kirchlichen Autoritäten dafür aber umso verfügbarer machen sollte. Zölibatäre Priester sind leichter zu dirigieren, leichter zu steuern – und leichter zu erpressen. Nicht zuletzt wegen des bekannt hohen Anteils an Zölibatsverstößen. Nach meiner These ist der gesamte Katholizismus mit seinem Machtapparat, wie wir ihn heute kennen, eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Dazu aber gehört elementar die Erfindung des zölibatären Priesters. Jetzt erst wird in katholischen Lexika behauptet, der Zölibat gehöre zum Wesen des Priestertums. Die Theologen des Mittelalters und der Frühen Neuzeit hätten so etwas niemals behauptet. Solche Neuerfindungen von Traditionen („Invention of Tradition“) sind allerdings typisch für die katholische Kirche. In Krisenzeiten waren sie oft ihre letzte Rettung.

Aber geht die Zölibatspflicht nicht auf das 12. Jahrhundert zurück?

Andreas Wolf

Hubert Wolf

Ich weise nach, dass das so nicht stimmt. Bis 1917 rechnete die kirchliche Gesetzgebung sehr wohl mit der Möglichkeit verheirateter Priester. Sie haben Recht: Der Zölibat als Kirchengesetz wurde 1139 eingeführt. Aber immer mit Ausnahmen. Unumstößlich ist der Zölibat erst seit 100 Jahren. Erst 1917 nämlich wurde die Weihe im kirchlichen Gesetzbuch, dem Codex Iuris Canonici (CIC), zum Ehehindernis und die Ehe zum Weihehindernis erklärt. Solche erstaunlich jungen Entwicklungen mitsamt den vollmundigen Behauptungen, was es in der Kirche wahlweise noch nie gegeben habe oder was immer schon praktiziert worden sei – die machen den Historiker von Berufs wegen misstrauisch. Wenn es für den Zölibat wenigstens eine Begründung gäbe, die – im Neuen Testament grundgelegt – über 2000 Jahre hinweg durchgehalten worden wäre! Aber nicht einmal eine solche existiert. Stattdessen wurden und werden immer wieder neue Argumente zur Verteidigung des Zölibats herangezogen. Manche davon hat die Kirche später eigenhändig wieder verworfen.

Welche zum Beispiel?

Die Vorstellung etwa, dass Geschlechtsverkehr den Priester verunreinigen und ihn deshalb unwürdig für die Feier des Messopfers machen würde, wurde ausdrücklich für hinfällig erklärt, genau wie die jahrhundertelange Verteufelung der Sexualität überhaupt. Wer aber die Argumente wechselt wie andere ihre Hemden, der hat schlechte Karten.

Das Zweite Vatikanische Konzil diskutierte über keine andere Frage so hitzig wie über ein Ende der Zölibatsverpflichtung. Man müsse den Zölibat dem Priesteramt opfern und nicht das Priesteramt dem Zölibat, wurde damals insbesondere von den Bischöfen der katholischen Ostkirchen gesagt, deren Priester heiraten dürfen. Warum kam es trotzdem nicht zur Aufhebung?

Weil Papst Paul VI. die Debatte mit einem ausdrücklichen Verbot abgewürgt hat. Er hatte Angst vor dem Kollaps eines Systems, das mit einer weiteren Diskussion unweigerlich auf den Prüfstand gekommen wäre. Schon zur Zeit des Konzils war für bestimmte Weltregionen – etwa Afrika oder Lateinamerika – völlig klar: ehelose Priester – das geht dort nicht. Weder soziokulturell noch spirituell: Wo das Leben des Menschen als Geschöpf Gottes im Einklang mit der Schöpfung gesehen und dem geweihten Priester die Aufgabe zugesprochen wird, als Mann Gottes die Einheit mit Natur und Schöpfung herzustellen, dort hat der Ausschluss der Sexualität keinen Platz. Der Priester muss selber im Einklang mit der Natur und nicht wider sie leben, wenn seine Botschaft authentisch sein soll.

Warum hat das Diskussionsverbot des Papstes von damals im Grunde bis heute Bestand?

Das ist aus historischer Warte ganz schwierig zu beantworten. Man müsste eher organisations-soziologisch herangehen: Was braucht es für den Selbsterhalt eines Systems? Der Zölibat schafft quasi von selbst eine Priesterkaste mit klerikalem Korpsgeist und Standesdünkel. Er führt zu Milieu-Verengung und Selbsthermetisierung. Er ist der wichtigste Identitätsmarker des klerikalen Systems. Jenes Systems, das man neuerdings angeblich überwinden will. Das kann aber nur gelingen, wenn man den Zölibat abschafft oder zumindest Alternativen eröffnet. Tut man das nicht, sind alle Kampfansagen an den Klerikalismus bloße Sprüche.

Und wie sähe nun aus Historiker-Sicht eine Lösung aus?

Die Ortsbischöfe könnten unter Verweis auf Jahrhunderte alte Rechte und Gewohnheiten sagen: Wir sind nicht die Obermessdiener Roms, sondern wir beanspruchen eigene Autoritäten und Vollmachten – zum Beispiel zur Befreiung verheirateter Männer von der Zölibatspflicht.

KStA abonnieren