Gläubiger ChristBidens Haltung zur Abtreibung spaltet Katholiken

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Joe Biden Wilmington

Joe Biden an der katholischen Kirche St. Joseph on the Brandywine in Wilmington.

  • Der neue amerikanische Präsident ist der zweite Katholik, der nach John F. Kennedy ins Weiße Haus eingezogen ist.
  • Mit Religion Politik zu machen liegt ihm allerdings nicht.

Lady Gagas Auftritt im roten Ballonrock, als sie bei Joe Bidens Amtseinführung die Nationalhymne schmetterte, muss für Trump-Anhänger einer Gotteslästerung gleichgekommen sein. Und als Jennifer Lopez nach „This land is your land“ ein paar Worte auf Spanisch an die Nation richtete, empfanden rechte Republikaner das ebenfalls als Zumutung. Einzig Country-Star Garth Brooks mit Cowboyhut verkörperte so etwas wie die verflossene gute alte Zeit. Die drei und vor allem die schwarze Dichterin Amanda Gorman haben die Bilder dieses denkwürdigen Tages geprägt. Dabei war ein 87-jähriger Jesuitenpater der heimliche Star der Inaugurationsfeier für den zweiten Katholiken, der nach John F. Kennedy ins Weiße Haus eingezogen ist.

Pater Leo O’Donovan ist der langjährige Seelsorger der Biden-Familie und ein enger Vertrauter des 46. US-Präsidenten. Was er auf den Stufen des Kapitols sagte, hatte es in sich: „Heute bekennen wir, dass wir in der Vergangenheit versagt haben, unserer Vision von Gleichheit, Inklusion und Freiheit für alle gerecht zu werden.“ Und er sprach von einem Patriotismus, „der nicht aus Macht und Privilegien geboren ist, ohne Böswilligkeit gegen irgendjemanden und mit Nächstenliebe für alle“.

Genauso hatte der neue mächtigste Mann der Welt, der sich nicht bloß als „kulturellen Katholiken“ versteht, der aus Tradition seiner Kirche angehört, sondern seinen Glauben aus Überzeugung praktiziert und regelmäßiger Kirchgänger an Sonn- und Feiertagen ist, sich seinen großen Tag gewünscht. In seiner eigenen Ansprache zitierte Biden aus dem im fünften Jahrhundert vom Kirchenlehrer Augustinus verfassten „Gottesstaat“.

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Beobachtern fiel auf, dass er Augustinus dabei als „Heiligen meiner Kirche“ vorstellte. Und die meisten Zuschauer der Zeremonie fanden, dass sie die richtige Dosis Pathos enthalten habe – und kaum katholischer hätte ausfallen können als unter Bidens sorgfältiger Regie. Bevor er seinen Amtseid ablegte, nahm er an einem Gottesdienst in der Matthew Cathedral teil, die Kennedy schon gern besuchte und die der Sitz des Erzbischofs von Washington ist.

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Das hatte, wie sich allerdings erst im Nachhinein zeigte, insofern symbolische Bedeutung, als dass Kardinal Wilson Gregory als Verbündeter Bidens gelten kann – in einer Bischofskonferenz, die ein Spiegelbild der zerrissenen amerikanischen Gesellschaft ist. Der Streit unter den Oberhirten der 176 Diözesen ist keineswegs neu, aber er hatte während des Wahlkampfs an Schärfe zugenommen und ist am Inauguration Day in bislang nicht da gewesener Unversöhnlichkeit eskaliert.

Auslöser für den Zwist unter den Amtsbrüdern ist die Haltung des gläubigen Katholiken Joe Biden in der Abtreibungsfrage. Bidens Position war stets undogmatisch: Seine Frau Jill und er würden die katholische Doktrin akzeptieren und Schwangerschaftsabbrüche folglich ablehnen, ließ er schon früher verlauten. Gleichzeitig betonte er, niemals würde er sich anmaßen, die offizielle Linie der katholischen Kirche „Andersdenkenden“ aufzwingen zu wollen. Darüber müssten ganz allein die betroffenen Frauen entscheiden.

Biden steht für eine liberale Abtreibungspolitik

Diese Einstellung sorgte bei der konservativen Mehrheit der Bischofskonferenz, zu der auch deren Vorsitzender José Horacio Gómez zählt, schon seit längerem für erheblichen Unmut. Gomez, Erzbischof von Los Angeles, schickte Biden am Tag der Amtsübernahme ein Glückwunschschreiben, das in Wirklichkeit eine Gardinenpredigt war. Bidens Unterstützung für eine liberale Abtreibungspolitik stelle „eine ernsthafte Bedrohung des Gemeinwohls dar“. Der scharfe Ton der nicht abgesprochenen Erklärung führte zu einem tiefen Zerwürfnis mit der moderaten Minderheitsfraktion unter den Herren in Rot und Violett, deren Protagonist Blaise Joseph Cupich ist, der Kardinal von Chicago.

Unbestätigten Meldungen zufolge soll es sogar eine (erfolglose) Intervention des Vatikans gegeben haben, um den „Glückwunsch“ von Gómez zu verhindern. Die Gratulation von Papst Franziskus hatte jedenfalls einen gänzlich anderen Tenor. Das Katholiken-Oberhaupt wünschte dem Präsidenten, die Hilfe Gottes, um „Verständnis, Versöhnung und Frieden innerhalb der USA sowie unter den Nationen der Welt zu fördern, um das universelle Gemeinwohl voranzubringen“. Zum Reizthema Abtreibung keine Silbe.

Katholische Kirche hält alles für besser als Trump

Auf Bidens Schreibtisch im Oval Office steht ein Porträt des Papstes aus Argentinien. Natürlich wird in Rom mit Wohlwollen registriert, dass nach dem „religiösen Analphabeten“ Donald Trump, als den ihn die Zeitschrift „Publik-Forum“ wenig schmeichelhaft tituliert, jemand folgt, für den „gelebter Glaube“ nach eigenem Bekunden „eine stete Quelle der Erneuerung ist“. Für den der Rosenkranz, den er stets bei sich tragen soll, mehr ist als ein Talisman oder bloß ein religiöses Accessoire.

Zu den erstaunlichsten Erkenntnissen der Präsidentenwahl 2020 gehört, dass Trump trotz seines Lotterlebens, seiner inzwischen sogar statistisch erfassten Lügen und seiner Hetztiraden wieder ausgerechnet die sittenstrengsten Christen ohne Wenn und Aber folgten, die weißen Evangelikalen. Aber auch immerhin 48 Prozent der 77 Millionen Katholiken gaben ihm ihre Stimme.

Trump gilt als „theologisch unterbelichtet“ und legte Geld in Hostienschale

Kirchliche Beobachter hatten ihn schon vor Zeiten als „theologisch unterbelichtet“ eingestuft. Überliefert ist, dass er bei einer Messe mit der Hostienschale nichts anzufangen wusste und ein paar Cents hineinlegte. Er gehe sonntags gelegentlich in die Kirche, um sich dort seinen „kleinen Keks abzuholen“. Trump hat sich bei seiner im Kern unchristlichen Politik immer wieder auf die Bibel berufen und sich als Messias aufgespielt. Eine solche Rolle wäre Biden völlig fremd. Allerdings bot er sich bei seiner Amtseinführung als Tröster an, der die „verletzte Seele der Nation heilen will“.

Bidens katholischer Glaube sei ein „zentraler Aspekt seiner Persönlichkeit“, sagt der Münchner Jesuit und Philosophie-Professor Godehard Brüntrup. Er habe ihn als Menschen kennengelernt, „der in einer tiefgläubigen irischen Einwandererfamilie aufgewachsen ist und sich diesen Glauben bewahrt hat. Er war ihm eine Stütze bei den familiären Schicksalsschlägen, die er zu erdulden hatte.“ Der Journalist („The New Yorker“) und Pulitzer-Preisträger Evan Osnos schildert in seiner 2020 erschienenen Biografie eindrucksvoll, wie sehr Biden vor allem der Unfalltod seiner ersten Frau Neilia und des einjährigen Töchterchens Naomi aus der Bahn geworfen hat. „Ich wollte nichts mehr über einen gütigen Gott hören. Keine Worte, kein Gebet, keine Predigt konnten meinen Schmerz lindern. Ich hatte das Gefühl, dass mir Gott einen furchtbaren Streich gespielt hatte.“

Tod von Sohn Beau machte Biden „demutsvoll“

Das war am 18. Dezember 1972. Jahrzehntelang, schreibt Osnos, hatte Biden „ein gespaltenes Verhältnis dazu, dass er in der Öffentlichkeit mit Leid und Kummer in Verbindung gebracht wurde. Verletzlichkeit widersprach dem raubeinigen Stil seiner Generation.“ Der frühe Tod seines 46-jährigen Sohnes Beau 2015, Justizminister im Bundesstaat Delaware, als Folge eines Hirntumors muss Bidens Persönlichkeit einschneidend verändert haben. „Die ganze Erfahrung mit Beau tötete das Arrogante ab und machte ihn demutsvoll“, berichtet Osnos. Bei der Totenmesse stimmte Biden selbst eine Hymne an, die Gott als Beschützer beschreibt und die zu seinem geistlichen Alltagsrepertoire gehört.

Aus seiner Verwurzelung im Katholizismus hat der ewige Politiker Joe Biden in keinem seiner bisherigen Ämter einen Hehl gemacht. Er verehre den Reform-Papst Johannes XXIII, und die katholische Soziallehre sei sein moralischer Kompass. Seine Gegner, auch in der eigenen Partei, werfen ihm allerdings vor, dass er oft genug vom rechten Weg abgekommen sei und sein Mäntelchen nach dem Wind hänge. Biden-Biograf Osnos: „Natürlich deutet auch Biden die Wahrheit nach seinen Bedürfnissen um, aber er ist nicht so geschickt darin wie andere.“

Dazu gehören etwa seine Zustimmung zur Invasion im Irak oder zur Deregulierung der Finanzmärkte. Linke nehmen ihm übel, dass er das Nordamerikanische Freihandelsabkommen Nafta und härtere Strafen für den Besitz von Kokain befürwortet hat. Auch in den Augen seiner Anhänger ist Joe Biden kein Heiliger. Diesen Anspruch erhebt er freilich auch nicht.

Mit Religion Politik zu machen liegt Biden im Unterschied zu seinem Amtsvorgänger allerdings nicht. Er hat es nicht nötig, mit einer Bibel in der Hand vor einer Kirche zu posieren wie Trump bei seinem umstrittenen Auftritt nach dem Tod von George Floyd. Wäre der Anlass nicht so traurig gewesen, hätte die Show das Zeug zur Lachnummer gehabt. Denn Trump, der Pseudo-Christ, hielt die Bibel falsch herum in die Kameras.

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