Kommentar zu GrundsicherungMehr Geld für Straßen und Schienen – aber nicht für Kinder?

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Ein Kind spielt mit einem Hüpftier.

Ein Kind spielt mit einem Hüpftier.

Wer geglaubt hatte, der Ampel sei ein Neustart in eine konstruktive Zusammenarbeit geglückt, wurde keine 48 Stunden später eines Schlechteren belehrt.

Die Grünen waren noch dabei, ihre Wunden zu lecken – denn nicht nur im Heizungsstreit, auch in Sachen Autobahnausbau und Aufweichung des Klimaschutzgesetzes hatten SPD und FDP gemeinschaftlich den Klimaschutz rasiert und die Ökopartei düpiert. Da meldete sich Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner auch schon mit der nächsten Kampfansage: Er rechne fürs nächste Jahr zwar mit Steuereinnahmen in der Rekordhöhe von über einer Billion Euro. Für die Einführung einer erhöhten Kindergrundsicherung reiche das aber nicht. Schließlich habe man ja mit der Erhöhung des Kindergeldes schon einiges getan, das müsse reichen.

Das war schon deshalb mehr als eine Meinungsäußerung, weil die Grünen nach ihrer Klimaschlappe genau diese Kindergrundsicherung gerade als ihr nächstes zentrales Projekt in der Ampel ausgerufen hatten.

Doch mehr noch: Lindner betonte zugleich, dass er das zusätzliche Geld lieber in Schienenwege und eben auch Straßen sowie die Bundeswehr und „Modernisierung von Handwerk, Mittelstand und Industrie“, also Wirtschaftsförderung, stecken werde.

So machte er sehr deutlich, dass er nicht vor finanziellen Zwängen steht, sondern die „Umverteilung von Geld bei der Armutsbekämpfung“, wie er sagt, ablehnt. Und zeigt zugleich, dass er in dem Koalitionsmarathon reichlich Selbstbewusstsein getankt hat und deshalb gar daran denkt, zurückzukehren zu einer konstruktiven Koalitionsarbeit mit Willen zum Kompromiss. Sonst hätte er zuerst den Weg vertraulicher Gespräche gesucht.

Kein Geld, um mehr Kinder aus der Armut zu holen?

Immerhin hat die Ampel dem Projekt der Kindergrundsicherung im Koalitionsvertrag eine lange Passage gewidmet. Als Ziel steht da, man wollte „mehr Kinder aus der Armut holen“. Das kann man durchaus so lesen, dass es dafür auch mehr Geld geben muss. Man kann es aber auch lesen wie Lindner, der es bei organisatorischen Änderungen belassen will. Die können durchaus mehr bedürftigen Familien zu ihrem Recht verhelfen, die bisher die ihnen zustehenden Leistungen nicht beantragen.

Ein großer sozialpolitischer Wurf wäre das allerdings nicht - zumal in Zeiten von Inflation und direkt nach einer Pandemie, die die soziale Kluft weiter verstärkt hat. Erst vor ein paar Wochen wurde vermeldet, 81 Prozent des Vermögens, das 2020 und 2021 in Deutschland erwirtschaftet wurde, beim reichsten Prozent der Bevölkerung landeten. Ein Prozent strich 81 Prozent ein. Dabei hatten schon vor Corona 45 einzelne Deutsche so viel besessen wie die ärmere Hälfte der Bevölkerung.

Dass der Finanzminister da ins Feld führt, das Geld reiche nicht, um gegen den aktuellen Höchststand an Kinderarmut in Deutschland vorzugehen, klingt da zynisch. Jedes fünfte Kind ist hierzulande arm oder von Armut bedroht - und Lindner erklärt, man müsse stärker gegen die Arbeitslosigkeit der Eltern vorgehen. Auch das verträgt sich schlecht mit den Zahlen etwa der Bundesarbeitsagentur, laut der längst keine Massenarbeitslosigkeit herrscht und zugleich Hunderttausende Erwerbstätige zusätzliche staatliche Hilfe erhalten mussten.

Drei Millionen Kinder gelten als armutsgefährdet

Wo die FDP bei der Frage der Kindergrundsicherung steht, ist mit Lindners Aussagen jedenfalls geklärt. Entscheidend wird nun sein, wie die anderen beiden Ampel-Partner sich verhalten.

Die grüne Familienministerin Lisa Paus muss endlich konkreter werden, wie sie das Instrument gestalten will, mit dem für 12 Milliarden Euro die Kinderarmut gesenkt werden soll. Den Bedarf anzumelden allein, ist noch kein Konzept.

Und besonders spannend wird es, wie die SPD reagiert. Mag sie den Klimaschutz als grünes Thema sehen, kann sie sich bei dieser sozialpolitischen Frage nicht wegducken. Knapp drei Millionen Kinder und Jugendliche sowie 1,5 Millionen junge Erwachsene sind in Deutschland armutsgefährdet. Darüber kann eine sozialdemokratische Partei, die kein bloßer Kanzlerwahlverein sein will, selbst dann nicht schweigen, wenn der Bundeskanzler aus machtpolitischen Gründen erneut dem FDP-Chef zur Seite springen sollte.

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