Erzbistum KölnSeelsorger nennen Woelkis Verhalten ekelhaft

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Woelki Gutachten PK

Kardinal Rainer Woelki 

Köln – Im Fall des Düsseldorfer Priesters Michael D., den Kardinal Rainer Woelki trotz bekannter Missbrauchsvorwürfe im Jahr 2017 zum stellvertretenden Stadtdechanten von Düsseldorf ernannte, verdichten sich Hinweise auf Ausflüchte und Halbwahrheiten der Bistumsleitung. Unter den Seelsorgern und an der Kirchenbasis machen sich Wut und Entsetzen breit.

Aus einem dreiseitigen Vermerk des früheren Interventionsbeauftragten Oliver Vogt für Woelkis Generalvikar Markus Hofmann vom September 2018 geht hervor, dass die Hauptverantwortlichen des Bistums spätestens seit 2015 über verschiedene – teils anonym vorgebrachte – schwere Anschuldigungen gegen D. informiert waren. Die „Bild“-Zeitung veröffentlichte das Dokument auf ihrer Webseite.

Woelki, der nach der Vorstellung eines von ihm in Auftrag gegebenen Missbrauchsgutachtens im März jegliche Befassung mit Missbrauchsfällen in seiner Zeit als Weihbischof von 2003 bis 2011 bestritten hatte, erhielt demnach bereits im Mai 2010 das anonyme Schreiben eines Gemeindemitglieds mit detaillierten Anschuldigungen. D. habe „in den letzten Jahren kein normales Verhältnis zu Messdienern“ gehabt, „immer anzügliche Sprüche“ gemacht und mit Messdienern die Sauna besucht. Weiter ist von einem „Herumtreiben“ des Pfarrers in homosexuellen Kreisen und „Schwelgen im Luxus“ die Rede.

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Aufklärung versprochen

Aufgrund dieser und anderer Hinweise hätten „im Jahr 2010 bereits weitere Schritte eingeleitet werden müssen“, schrieb Vogt an Generalvikar Hofmann – wenige Tage nachdem Woelki eine Studie zum Missbrauchsskandal im Erzbistum angekündigt und vollständige Aufklärung versprochen hatte.

D. blieb im Amt, auch nachdem Ende 2020 ein Betroffener Aussagen zu einem Missbrauchsvorwurf aus den 1990er Jahren gegen den Geistlichen  gemacht und das Erzbistum den Vorgang Anfang 2021 zur Prüfung an die Staatsanwaltschaft übersandt hatte. Die Beurlaubung erfolgte erst an diesem Dienstag. Nach dem Bericht der „Bild“ sei D. „kein fruchtbares Wirken mehr möglich“ gewesen, das Vertrauensverhältnis sei „wesentlich tangiert“, erklärte Hofmann im WDR (hier sehen Sie das Interview).

Staatsanwaltschaft stellt Verfahren ein

Die Staatsanwaltschaft teilte inzwischen erwartungsgemäß mit, dass die Tatvorwürfe verjährt sind und sie das Verfahren eingestellt hat. Damit kann nun das ruhende kirchliche Verfahren wieder aufgenommen werden (hier lesen Sie mehr). „Wir werden unsere Arbeit tun“, versicherte Hofmann. Die Wahrheit müsse auf den Tisch, „auch wenn sie unangenehm und schmerzlich ist. Es gibt keine Alternative.“

Beförderung sollte „Chance“ sein

Die Ernennung D.s zum stellvertretenden Stadtdechanten durch den Kardinal im Jahr 2017 bezeichnete Hofmann als „Chance“, die man D. habe geben können. Zu diesem Zeitpunkt sei der von D. in einer polizeilichen Vernehmung eingestandene sexuelle Kontakt zu einem jugendlichen Stricher im Jahr 2001 „das einzige sichere Faktum“ gewesen. „Alles andere waren Gerüchte, abgestritten, unklar, anonym zum Teil. Nur aufgrund von Gerüchten kann man kein endgültiges Urteil fällen“, betonte Hofmann.

Sein Vorgänger Dominik Meiering, heute Citypfarrer in Köln, hatte allerdings Ende September 2015 entschieden, dass nach Einleitung eines kirchlichen Verfahrens „derzeit keine weiteren Schritte notwendig“ seien. Dies geht aus Vogts Vermerk von 2018 hervor. In den Anhörungen habe D. „einige Vorwürfe aus der Vergangenheit eingeräumt, andere bestritten“. Auch habe er „zugesichert, sich aus der Jugendarbeit herauszuhalten“. Meiering beschied Vogt, der zur Prüfung und Weitergabe des Falls nach Rom riet, er – Meiering – werde das weitere Vorgehen „mit dem Kardinal besprechen“.

Drei Jahre später aber machte Vogt auf den – wie er schreibt – „problematischen“ Umstand aufmerksam, dass sich in D.s Akte von diesem Zeitpunkt an keine weiteren Unterlagen mehr fanden.– ein deutlicher Hinweis darauf, dass das Bistum inzwischen tatsächlich nichts mehr unternommen hatte.

Sex mit jugendlichem Stricher

Zur Frage, wie D.s Kontakt zu dem jugendlichen Prostituierten aus der Obdachlosenszene am Kölner Hauptbahnhof – und damit eine mutmaßliche sexuelle Ausbeutung des Betroffenen durch den Geistlichen – zu bewerten sei, sagte Hofmann, „niemand von uns wünscht sich jemanden, der in solcher Weise handelt“. Man müsse aber „gebührend“ vermerken, dass D.s Verhalten bei aller Kritik „weder nach weltlichem noch nach kirchlichem Recht eine Straftat war“.

Das Missbrauchsgutachten des Kölner Strafrechtlers Björn Gercke (hier ein Bericht mit Link zum Gutachten) führt zu dem als „Aktenvorgang 82“ geführten Fall aus, dass der 17 Jahre alte Strichjunge nach damaligen römischen Normen als volljährig gegolten habe. Deswegen sei der Fall nicht als sexueller Missbrauch von Minderjährigen, sondern lediglich als Verstoß gegen die Zölibatsverpflichtung zu behandeln gewesen.

Tat gestanden und bereut

Zu D.s Gunsten trug Hofmann weiter vor, dass der Pfarrer seine Tat eingestanden und bereut habe. Das Geständnis erfolgte allerdings nach Aktenlage erst aufgrund der eingehenden Vernehmung durch die Polizei. Diese kam ins Spiel, weil D. Anzeige wegen versuchter Erpressung erstattet hatte. Der Stricher, so seine Darstellung, habe ihn hereingelegt. In einer kirchlichen Befragung hob D. überdies auf einen unentgeltlichen sexuellen Kontakt mit dem jungen Mann ab.

Der vom Erzbistum hinzugezogene Kölner Psychiater Manfred Lütz bescheinigte D., dass er nicht homosexuell sei und dass keine Gefahr von ihm ausgehe. Lütz sagte auf Anfrage, er habe D. nicht im strengen Sinn begutachtet, sondern in einer zweiseitigen „fachärztlichen Stellungnahme“ lediglich ausgeführt, dass bei D. „keinerlei Hinweise auf Pädophilie“ vorgelegen hätten.

Kein psychiatrischer Befund

Ob man einen Priester aufgrund einer „solchen, nach damaligem Kenntnisstand wohl einmaligen Affäre aus geistlichen Gründen wieder einsetzen“ könne, sei nicht Gegenstand psychiatrischer Beurteilung. „Psychiatrisch kann man nur feststellen, ob psychopathologisch Hinweise bestehen, dass jemand so etwas erneut tun wird.“ Das habe er für D. verneint.

So blieb es letztendlich bei einer Abmahnung, die D.s weiterer kirchlicher Laufbahn offenbar keinen Abbruch tat und auch seiner Beförderung durch Woelki 2017 nicht im Wege stand. Das, so Hofmann wörtlich, war „nach den Bestimmungen eine Verhaltensweise, die man so treffen kann“.

„Unerträgliche Kultur“

Dies jedoch wird im Klerus und unter den Laien vollkommen anders gesehen. „Uns wird jetzt immer stärker bewusst, dass wir es mit einer unerträglichen, zutiefst unseriösen Kultur der Personalführung zu tun haben“, sagte ein leitender Geistlicher im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Die Akten zeigen doch, dass der Kardinal genau wusste, mit wem er es zu tun hatte.“

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Schon dass Woelki D. in diesem Wissen befördert habe, sei „ekelhaft“. Gleiches gelte aber auch für den Versuch, die Verantwortung dafür jetzt dem damaligen Stadtdechanten zuzuschieben. Dass dessen „ausdrückliche Empfehlung“ für Woelki maßgeblich gewesen sein solle, wie dieser behauptet, sei „insofern eine glatte Lüge, als jeder weiß, dass der Erzbischof auf solch einen Posten keinen ernennt, nur weil ein Stadtdechant es will“. Das ohnehin erschütterte Vertrauen der pastoralen Mitarbeiter in den Kardinal sei nun vollkommen dahin, berichtete der Geistliche. „Wo soll es denn auch herkommen bei einem Vorgesetzten, der nach solchen Maßstäben handelt wie bei Pfarrer D.?“

Düsseldorfer Laien schockiert

Der Vorsitzende des Düsseldorfer Katholikenrats, Martin Philippen, zeigte sich im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ schockiert und betroffen. „Ob die Position des Erzbischofs zu halten ist, weiß ich nicht. Es kommt einfach immer wieder zu viel hoch.“ Die Laienvertretung erwarte von der Bistumsleitung umfassende Aufklärung. „Wir versuchen auf allen Wegen, wieder eine Vertrauensbasis zu schaffen. Aber bislang werden die Versuche abgelehnt, ins Gespräch zu kommen und nicht zur Tagesordnung überzugehen“, sagte Philippen mit Blick auf einen Vorstoß des Diözesanrats zur Einberufung einer Bistumssynode „Wenn man als gläubiger, engagierter Katholik das Thema im eigenen Umfeld anspricht, winken die meisten nur noch ab.“

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