Kölner Psychologe GrünewaldWarum Waschlappen-Tipps nicht funktionieren können

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Duschen ist ein symbolischer Akt, meint Stephan Grünewald. 

  • Stephan Grünewald ist Geschäftsführer des Kölner „rheingold“-Instituts für psychologische Marktforschung.
  • Nach dem Sommer erwartet der Psychologe eine rapide Verschlechterung der Stimmung in der Bevölkerung
  • Im Interview spricht er über gute und schlechte Vorschläge zum Energiesparen und Annalena Baerbocks Jeanne-d'Arc-Qualitäten.

Herr Grünewald, die Bundesregierung beschließt vorsorglich Corona-Regeln für den Herbst und Maßnahmen zur Energie-Einsparung. Welche Resonanz hat das bei den Menschen – psychologisch gesehen?

Stephan Grünewald: Wir sind stimmungsmäßig an einem Punkt des Übergangs. In unseren Studien konnten wir schon im späten Frühjahr feststellen, dass die Menschen den Krieg weithin ausgeblendet, Normalität anstelle von Pandemie beschworen und sich in private Ablenkungsmanöver gestürzt hatten. Dieser Trend hat sich in der Unbeschwertheit und Selbstvergessenheit des Sommers noch verstärkt. Selbst Inflation, Teuerung und etwaige Energieknappheit sind in der Wahrnehmung derzeit auf „Pause“ gestellt.

Obwohl jeder Einkauf, jede Tankfüllung die Folgen fürs eigene Portemonnaie zeigt?

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Stephan Grünewald

Gerade weil die Menschen ahnen, dass ihnen harte, entbehrungsreiche Zeiten ins Haus stehen, verharren sie sich im Moment noch im Gelassenheitsmodus. Ein bisschen so wie an Karneval, wenn man es sich vor dem Beginn der Fastenzeit nochmal so richtig gut gehen lassen will.

„Karneval im Sunnesching.“

Dieses kölsche Feier-Motto gewinnt tatsächlich gerade eine ganz neue Bedeutung. Aber je kürzer und je kühler die Tage bald werden, desto mehr wird den Menschen bewusst werden, dass sie die Drohkulissen nicht länger wegschieben können. Selbst der Rückzug ins eigene Schneckenhaus, in der Corona-Pandemie eine beliebte Form der Ausflucht, funktioniert nicht mehr, wenn das Schneckenhaus kalt ist und die ganze Ausstattung samt Proviant auf einmal sündhaft teuer ist. Deshalb erwarte ich spätestens für den Oktober einen Realitätsschock in großem Stil.

Was heißt das für die politisch Verantwortlichen?

Die Bevölkerung erlebt Olaf Scholz, Robert Habeck und Annalena Baerbock als ein politisches Dreigestirn.

Wie das?

Der Kanzler setzt die Pose Merkelscher Ruhe fort, aber in einer Variation väterlicher Fürsorge und Unaufgeregtheit: „You will never walk alone“ – Wir lassen keinen allein. Das ist das Versprechen eines stabilen Versorgungsgefüges, das mit dem Wunsch der Menschen korrespondiert, es möge eine machtvolle Instanz geben, die ihnen ihre Sorgen zuverlässig vom Hals hält.

Aber wie eine aktuelle „Forsa“-Umfrage zeigt, glauben die Menschen Scholz nicht, dass er das kann.

Dafür gibt es im politischen Dreigestirn noch die beiden anderen Figuren, die das Väterchen-Scholz-Versprechen vom stabilen Rahmen ergänzen. Habeck profitiert einerseits davon, verkörpert aber andererseits auch die schmerzliche Seite des Übergangs, der den Menschen insgeheim ja sehr wohl bewusst ist. Harbeck begegnet ihnen „auf Augenhöhe“ und mutet ihnen – mehr großer Bruder als Vater – auch die bitteren Wahrheiten zu, Deren Ambivalenzen lässt er an der eigenen Person sichtbar werden, um dann doch klare Handlungsempfehlungen zu geben und dabei am Ende auch wieder Zuversicht zu verbreiten.

Etwa mit Ratschlägen wie „kürzer duschen“?

Durchaus. Die großen Krisen unserer Tage sind ja mit einer Ohnmachtserfahrung oder einem Machbarkeitsdilemma verbunden: Man steht vor dem Problemberg und weiß, dass man ihn nicht abgetragen bekommt. Tipps wie der von Habeck laufen darauf hinaus, sich Problemen so zu stellen, dass man sie buchstäblich in den Griff bekommt: Jeder hat einen Heizungsknopf und eine Duscharmatur. Und beim Einkaufen hat man auch Einfluss darauf, was man in den Korb packt. Sicher, auch das ist nicht immer einfach – aber der Einzelne erfährt doch eine gewisse Form der Selbstwirksamkeit.

Vom baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann kam jetzt der Vorschlag, morgens lieber zum Waschlappen zu greifen, statt sich unter die Dusche zu stellen.

Bei solchen vermeintlich sehr prosaischen Ratschlägen muss man immer mit überlegen: Was ist der tiefere Bedeutungskontext? Wer die Menschen in ihrer Selbstwirksamkeit aktivieren und stärken will, darf ihnen nicht das madig machen, was diese Selbstwirksamkeit in einem täglichen Ritual überhaupt erst entstehen lässt.

Das müssen Sie erklären.

Wir haben bei „rheingold“ etliche Studien zur Psychologie des Duschens gemacht. Das Duschen ist ein hoch symbolisch aufgeladener Akt der vorhin erwähnten Selbstwirksamkeit, ja der Selbstkonstruktion: Wir fallen morgens schlaftrunken aus dem Bett, schlurfen bleiern zur Dusche und wissen noch nicht so genau, wer wir zu dieser frühen Stunde eigentlich sind. Dann – unter dem Wasserstrahl, beim Haarewaschen und beim Einseifen – kommen wir mit unserem Körper in Kontakt und konturieren in der Berührung unser Selbst und unsere Wirklichkeit. Kaltes Abduschen am Ende und anschließendes Rubbeln mit dem Handtuch verstärkt noch diesen morgendlichen Prozess eines „Rebirthing“, einer kleinen Wiedergeburt. Den Menschen genau diesen Moment zu nehmen und ihnen zu sagen, „werdet mit dem Griff zum Waschlappen selbst zu einem“ – das kann nicht funktionieren.

Die Hand am Heizungsthermostat – das hätte fast etwas von der sozialistischen Ikonographie für die Kraft des Individuums im gesellschaftlichen Kollektiv. Die Hand im Waschlappen vermittelt das Gegenteil – die Schwäche des Einzelnen.

Welche Rolle in Ihrem politischen Dreigestirn hat Annalena Baerbock?

Die Außenministerin weist mit ihrer Klarheit, Dynamik und ihrer Bereitschaft, auch mal anzuecken, Jeanne-d’Arc-Qualitäten auf. Ihre damit verbundene Botschaft an die Bürger: Mit Entschiedenheit lassen sich auch Krisen meistern, die vorher schier unüberwindlich erschienen. Dass trotzdem nicht alle „Hurra!“ schreien und sich nach den Zeiten zurücksehnen, in denen sie sich von politischer Mitverantwortung entbunden fühlten und all ihre Lasten quasi auf Mutter Merkel luden, gehört natürlich auch zur Wahrheit.

Fehlt eigentlich in Ihrer Darstellung nicht ein wichtiger Mann, Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner?

In unseren Tiefen-Interviews spielt er bemerkenswerterweise keine besondere Rolle.

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Warum nicht?

Im Bundestagswalkampf hat Lindner immer an den Freiheitsdrang und das „innere Kind“ in den Bürgerinnen und Bürgern appelliert: Bleibt gelassen, es wird alles nicht so schlimm, ihr könnt unbesorgt weiterspielen wie bisher! Jetzt als Finanzminister ist er jetzt gewissermaßen Gefangener seines eigenen Amts. In diesem Job kann er nicht mehr den freiheitlich-spielerischen Habitus pflegen. Er muss das Geld zusammenhalten. Das ist ein ganz anderes politisches Prinzip, mit dem an die komplementären Versprechen des Dreigestirns Scholz-Harbeck-Baerbock nicht gut anschließen kann.

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