Kommentar zur BildungNote Sechs für deutsche Schulen – Es fehlt an allem

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Eine Englisch-Lehrerin einer Grundschule schreibt Unterrichtsinhalte an die Tafel.

Englisch-Unterricht an einer Grundschule. Der Bildungsmonitor 2023 stellt Deutschland ein schlechtes Zeugnis aus.

Der „Bildungsmonitor“ bilanziert, Deutschland verliere den Anschluss an die Weltspitze. Die Qualität seiner Schulen reicht nicht aus.

Was ist bloß los mit der einstigen Strebernation Deutschland? Zu besichtigen ist ein massives Versagen auf so vielen Gebieten, in denen das Land einst glänzte. Das betrifft nicht nur Fußball und Leichtathletik, kaputte Brücken, das marode Schienennetz, die lahme Verwaltung, den schwächelnden Export oder blamable Defekte am schrundigen Flugzeug der Außenministerin. Es betrifft vor allem ein gewaltiges Krisengebiet, dessen Bedeutung für die Zukunft alle anderen Themen in den Schatten stellt: die Bildung. Deutschland rutscht ab. Das Land der Dichter und Denker verliert weiter den Anschluss.

Seit 20 Jahren gießt der „Bildungsmonitor“ der deutschen Wirtschaft das brodelnde Bauchgrummeln im hiesigen Bildungswesen in nüchterne Zahlen. Sie fallen 2023 schlicht verheerend aus: Das Bildungsniveau in Deutschland hat sich dramatisch verschlechtert. Die Zahl der Schulabgängerinnen und -gänger ohne Abschluss steigt. Beim Lesen, Zuhören, in der Rechtschreibung und in Mathematik haben Viertklässler seit 2013 nachgelassen. Ein ganzes Jahrzehnt ohne Fortschritt.

Bis 2035 fehlen 66.000 weitere Lehrkräfte

Humanistische Bildung? Ein seltenes Gut. Die Bildungsferne der Deutschen nimmt zu. Nur ein Indiz dafür: In fast 70 Prozent der Grundschulelternhäuser finden sich heute weniger als 100 Bücher. Vor zehn Jahren waren es noch 60 Prozent. Noch gravierender: Bis 2035 werden bis zu 66.000 weitere Lehrkräfte fehlen, vor allem in den zukunftswichtigen MINT-Fächern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. Eine Bildungskatastrophe mit Ansage, bei der man sich schon fragen muss, wie Kinder eigentlich Matheasse werden sollen, wenn es Schulbehörden und Ministerien nicht mal rechtzeitig gelingt, den Lehrerbedarf hochzurechnen.

Besonders düster sieht es bei Schulqualität, Integration und Bildungsarmut aus. Die Bildungsforscher erwarten für die nächste Zeit sogar noch „deutlich schlechtere Werte“. Studienleiter Axel Plünnecke tadelt, dass Kitas und Schulen „noch keine gute Antwort darauf gefunden haben, dass die Schülerschaft deutlich heterogener wurde“. So sind die Ergebnisse von Kindern aus bildungsfernen Haushalten oder Familien mit Migrationshintergrund besonders stark gesunken. „Es fehlt an Qualität beim Ganztag und an gezielter Förderung.“

Nötig sei auch eine Vorschulpflicht für alle Kinder, die kaum Deutsch sprechen. Der Anteil von Schülerinnen und Schülern aus Familien mit Einwanderungsgeschichte liegt inzwischen bei 21 Prozent – 2008 waren es noch 15 Prozent. Die alternde deutsche Gesellschaft wird ihre Fähigkeiten brauchen.

Deutschland ist nicht auf der Höhe der Zeit

Die Diagnose ist nicht neu, aber sie bleibt bitter: In Sachen Bildung ist Deutschland schlicht nicht auf der Höhe der Zeit. Ein knappes Vierteljahrhundert nach dem Pisa-Schock hat das föderale deutsche Bildungssystem noch immer keine Antwort auf die Frage gefunden, wie es seine Kinder vernünftig auf das Leben vorbereitet. Was also ist zu tun? Mehr frühkindliche Bildung, mehr schulische Selbstbestimmung, mehr Leseförderung nach britischem Vorbild, mehr Blicke über den Tellerrand und mehr Ganztagsangebote, die über eine reine Kinderverwahrung hinausgehen. Nötig sei eine „Zeitenwende in der Bildungspolitik“, fordern die Forscher. Recht haben sie. Polemisch könnte man sagen: Für die Bundeswehr finden sich in Rekordzeit 100 Milliarden Euro, aber in den Kitas tropft es durch die Decke.

Und auch die Erwachsenen sind unzufrieden: Nur 27 Prozent der Deutschen erteilen den Schulen die Note 1 oder 2. Das ist das Ergebnis des repräsentativen Ifo-Bildungsbarometers. 2014 hatten noch 38 Prozent der Befragten diese beiden Werte genannt. Kein Land der Welt aber kann es sich leisten, die Modernisierung der Bildung zu vernachlässigen. Deutschland schon gar nicht, wo nicht Erdgas, Tourismus oder der Abbau seltener Erden über Wohl und Wehe des Standorts entscheiden, sondern Ingenieurskunst, Wissen, Innovation und Tüftlergeist.

Mehr Bereitschaft zu Veränderung

Eine solide Bildung bleibt das Fundament für ein gelungenes Leben und eine leistungsfähige Gesellschaft. Dafür müsste sich das kleinstaatlich organisierte Bildungswesen endlich mal vom noch immer dominierenden preußischen Frontalunterricht verabschieden. Was fehlt, sind Lehrende, Geld, Kontinuität und die Bereitschaft zur Veränderung. Vor allem aber fehlt der politische Wille, endlich anzuerkennen, was die Bildung seiner Kinder für ein Land wirklich bedeutet: nämlich alles.

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