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Kommission für ZeitgeschichteBischöfe planen Aus der renommierten Forschungsstelle in Bonn

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Das Collegium Albertinum in Bonn war über viele Jahre Sitz der Kommission für Zeitgeschichte.

Das Collegium Albertinum in Bonn war über viele Jahre Sitz der Kommission für Zeitgeschichte.

Die Kommission für Zeitgeschichte mit Sitz in Bonn soll Sparmaßnahmen der katholischen Bischöfe zum Opfer fallen. Jetzt wehren sich die Wissenschaftler des Verbunds in einem offenen Brief.

An diesem Freitag findet in Hamburg eine akademische Trauerfeier für Thomas Großbölting statt. Der im Februar bei einem ICE-Unfall tödlich verunglückte Historiker hat einen kaum zu überschätzenden Anteil an der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals in der katholischen Kirche. Über viele Jahre war Großbölting Mitglied der „Kommission für Zeitgeschichte“ (KfZG), einem Forschungsverbund für die jüngere Vergangenheit.

Genau dieser renommierten Institution mit Sitz in Bonn droht das Aus. Die deutschen Bischöfe planen, der Kommission im Zuge allgemeiner Sparmaßnahmen bis 2026 sämtliche Mittel zu streichen. Es geht um den – mit Blick auf die Kirchenfinanzen insgesamt – kaum nennenswerten Betrag von 360.000 Euro jährlich. In einem offenen Brief appellieren die in der Kommission organisierten Wissenschaftler – neben Historikern auch Politologen und Soziologen – an die Bischöfe, „diese für die bundesdeutsche Gesellschaft bedeutsame Wissenschaftseinrichtung nicht einem reinen Sparzwang zu opfern“. Die Verfasser erinnern an die verdienstvollen, teils bahnbrechenden Arbeiten der Kommission über die NS-Zeit und die Nachkriegsgeschichte.

Wichtige Arbeiten zur Aufarbeitung des Missbrauchsskandals

Von einer anfänglich apologetischen Grundtendenz in der Deutung kirchlicher Zeitgeschichte hat sich die KfZG längst emanzipiert und ist mit einschlägigen Arbeiten zu den Zwangsarbeitern, der Gewalt gegen Heimkinder sowie zur sexualisierten Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in der Kirche hervorgetreten. Ein Beispiel ist der 2022 erschienen Band „Katholische Dunkelräume“ der Berliner Historikerin Birgit Aschmann.

Die „AG Missbrauch“ der Kommission fungiert als zentrale Plattform für die Vernetzung der verschiedenen Forschungsprojekte. „Wenn das alles zusammenbräche, wäre es ein herber Rückschlag für die Aufarbeitung des kirchlichen Missbrauchsskandals und kontraproduktiv zum Versprechen der Bischöfe“, sagt der Hamburger Historiker Klaus Große Kracht, der zur Wissenschaftlichen Kommission der KfZG gehört und eng mit Thomas Großbölting zusammengearbeitet hat. „Es ist ein bitterer Sarkasmus, dass die Bischöfe, die Großböltings Arbeit zu Recht gelobt haben, der Forschung in seinem Sinne nun die Grundlagen entziehen.“

Offener Brief spricht von „fatalem Signal“

Der offene Brief spricht überdies von einem „fatalen Signal des weiteren schrittweisen kirchlichen Rückzugs aus der Gesellschaft“, falls der KfZG der Geldhahn zugedreht würde. Ein „europaweit beispielloses“ Forschungsnetz mit seinen Beiträgen zu politischen und gesellschaftlichen Diskursen des 20. und 21. Jahrhunderts sowie zur Entwicklung weiterführender, auf das künftige Verstehen von Religion und Kirche gerichteter Forschungsfragen werde, einmal zerstört, „nicht wieder herstellbar“ sein.

Dem Vernehmen nach ist die Entscheidung zur künftigen Finanzierung der KfZG noch nicht endgültig gefallen. Die Chefs der 27 Bistümer treffen sich dazu nächste Woche in ihrem „Ständigen Rat“. Ein Sprecher der Bischofskonferenz wollte sich zum Stand der Planungen und zum offenen Brief auf Anfrage nicht äußern. Er bestritt aber, dass mit den Vertretern der Kommission vorab nicht gesprochen worden sei.

Der Kölner Kardinal Rainer Woelki, Chef der für Wissenschaft zuständigen bischöflichen Kommission, nahm auf Anfrage nicht Stellung zu den Streichungsplänen. Es handele sich um eine Angelegenheit der Bischofskonferenz, teilte seine Pressestelle mit. In Woelkis Erzbistum hat die 1962 gegründete KfZG seit 1972 ihren Sitz. Mit Geschäftsstelle, Büro und einem bedeutenden Archiv war sie – bis zur Sanierung des Huses - im erzbischöflichen Collegium Albertinum in Bonn angesiedelt.