Vatikan-Experte Marco Politi erklärt, wer zurzeit die besten Chancen hat, der neue Papst zu werden.
Vatikan-Experte„Gesucht wird ein Papst, der das zerrissene Kleid nähen kann“

Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin gedenkt am 22. April auf dem Platz vor der römischen Kirche Santa Maria Maggiore des am Tag zuvor verstorbenen Papstes Franziskus.
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Herr Politi, die Buchmacher haben bereits ihre Favoriten fürs Konklave zur Wahl des neuen Papstes. Auf wen setzen Sie?
Marco Politi: Ich wette prinzipiell nicht, und ich mache auch nicht auf Prophet. Was derzeit in der Papst-Lotterie sofort ins Auge fällt: Es sind erstens zu viele Italiener im Spiel. Deren Stimmen würden sich im Konklave gegeneinander aufheben. Zweitens zirkulieren überwiegend die Namen von Europäern.

Marco Politi
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Was bedeutet das?
Zum einen sind es Kardinäle, die einigermaßen bekannt sind. Zum anderen wird von den Europäern – allen voran natürlich den Italienern – erwartet, dass sie die römische Zentrale am besten kennen, mit der Regierungsmaschinerie des Vatikans am ehesten vertraut sind und, salopp formuliert, den Laden zusammenhalten können.
Für Mehrheitsbildungen ist es noch zu früh.
Aber es werden doch auch Kardinäle aus Fernost hoch gehandelt, zum Beispiel Luis Antonio Tagle von den Philippinen
Das ist richtig. Wenn die Kardinäle im Konklave auf die fortschreitende Internationalisierung der Kirche reagieren wollten, wäre er ein naheliegender Kandidat. Ein Afrikaner eher nicht. Dafür ging vom afrikanischen Kontinent zu viel Widerstand gegen die Reformversuche von Papst Franziskus aus – etwa in der Frage des Segens für homosexuelle Paare.
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Was ist mit einem Überraschungskandidaten, den niemand auf dem Schirm hat?
Den kann es geben, natürlich. Ich sagte ja, ich wette nicht. In den letzten Tagen fiel zum Beispiel immer wieder mal der Name von Kardinal Claudio Gugerotti, einem früheren Vatikan-Diplomaten, der jetzt das Dikasterium für die Ostkirchen leitet. Insgesamt ist es für Mehrheitsbildungen noch zu früh. Sie müssen immer bedenken: Die Kardinäle kennen sich untereinander nur zur Hälfte. Die müssen erst einmal miteinander vertraut werden.
Wir stehen vor dem dramatischsten Konklave der letzten 50 Jahre.
Dafür ist das sogenannte Präkonklave oder Vorkonklave da. 2013 hat eine Ansprache des damaligen Kardinals Jorge Mario Bergoglio den Ausgang des Konklaves zu seinen Gunsten nicht unerheblich beeinflusst. Was hören Sie im Moment aus den internen Beratungen?
Die größte Sorge der Kardinäle gilt der Polarisierung, den Spaltungen in der Kirche. Es hat lange keine so massiven Konflikte zwischen „Liberalen“ und „Konservativen“, zwischen den verschiedenen Regionen der Weltkirche gegeben wie heute. diesem Sinne stehen wir vor dem dramatischsten Konklave der letzten 50 Jahre. Ganz kurz vor seinem Tod hat Papst Franziskus das auch sehr klar benannt – in einem Gebet am Karfreitag, in dem es hieß: Das Gewand der Kirche ist zerrissen, die Jünger sind gespalten. Herr, gib Frieden und Einheit. Das heißt: Gesucht wird ein Papst, der das zerrissene Kleid zusammennähen kann.
Und drängt sich da schon jemand auf?
Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin ist in dieser Hinsicht der – wenn man so will – Spitzenkandidat: diplomatisch, religiös sensibel, ein Mann von Kultur, der den Kurienapparat kennt und viele, viele Protagonisten des kirchlichen Lebens.
Das konservative Lager bräuchte einen anschlussfähigen Kandidaten, einen sanften Konservativen.
Manche kalkulieren bereits mit 40 bis 50 Stimmen für ihn.
Ja. Aber auch auf 25 für den Kardinal von Budapest, Péter Erdö, als Vertreter des konservativen Lagers. Aus der Erfahrung mit früheren Konklaven weiß man: Von solchen Zahlen ist es noch ein sehr weiter Weg bis zur magischen Ziffer 89. Das ist derzeit die Mindestzahl von Wählerstimmen für die erforderliche Zweidrittelmehrheit. Um sie zu erreichen, bräuchte das konservative Lager eher einen moderateren, anschlussfähigen Kandidaten – einen sanften Konservativen.
Wer sind diesmal die „Königsmacher“, also die Kardinäle, die mit ihrem Votum viele andere beeinflussen können?
Da ist Kardinal Timothy Dolan zu nennen, der Papst Franziskus vor allem wegen seiner Bemühungen um die Evangelisierung unterstützt hat. Ein Konservativer, aber kein aggressiver Reformgegner. Sein Einfluss beruht auch auf der starken Vernetzung des US-Episkopats mit Bischofskonferenzen aus anderen Weltregionen, etwa in Lateinamerika.
Die Rolle der deutschen Kardinäle ist schwach.
Das wird traditionell auch den Deutschen nachgesagt, die über die kirchlichen Hilfswerke international gut verdrahtet sind. Wie steht es um die Rolle der deutschen Kardinäle?
Die ist schwach. Mit dem „Synodalen Weg“ steht der deutsche Katholizismus an der Spitze der Reformbewegung. Ihr Gesicht im Konklave ist der Münchner Kardinal Reinhard Marx. Aber den Konservativen im Kardinalskollegium ist der Synodale Weg suspekt. Und mit Kardinal Rainer Woelki aus Köln und Kurienkardinal Gerhard Müller gehören zwei der drei deutschen Kardinäle paradoxerweise selbst zu den erklärten Gegnern des Synodalen Wegs.
Kardinal Woelki betont bei jeder Gelegenheit, die ganze Zeit bis zur Papstwahl und auch das Konklave selbst sei zuerst und vor allem ein geistliches Geschehen. Stimmt das eigentlich?
Man sollte das nicht überspiritualisieren. Es ist ein politisches Verfahren – wie in jedem sozialen Organismus, der zu einer wesentlichen Entscheidung kommen muss. Gerade das Vorkonklave muss man sich vorstellen wie Koalitionsverhandlungen. Natürlich alles in einem sehr eleganten Stil, aber doch deutlich. Wenn Kardinal Müller etwa davon spricht, dass Laien und Frauen mit Stimmrecht in Synoden nicht zur hierarchischen Verfassung der Kirche und zur Autorität der Bischöfe passen, dann ist das eine politische Ansage: Es darf nicht so weitergehen wie unter Papst Franziskus! Oder wenn Kardinäle nach dem Tod von Papst Franziskus vor einer „pathologischen Polarisierung“ der Kirche und vor einer „Revanche“ warnen, dann sind auch das politische Ansagen.
Marco Politi ist Journalist, Vatikan-Experte und Autor zahlreicher Bücher über die Päpste. Über den am Ostermontag verstorbenen Papst erschien vor wenigen Wochen im Herder-Verlag Freiburg der Band „Der Unvollendete. Franziskus' Erbe und der Kampf um seine Nachfolge“. (jf)
Favoriten im Konklave
Diese Kardinäle werden derzeit als möglicher neuer Papst hoch gehandelt (in alphabetischer Reihenfolge):
Péter Erdö (72), Erzbischof von Budapest und Primas von Ungarn
Mario Grech (68), Generalsekretär der Bischofssynode, bis 2020 Bischof von Gozo (Malta)
Pietro Parolin (70), als Kardinalstaatssekretär unter Papst Franziskus die Nummer zwei der Vatikanhierarchie
Pierbattista Pizzaballa (60), italienischer Franziskanerpater, Lateinischer Patriarch von Jerusalem
Luis Antonio Tagle (67), Erzbischof von Manila (Philippinen)
Jean-Paul Vesco (63), französischer Dominikanerpater, Erzbischof von Algier (Algerien)
Lazarus You Heung-sik (73), Präfekt des Dikasteriums für den Klerus im Vatikan, bis 2021 Bischof von Daejeon (Südkorea)
Matteo Maria Zuppi (69), Erzbischof von Bologna und Vorsitzender der italienischen Bischofskonferenz (jf)