Kopflos in den LockdownWas fehlt, ist die vorausschauende Planung

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Hohe Straße dpa

Wie leergefegt ist zu Beginn des Lockdowns die Hohe Straße in Köln. 

  • Dem Vorgehen von Bund und Ländern in der Pandemie-Bekämpfung fehlt es an Konsequenz und vorausschauender Planung.
  • Verfassungsrechtler Michael Bertrams über den schließlich doch beschlossenen Lockdown.

Mit hohem Tempo und in seltener Einmütigkeit haben Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Regierungschefs der Länder die seit Mittwoch geltenden tiefgreifenden Kontaktbeschränkungen beschlossen mit dem Ziel, die Zahl der Corona-Neuinfektionen so deutlich zu reduzieren, dass es den Gesundheitsämtern wieder möglich wird, Infektionsketten nachzuverfolgen und die Zahl der an Covid-19 Erkrankten weiter zu senken.

Die Abkehr von dem am 25. November beschlossenen „Lockdown light“ hin zu einem „harten“ Lockdown findet angesichts der hohen Zahl von Infektionen und Todesfällen sowie in Anbetracht fehlender kurzfristig umsetzbarer Alternativen breite politische und gesellschaftliche Zustimmung bis zum Bundespräsidenten, der dazu aufruft, die beschlossenen Maßnahmen mitzutragen.

Diesem Aufruf ist zuzustimmen. Doch zugleich muss bezweifelt werden, dass sich der erhoffte Erfolg der vorläufig bis zum 10.  Januar befristeten Maßnahmen einstellen wird. Diesen Zweifel hat die Bund-Länder-Runde schon in ihren eigenen Beschluss vom 13. Dezember hineingeschrieben. Dort ist nämlich festgelegt, dass bereits am 5. Januar 2021 „im Lichte der weiteren Infektionsentwicklung“ erneut zu beraten und über die Maßnahmen ab dem 11. Januar zu beschließen sei.

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Warum gab es nicht schon früher einen harten Lockdown?

Was also ist von dem jetzt begonnenen harten Lockdown zu halten, und warum ist er nicht früher und von vorneherein auf unbestimmte Zeit beschlossen worden? Letzteres hat mit dem im November neu gefassten Infektionsschutzgesetz zu tun. Es bestimmt, dass die im Gesetz geregelten Schutzmaßnahmen zur Bekämpfung des Coronavirus mit einer allgemeinen Begründung zu versehen und zeitlich zu befristen sind. Die Befristung beträgt „grundsätzlich vier Wochen“, kann aber verlängert werden.

Der Gastautor

Michael Bertrams, geboren 1947, war von 1994 bis 2013 Präsident des Verfassungsgerichtshofs für Nordrhein-Westfalen. Als Kolumnist des „Kölner Stadt-Anzeiger“ schreibt er in seiner Reihe „Alles, was Recht ist“ regelmäßig über aktuelle Streitfälle sowie rechtspolitische und gesellschaftliche Entwicklungen.

Mit dieser Regelung hat der Gesetzgeber der Tatsache Rechnung getragen, dass mit den jeweiligen Schutzmaßnahmen zur Pandemiebekämpfung – hier den Kontaktbeschränkungen – erhebliche freiheitsbeschränkende Grundrechtseingriffe verbunden sind. Diese unterliegen einer besonderen Begründungspflicht. Es ist deshalb geboten, sämtliche Eingriffe in kurzen zeitlichen Abständen daraufhin zu überprüfen, ob sie für das Ziel, die Bevölkerung vor dem Virus zu schützen, geeignet, notwendig und angemessen – kurzum verhältnismäßig – sind.

Das ist für die verordnete Begrenzung privater Zusammenkünfte auf maximal fünf Personen aus zwei Haushalten zu bejahen, da dies das Risiko von Infektionen mindert. Mit Blick auf das Ziel, die Zahl der Infektionen zu reduzieren, ist es jedoch kontraproduktiv, dass die Bund-Länder-Runde von dieser Fünf-Personen-Regel für die Weihnachtstage abgewichen ist und Treffen „mit vier über den eigenen Hausstand hinausgehenden Personen zuzüglich Kindern im Alter bis 14 Jahre aus dem engsten Familienkreis“ erlaubt hat. Mit dieser Ausnahme steigt die Zahl der an möglichen Treffen beteiligten Haushalte erheblich – und mit ihr das Infektionsrisiko. Das gilt umso mehr, als Kinder bis 14 Jahren uneingeschränkt zugelassen sind. Auch Kinder können aber – wie Virologen betonen – Überträger des Coronavirus sein.

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Darüber hinaus teile ich die Kritik, dass der Lockdown erst zum 16. Dezember verhängt wurde. Fernsehbilder vom Montag und Dienstag dieser Woche haben die Befürchtung bestätigt, dass es an diesen Tagen angesichts des bevorstehenden Lockdowns in den Innenstädten vielfach zu Schlangenbildungen vor den Geschäften und dabei mit hoher Wahrscheinlichkeit zu vermehrten Infektionen kam. Das Argument, der spätere Beginn sei einer notwendigen parlamentarischen Beteiligung geschuldet gewesen, überzeugt nicht, weil die Regierung nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht bei Gefahr im Verzuge legitimiert ist, vorläufig allein zu entscheiden und die Zustimmung des Parlaments zügig nachzuholen.

In welchem Umfang die weitgehende Schließung des Einzelhandels dazu beiträgt, einer drohenden Überlastung des Gesundheitssystems entgegenzuwirken, ist unklar. Klar hingegen ist, dass die von Finanzminister Olaf Scholz (SPD) in Aussicht gestellte Überbrückungshilfe von elf Milliarden Euro zu einem weiteren erheblichen Anstieg des staatlichen Schuldenbergs führen wird. Dem steht die Schuldenbremse in Artikel 109 des Grundgesetzes zwar nicht entgegen, weil es sich bei der Pandemie um eine „außergewöhnliche Notsituation“ handelt. Doch in einer solchen Notsituation ist ohne erkennbare Strategie zur Verhinderung weiterer Lockdowns eine weitere Aufnahme von Schulden in Milliardenhöhe über den 10. Januar hinaus nicht zu rechtfertigen.

Gefordert sind deshalb Alternativen zum bloßen Herunterfahren des sozialen und wirtschaftlichen Lebens. Die Ausarbeitung und Umsetzung entsprechender – in anderen Teilen der Welt erfolgreicher – Alternativen hat die Politik in Deutschland versäumt. Sie sollte die Weihnachtstage dazu nutzen, das sträflich Versäumte nachzuholen.

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