Künstliche IntelligenzNRW-Turbo für die Aufklärung von Kindesmissbrauch

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Eine Kriminaloberkommissarin sitzt vor einem Auswertungscomputer bei Ermittlungen gegen Kinderpornografie und sexuellem Missbrauch.

Düsseldorf – Der nordrhein-westfälische Justizminister Peter Biesenbach konnte seine Begeisterung nicht verbergen. Seine Erwartungen seien „weit übertroffen“ worden, sagte der CDU-Politiker am Dienstag in Düsseldorf. Das Verfahren zur Identifizierung von Kinder- und Jugendpornografie im Internet, maßgeblich entwickelt von Experten der „Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen“ (ZAC NRW), werde „die Arbeit der Staatsanwaltschaft revolutionieren“, glaubt der CDU-Politiker. „Damit haben wir eine Ermittlungsmöglichkeit, die weltweit einmalig ist.“

Was Biesenbach so begeistert, ist die Kombination von Künstlicher Intelligenz (KI) und einer speziellen Internetcloud bei der Fahndung nach Missbrauchstätern. Die von der „Zentralstelle Cybercrime“ in einem Jahr mit Hilfe von Wissenschaftlern, der Polizei und dem Softwarekonzern Microsoft entwickelte KI könne mit einer Genauigkeit von 92 Prozent Kinder- und Jugendpornografie und nicht strafbare Erwachsenenpornografie erkennen und unterscheiden, so der Minister.

Missbrauchsbilder werden in einer Cloud gespeichert

Installiert und trainiert wurde das KI-Programm in einer Cloud, in der die Bilder und Videos der Täter eingespeist wurden. Was bisher als unmöglich galt, denn das Strafgesetzbuch bestimmt ein umfassendes Umgangsverbot für kinder- und jugendpornografischen Schriften. Selbst bei der Strafverfolgung muss die Arbeit mit solchem Material minimiert werden. In die Hände Externer darf es keinesfalls gelangen.

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Das Problem sei nun mit einer Abstraktionssoftware gelöst worden, erklärte KI-Programmierer Jan Kruse von Microsoft Deutschland. In einer abstrahierten und anonymisierten Form könne das Bild- und sonstige Datenmaterial unbedenklich in die Cloud geladen werden. „Nur für uns ist die Darstellung dann wieder umkehrbar, für niemand anderen“, sagte der Kölner Oberstaatsanwalt und ZAC-Leiter, Markus Hartmann. Die speziell für diese Cloud trainierte Künstliche Intelligenz indes könne verdächtige Fotos und Videos auch in der der verfälschten Darstellung erkennen.

„Das ist der Kniff“

„Das ist der Kniff“, sagte Hartmann. Innerhalb weniger Minuten könnten so Tausende Bilder herausgefiltert werden. Weitere Vorteile des „AIRA“ (Artificial Intelligence enabled Rapid Assessment, auf Deutsch etwa: durch künstliche Intelligenz ermöglichte schnelle Bewertung) getauften Software-Assistenten: Mit zunehmenden Fällen „lernt“ er, und die Bewertungen werden noch zielgenauer.

Zudem könne in der Cloud das jeweils benötigte Rechnervolumen „angemietet werden“ ergänzte Minister Biesenbach.  „Letztlich können wir mit einer unendlichen Kapazität arbeiten.“ Alle bisher bekannten Systeme jedoch arbeiteten mit einer eigenen Hardware. „Und die Kapazität der Hardware bestimmt dann das Tempo, es kommt zu monatelangen Verzögerungen.“

1600 Ermittlungsverfahren

Anlass für das KI-Projekt waren große Missbrauchskomplexe mit dem Ausgangspunkt in Lüdge, Münster und Bergisch Gladbach. Eine Mitte 2020 eingesetzte Taskforce für diesen Bereich habe bislang schon zu mehr als 1600 Ermittlungsverfahren gegen mehr als 1800 Beschuldigte geführt, sagte Minister Biesenbach. Ohne Künstliche Intelligenz sei der schieren Datenflut in diesem Bereich nicht mehr Herr zu werden.

Die Strafen für den Besitz und die Verbreitung von kinderpornografischen Inhalten wurden vor einigen Wochen zudem verschärft. War bisher noch eine dreimonatige Freiheitsstrafe möglich, ist jetzt eine Mindestfreiheitsstrafe von einem Jahr vorgesehen. „Mehr Tatverdächtige werden deshalb in Untersuchungshaft landen“, so Biesenbach. Spätestens nach einem halben Jahr müsse dann über die Erhebung der Anklage entschieden werden. Die Strafverfolger müssten deshalb so schnell wie möglich wissen, ob die vorhandenen Beweismittel für den dringenden Tatverdacht ausreichen.

Das neue Programm soll zahlreichen Ermittlern zur Verfügung gestellt werden

„Denn es wäre für mich kaum erträglich, wenn wir Beschuldigte wieder freilassen müssen, nur weil wir nicht in der Lage waren, Beweismittel zu sichern“, sagte der Minister. Die Landesregierung habe bereits die Mittel in den Haushalt eingestellt, um „AIRA“ möglichst vielen Ermittlern zur Verfügung zu stellen. Dazu werde nun eine öffentliche Ausschreibung erfolgen, um die dazu nötige Infrastruktur in den Behörden zu schaffen.

Auch eine Anwendung des Systems auf andere Deliktbereiche sei vorstellbar, sagte Oberstaatsanwalt Hartmann. „KI kann Kinderpornografie erkennen. Warum sollte sie nicht auch Hakenkreuze, Hass-Parolen oder andere Dinge erkennen können, wenn wir sie darauf trainieren?“

Datenberge mit abscheulichem Inhalt

2020 habe die NRW-Polizei über vier Petabyte an kinderpornografischem Material gesichert, berichtet NRW-Innenminister Herbert Reul. „Das sind fast sieben Millionen CDs; übereinandergestapelt mehr als 8.000 Meter hoch. Diese Datenberge, mit ihrem abscheulichen Inhalt, kann kein Mensch allein sichten.“ Alles was dienlich sei, um sexualisierte Gewalt gegen Kinder zu stoppen, begrüße er ausdrücklich: „Und dazu zählt auch das neue Forschungsprojekt der Justiz.“

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