Kanzler Merz und Verteidigungsminister Pistorius reisten zum offiziellen Startschuss für die entstehende Bundeswehr-Brigade ins Baltikum.
Merz und Pistorius in LitauenTruppenbesuch mit Volksfestcharakter

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) spricht beim Aufstellungsappell der Panzerbrigade 45.
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Mirus Senulis begrüßt, dass die Deutschen da sind – so wie eigentlich alle hier. „Wir müssen unsere Kooperation stärken“, sagt der Anwalt, der mit seinem Fahrrad am Donnerstag den Kathedralenplatz in der litauischen Hauptstadt kreuzt. Und er fügt hinzu: „Niemand weiß, was passiert.“ Nein, einen russischen Angriff fürchtet Senulis in absehbarer Zeit nicht. „Der Westen wird von Jahr zu Jahr stärker“, sagt er. „Putin sieht das ja auch.“ Aber ohne die deutschen Soldaten wäre das eben anders. Und überhaupt: „Ich bin freundlich zu ihnen, und sie sind es auch zu mir.“
Im Rücken des 44-Jährigen steht eine Panzerhaubitze 2000 der Bundeswehr. Vorne hat sich eine Schlange von Frauen und Männern gebildet, die über eine Leiter auf das Fahrzeug klettern, um es sich – von einem Soldaten angeleitet – von innen anzusehen. An der Luke hinten ist eine Traube aus Kindern entstanden, die wie so viele auf dem Kathedralenplatz deutsche und litauische Fähnchen schwenken. Zahlreiche Ältere säumen ebenfalls den Platz, auf dem an zwei Seiten gepanzerte Fahrzeuge geparkt sind, jeweils dicht umringt von Schaulustigen oder sonst wie Interessierten. Anwesend ist neben deutschen Soldaten, so scheint es, ein Querschnitt der litauischen Gesellschaft. Das Ganze hat Volksfestcharakter.
Brigade soll bis 2027 vollständig sein
Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hatte im Juni 2023 auf Drängen der dort politisch Verantwortlichen angekündigt, eine ständige Bundeswehr-Brigade in Litauen stationieren zu wollen. Es wäre die erste ständige Brigade außerhalb der deutschen Grenzen. Derzeit sind etwa 400 Mitglieder der Truppe eingetroffen, hinzu kommt eine rund 1.000-köpfige Battlegroup, die bald in die Brigade integriert wird – bis diese laut Plan bis 2027 auf 4800 Soldatinnen und Soldaten und zirka 200 Zivilbeschäftigte angewachsen ist.
Am Donnerstag nun reist Kanzler Friedrich Merz in Begleitung von Pistorius nach Vilnius, um dort auf dem besagten Kathedralenplatz am Aufstellungsappell der Panzerbrigade 45 teilzunehmen. Es ist der offizielle Startschuss und für Deutsche und Litauer gleichermaßen das Signal, dass sie jetzt fest miteinander verbunden sind.
Zunächst trifft Merz, der Mitte der 1970er-Jahre selbst 15 Monate Wehrdienst geleistet hat, mit dem litauischen Staatspräsidenten Gitanas Nauseda zusammen. Er weist dort auf die schwierige Sicherheitslage in der Region hin. Russlands aggressiver Revisionismus bedrohe nicht nur die Sicherheit der Ukraine, sondern auch die Sicherheit in Europa und im euro-atlantischen Raum, sagt der CDU-Politiker. „Die Sicherheitslage hier im Baltikum bleibt sehr angespannt.“
Merz: „Heute sind wir es, die in der Pflicht sind“
Litauen liegt zwischen der russischen Exklave Kaliningrad und dem Vasallenstaat Belarus. Experten gehen davon aus, dass Russland spätestens 2029 fähig sein dürfte, Nato-Territorium anzugreifen, und dann testen könnte, inwieweit die in Artikel 5 des Nato-Vertrages kodifizierte Beistandspflicht greift. Durch Einnahme der so genannten Suwalki-Lücke zwischen Litauen und Polen könnte der russische Präsident Wladimir Putin dabei versucht sein, das Baltikum vom restlichen Nato-Gebiet abzuschneiden. Allein wäre Litauen dagegen wohl machtlos. Der litauischen Armee gehören nur 15.000 Soldaten an, darunter 3.500 Wehrpflichtige.
Später ziehen Merz und Nauseda zum Kathedralenplatz, wo viele Menschen und dunkle Wolken warten. Zwar wird ausgerechnet die Rede des Kanzlers von einem kräftigen Platzregen begleitet. Die aufmarschierten Soldaten werden nass. Zeitweise ist kein Wort zu verstehen. Doch die Kernbotschaft wird deutlich. „In den Jahren des Kalten Krieges konnte sich Deutschland darauf verlassen, dass unsere Verbündeten in jeder Notlage an unserer Seite stehen“, sagt der Regierungschef. „Heute sind wir es, die in der Pflicht sind.“
Zuvor hatte die litauische Verteidigungsministerin Dovilė Šakalienė in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ auf die historischen Erfahrungen ihres Landes verwiesen. „Russland ist ein sehr aggressiver, militaristischer Staat, und wenn es kleinen Ländern wie uns offen droht, nehmen wir das ernst“, sagt sie. Die Antwort müsse „glaubwürdige Abschreckung“ sein.
Ja, im Zweiten Weltkrieg habe Deutschland „furchtbare Verbrechen begangen“, fährt die Ministerin fort. „Aber heute sehen wir ein Land, das aus seiner Geschichte gelernt hat. Es ist heute nicht nur eine wirtschaftliche Macht, sondern hat Verantwortung übernommen, und es zählt zu den Ländern, die uns heute vor der Gefahr beschützen, wieder besetzt zu werden.“ Dafür seien die Litauer „sehr dankbar“. Tatsächlich ist es dieses Gebrauchtwerden, das es für viele Soldaten reizvoll macht, ihren Lebensmittelpunkt für einige Jahre ins Baltikum zu verlegen. Der Respekt bedeutet ihnen etwas.
Bevor Kanzler und Verteidigungsminister vor dem Rückflug das Gespräch mit den Soldaten suchen, fliegen mehrere Hubschrauberstaffeln über den Kathedralenplatz hinweg. Die Zuschauer klatschen, vermutlich nicht zuletzt aus Erleichterung über die Fähigkeiten der Gäste. Ein deutscher Soldat sagt: „Das war schön.“ Und eine Litauerin ruft: „Danke!“