Der Kreml befeuert eine absurde Kampagne gegen Merz und Macron. Experten sehen darin ein Zeichen für Nervosität in Moskau.
Fotos entlarven PropagandaMoskau verbreitet Lügengeschichte über Merz – „Verzweiflung“ im Kreml?

Gute Laune beim britischen Premierminister Keir Starmer (l.), Frankreichs Präsident Emmanuel Macron (M.) und Bundeskanzler Friedrich Merz im Zug auf dem Weg in die Ukraine.
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Moskau hat eine rufschädigende Propaganda-Kampagne gegen Bundeskanzler Friedrich Merz gestartet: Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, verbreitete am Sonntag in ihrem Telegram-Kanal haltlose Behauptungen über Merz und die Staatschefs von Großbritannien und Frankreich.
Die Außenamtssprecherin kommentierte dafür ein in den sozialen Netzwerken kursierendes Video, auf dem Keir Starmer, Emmanuel Macron und Merz bei ihrer gemeinsamen Zugreise nach Kyjiw zu sehen sind, und deutete dabei an, die drei Spitzenpolitiker seien dabei „high“ gewesen. „Offenbar so sehr, dass sich vergessen haben, ihr Werkzeug (Beutel und Löffel) wegzulegen“, behauptete Sacharowa weiter.
Putins Propagandisten: Plumpe Drogen-Lüge über Merz und Macron
Es seien „unglaubliche Aufnahmen“, das Schicksal Europas werde von „abhängigen Zeitarbeitern entschieden“, polterte die Sprecherin von Außenminister Sergej Lawrow außerdem, ehe sie dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj ebenfalls langjährigen Kokainkonsum unterstellte.

Ein Screenshot aus dem Telegram-Kanal von Maria Sacharowa zeigt, wie die russische Außenamtssprecherin die Kampagne gegen Merz und Macron befeuert hat.
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Später verbreitete dann auch der russische Sondergesandte Kirill Dmitrijew die entsprechenden Aufnahmen, die am Wochenende insbesondere auf der Plattform X von prorussischen Accounts und rechten amerikanischen Influencern verbreitet worden waren. Auch Dmitrijew machte dabei Andeutungen, die auf Drogenkonsum hindeuten sollten.
Putins Ukraine-Gesandter beteiligt sich an Desinformationskampagne
„Handelt es sich bei diesem Filmmaterial um künstliche Intelligenz oder um reale Aufnahmen?“, schrieb der Günstling Putins, der vom Kremlchef zuletzt mit den Gesprächen über die Ukraine betraut worden war. „Wenn ja, handelt es sich um Zucker oder etwas ganz anderes?“, raunte der Russe nun weiter bei X über die drei Staatschefs.
„Wenn es etwas anderes ist, erklärt es viele aktuelle Ideen und Vorschläge“, fügte Dmitrijew außerdem an – und offenbarte damit das ohnehin offensichtliche Motiv hinter der durchschaubaren Propaganda.
Während auf den kursierenden Videos nur zu sehen ist, dass beide Politiker zwei undefinierbare Dinge vom Tisch nehmen, als Reporter den Raum betreten, liefern hochauflösende Fotos schnell die Erklärung. Dort ist deutlich ein zerknülltes Taschentuch zu sehen, das Macron schließlich vom Tisch genommen hat – und kein Päckchen mit Kokain.
Merz und Macron: Hochauflösende Fotos entlarven Lügen-Kampagne
Vor Merz liegt außerdem ein länglicher Gegenstand, den der Bundeskanzler in dem Video später mit seiner Hand bedeckt. Dabei könnte es sich um einen Stab zum Umrühren eines Getränks handeln, passend zum Glas wäre ein Cocktailspieß – exakt zu erkennen ist das Objekt jedoch nicht. Dafür, dass es sich um einen speziell für den Konsum von Kokain angefertigten kleinen Löffel handeln könnte – wie von Sacharowa behauptet – spricht jedoch nichts.

Zerknülltes Taschentuch und vermutlich ein Cocktailspießchen: Hochauflösende Fotos entlarven die russischen Behauptungen über Merz und Macron.
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Auch ein möglicher Grund für das von Moskau als „verdächtig“ dargestellte Verhalten von Macron und Merz ist naheliegend: Die Staatschefs posierten gerade für die Pressefotografen – und das wohl lieber ohne „Müll“ auf dem Tisch vor sich.
Schrille Propaganda-Attacken auf Europa
Die plumpen Anspielungen aus Moskau passen unterdessen zur Propaganda und zum Tonfall, den Moskau zuletzt immer häufiger gegenüber Europa angeschlagen hat. Nachdem Außenminister Lawrow die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen als „Führer Ursula“ betitelt und in der letzten Woche erklärt hatte, Russland befinde sich im Krieg mit „fast ganz Europa“, folgte nach Merz‘ Wahl die nächste Attacke.
Der CDU-Politiker wolle ein „Viertes Reich“ errichten, hieß es von einem Duma-Abgeordneten aus Moskau. Nun folgen von offiziellen Kreml-Vertretern verbreitete Lügen über angeblichen Drogenkonsum bei den europäischen Staatschefs.
Vulgäre Worte und plumpe Lügen aus Moskau
Zuvor hatte Ex-Präsident Dmitri Medwedew am Wochenende bereits entsprechend vulgär auf die Friedenspläne der Europäer reagiert: Diese könnten sich Merz, Macron, Starmer und Polen Ministerpräsident Donald Tusk „in ihre pan-gender Ärsche schieben“, lautete Medwedews Antwort.
Auslöser für die Kampagne gegen Merz und Macron dürfte das Ultimatum sein, was Europa in Richtung Moskau zuvor zusammen mit der Ukraine und den USA formuliert hatte. Die „Koalition der Willigen“ fordert einen 30-tägigen Waffenstillstand ohne Bedingungen von Moskau, der am Montag beginnen soll.
Wladimir Putin lehnt 30-tägigen Waffenstillstand ab
Kremlchef Putin lehnte das umgehend ab und unterstrich mit eigenen Bedingungen und Vorschlägen erneut, dass in Moskau kaum Interesse an Frieden zu herrschen scheint. Am Sonntag folgten auf die Ablehnung dann nicht nur die Propaganda-Kampagne gegen den Bundeskanzler, sondern auch erneute Luftangriffe auf die Ukraine.
Dass Moskau zu derartig plumpen Lügen-Kampagnen greift wie nun Sacharowa und Dmitrijew, wird unterdessen in der Ukraine und bei Experten als Zeichen für Nervosität in Moskau gedeutet.
Nervosität in Moskau: „Scheinen echt verzweifelt zu sein“
Moskau scheine „echt verzweifelt zu sein, wenn sie schon auf der Ebene Trash-Propaganda betreiben“, kommentierte etwa Osteuropa-Expertin Annette Werberger von der Europa-Universität Viadrina die plumpe Kampagne, die auch von russischen Staatsmedien verbreitet wurde.
Auch aus der Ukraine kamen deutliche Worte zu den jüngsten Propaganda-Lügen aus Moskau: Es handele sich um „eine der lächerlichsten Produktionen aus der Unsinnsfabrik des Kremls“, schrieb etwa das Zentrum für strategische Kommunikation (SPRAVDI), das Desinformationskampagnen bei X bekämpft.
Ukraine: „Lächerliche Produktion der Unsinnsfabrik des Kremls“
„Russische Propagandakanäle“ hätten die Kampagne am Sonntag gestartet, „um das russische Publikum davon zu überzeugen, dass die Staatschefs Frankreichs, Großbritanniens und Deutschlands auf dem Weg in die Ukraine eine Kokainparty feierten“, hieß es weiter von der ukrainischen Behörde.
Kyjiw wies außerdem darauf hin, dass die russischen Fake-News wenig später von rechten US-Verschwörungstheoretikern übernommen wurden. „Jetzt verkaufen die bezahlten Influencer und Engagement-Farmer aus dem Westen es an ihre Millionen amerikanischer Follower“, deuteten die Ukrainer eine direkte Zusammenarbeit an.
FDP-Politiker: „Manchmal ist Demokratie schwer erträglich“
Auch in den deutschsprachigen sozialen Netzwerken verbreiteten am Wochenende prorussische Accounts die Aufnahmen samt der dazugehörigen russischen Propaganda unter ihren Followern weiter. Für die nach Deutschland geschwappte Desinformationskampagne fand schließlich auch FDP-Politiker Max Mordhorst deutliche Worte.
„Manchmal ist Demokratie schwer erträglich, wenn man bedenkt, dass es erwachsene Leute in Deutschland gibt, die wahlberechtigt sind und ernsthaft glauben, Macron würde in einem Video ein Tütchen Koks verstecken“, schrieb der ehemalige Bundestagsabgeordnete bei X.