Nach tödlicher Messer-Attacke„Ärzte müssen das Wetterleuchten der Gefahr erkennen”

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Mordopfer Fritz von Weizsäcker

Mordopfer Fritz von Weizsäcker

  • Der Tod des Mediziner Fritz von Weizsäcker hat große Betroffenheit ausgelöst: Der Arzt wurde während eines öffentlichen Vortrags von einem psychisch kranken Mann erstochen. Jede Hilfe kam für ihn zu spät.
  • Wie gefährdet sind Mediziner durch Rache-Akte ihrer Patienten oder durch psychisch Kranke?
  • Ein Gespräch mit dem Experten Walter Möbius über die Gefahr, die von Psychosen ausgeht und dringend nötige Vorsichtsmaßnahmen.

Herr Professor Möbius, Ihr Kollege Fritz von Weizsäcker ist von einem Verwirrten umgebracht worden. Wie stark sehen Sie die Ärzteschaft durch solche Attacken gefährdet?

Zunächst einmal muss ich sagen, dass mich dieser tödliche Anschlag besonders erschüttert, weil ich mit Fritz von Weizsäcker und seiner Familie gut bekannt war. Die Familie wohnte früher in der Nachbarschaft, und wir haben auch zusammen Patienten in seiner Klinik in Berlin betreut. Er war ein unglaublich sympathischer und guter Arzt. Besonders betroffen bin ich auch, weil ich als Assistenzarzt in der Klinik unmittelbar den Mord an einem Kollegen miterlebt habe. Generell würde ich die Bedrohung für Ärzte trotzdem nicht dramatisieren. Auf jeden meiner Kolleginnen und Kollegen lauern größere Gefahren im Straßenverkehr auf dem Weg zur Praxis. In Fällen allerdings, in denen Patienten mit Psychosen und anderen psychischen Auffälligkeiten belastet sind, müssen Ärzte schon damit rechnen, dass etwas passiert. Umso entscheidender ist die Vorbeugung.

Wie stellen Sie sich diese vor?

Vorbeugung beginnt damit, junge Ärzte nicht mit psychisch auffälligen Patienten alleine zu lassen. Berufsanfänger können das Wetterleuchten der Gefahr, das erfahrenen Ärzten vertraut ist, noch nicht erkennen.

Von Weizsäcker war aber ein erfahrener Arzt.

Das große Problem liegt hier tatsächlich im Überraschungsmoment. Selbst geschulte, professionelle Kampfsportler sagen: Wenn jemand sich Ihnen auf weniger als einen Meter genähert hat, geht ein Angriff oft zu schnell, um ihn abwehren zu können. Denken Sie an die Messer-Attacken auf Oskar Lafontaine oder auch auf Henriette Reker! Das ist das eigentlich Unheimliche, und selbst der Erfahrenste ist gegen so etwas nicht gewappnet.

Also hat die Vorbeugung sehr enge Grenzen.

Trotzdem gilt: Wenn junge Ärzte für das Herannahen einer möglichen Bedrohung sensibilisiert sind, ist das schon mal eine große Hilfe. Schon nach dem spektakulären Mord an dem Gießener Neurologen und Muskel-Spezialisten Friedrich Erbslöh 1974 sagte mein damaliger Kölner Chef, Professor Werner Scheid, zu mir: „Möbius, achten Sie auf die ersten Symptome einer Psychose!“ In den allermeisten Fällen ist schnell zu erkennen, wenn mit jemandem etwas nicht stimmt. Da kommen dann Leute in die Praxis, die lautstark schimpfen, herumpöbeln oder sonst wie abnorm reagieren. Dann heißt es für Arzthelferinnen und -helfer oder für das ärztliche Personal: Sofort reagieren! Niemals alleine mit dem Betreffenden sprechen! Kollegen dazurufen! Allein das Gegenüber mehrerer Personen kann entscheidend dazu beitragen, dass ein Angriff unterbleibt. Die Gruppe macht stark.

Opfer gewaltsamer Angriffe werden auch Richter, Anwälte, Mitarbeiter von Jobcentern. Sehen Sie da – jenseits von psychiatrischen Auffälligkeiten – bestimmte Muster?

Im Fall des erwähnten Neurologen Erbslöh war es so, dass er von der Mutter eines kleinen Patienten erschossen wurde. Da spielte so etwas Archaisches eine Rolle wie der Schutzinstinkt der Eltern für ihre Kinder. Wie im Tierreich verteidigen sie ihre Brut, wenn sie diese bedroht fühlen. Ärztliches Handeln kann dann in einer Art Panikattacke als Gefahr für das Kind wahrgenommen werden – mit einer aggressiven Gegenreaktion.

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Welche Bedeutung kommt dem Motiv der Rache zu?

Als Helfern gibt es Ärzten gegenüber da immer noch eine höhere Hemmschwelle als etwa gegenüber Polizisten, Richtern, Beschäftigten in Behörden, die über das Leben von Menschen bestimmen können. Da spielt das Moment der Vergeltung oder der Rache für vermeintlich schlechte Behandlung oder erlittenes Unrecht eine ungleich größere Rolle. Allerdings kommt das Moment der Rache auch gegenüber Ärzten zum Tragen – bei fehlgeschlagenen Behandlungen, missglückten Operationen oder regelrechten Kunstfehlern. Die normale, regelkonforme Reaktion ist der Klageweg, der übrigens heutzutage sehr viel häufiger beschritten wird als früher. Zahlenmäßig gesehen ist deshalb die Gefahr einer Rache-Attacke viel geringer als eines Angriffs, der von psychisch kranken Menschen ausgeht.

Gibt es dennoch einen steigenden Trend zur gewaltsamen Selbst-Justiz?

Nach meinen Erkenntnissen nicht. Solche Ausraster hat es immer gegeben. Hier kommt nun auch den Medien eine besondere Verantwortung zu. So erschütternd und spektakulär der Tod Fritz von Weizsäckers zweifellos ist, so sehr sollte alles Aufbauschen vermieden werden, um keine Nachahmungstaten zu provozieren. Und Klinikchefs, leitende Ärzte, aber auch Mediziner in niedergelassenen Praxen sind gerade jetzt besonders gefordert: Nicht durchdrehen! Sondern aufklären und besonnene Vorsicht walten lassen!

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