Nachruf auf Michail GorbatschowDer Mann, der dem Ostblock die Freiheit schenkte

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Michail Gorbatschow, der russische Friedensnobelpreisträger und ehemalige sowjetische Staatschef ist tot. Er starb im Alter von 91 Jahren in Moskau.

Michail Gorbatschow, der russische Friedensnobelpreisträger und ehemalige sowjetische Staatschef ist tot. Er starb im Alter von 91 Jahren in Moskau.

Zusammen mit seiner Frau Raissa zeigte Michail Gorbatschow erstmals der Welt das freundliche Gesicht des Sowjetimperiums. Am Ende beerdigte der Mann mit dem markanten Muttermal auf der Stirn den Kalten Krieg, ließ die Mauer fallen, löste Ostblock und Sowjetunion auf - fast zu viel für ein einziges Leben.

Er war der erste, der diesem kalten, bis dato von gefrorenen Apparatschiks kontrollierten und beherrschten Sowjetsystem ein menschliches, mitunter sogar lächelndes Gesicht verlieh: Wobei das nicht ganz richtig ist, denn Michail Sergejewitsch Gorbatschow, der am 11. März 1985 den zuvor verstorbenen Sowjetführer Konstantin Tschernenko ersetzte, gab es nur im Doppelpack – zusammen mit seiner Frau Raissa, die es schaffte, in Punkto Sympathie ihren Mann noch zu überflügeln.

Der Westen rieb sich die Augen, der für sowjetische Verhältnisse mit seinen 54 Jahren geradezu blutjunge Gorbatschow und diese bezaubernde Frau, die seine Hand nie loszulassen schien: Welche Finte hat sich der Kreml da wieder einfallen lassen?

Viele Menschen in Mitteleuropa fürchten den Atomkrieg

Man muss wissen: Es waren diese verrückten 80er-Jahre, der Kalte Krieg hatte soeben Europa in einer politischen Eiszeit erstarren lassen. Zwischen Washington, wo seit 1981 Ronald Reagan als Präsident mit Cowboy-Habitus die Muskeln spielen ließ, und Moskau herrschte weitgehend Funkstille, ebenso zwischen Bonn und Ostberlin, den Hauptstädten der beiden deutschen Staaten.

Die Entspannungspolitik der 70er-Jahre war sprichwörtlich erfroren, seit sowjetische Truppen Anfang der 80er-Jahre in Afghanistan einmarschiert und massenhaft neue sowjetische Mittelstreckenraketen in Osteuropa stationiert worden waren. Der Westen antwortete mit einer Nachrüstung – was ein weitgehendes Ende aller diplomatischen Annäherungen zwischen den Blöcken zu Folge hatte. Viele Menschen in Mitteleuropa fürchten damals den Atomkrieg – als Fehlgriff eines überforderten Militärs.

„Gorbi“ brachte zementierte Weltbilder ins Wanken

In diese Eiszeit hinein „schneite“ dieser „Gorbi“, wie er später verniedlichend genannt wurde. Zunächst brachte er zementierte Weltbilder ins Wanken – Sowjetführer gleich versteinerter Apparatschik, lautete eins davon. Zusammen mit seiner Frau ließ er die Kohls und Reagans, denen er eine neue Serie von Meetings und Gipfeln abtrotzte, ziemlich alt aussehen. Dann nahm er sich die sowjetische Gesellschaft vor, der er „Glasnost“, also Transparenz, und Perestroika, also Umbau verordnete.

Innerhalb von nur vier Jahren wollte er umbauen, was über 70 Jahre lang gewachsen war – eine verkrustete, politisch debile und wirtschaftlich desolate Sowjetgesellschaft. Natürlich scheiterte er, weil selbst die Kraft und das Lächeln der Gorbatschows nicht reichten, ein System zu retten, das nicht überlebensfähig war – selbst wenn es einst Menschen ins Weltall gebracht hatte.

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Unvergessen blieb der Satz, den er beim Besuch Erich Honeckers in Ostberlin sprach: „Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“ Das war vor allem an jene Alliierten im Ostblock adressiert, die sich seinen Reformen widersetzten: In Ostdeutschland, der Tschechoslowakei, in Rumänien und Bulgarien. Doch hatte Gorbatschow selbst die Zeichen der Zeit verstanden?

Sein „Umbau“ begrub am Ende die Sowjetunion, ließ 1989 die Mauer fallen, führte zur Wiedervereinigung Deutschlands, löste den Ostblock auf und beendete den Kalten Krieg. Im Westen wurde „Gorbi“ dafür verehrt, man verlieh ihm den Friedensnobelpreis, er war vor allem in Deutschland ein gern gesehener Gast. Für die vom Volk gestürzten SED-Bonzen der DDR blieb Gorbatschow ein Verräter, ihn persönlich machten Erich Honecker und Co. für das Ende der DDR verantwortlich.

Im heutigen Russland wird er von vielen verachtet

Auch im heutigen Russland wird er von vielen verachtet. Nicht wissend, dass die Sowjetunion längst bankrott und wirtschaftlich ohnehin nicht überlebensfähig war, machen viele einfache Leute Gorbatschow für die schweren Jahre des politischen Umbruchs Ende der 80er bis Mitte der 90er-Jahre verantwortlich.

Es war zuletzt um Gorbatschow ruhig geworden. Seit dem Tod seiner geliebten Frau Raissa, die nach einer Krebserkrankung und mehreren Operationen 1999 in Münster gestorben war, hatte sich Gorbatschow aus der Öffentlichkeit weitgehend zurückgezogen. Die Geschichte hatte ihn überrollt – sprichwörtlich, seit er im August 1991 von Boris Jelzin aus dem Kreml verdrängt worden war, der fortan nicht mehr das „Zentrum der Welt“, sondern nur noch das Machtzentrum Russlands bildete.

Putin will Gorbatschows Hinterlassenschaft rückabwickeln

Für die heutige Kreml-Führung ist Gorbatschow daher der Totengräber des Sowjetimperiums und damit der Mann, der dem größten Land der Welt Macht, Einfluss und Würde nahm. Nicht zuletzt ist Wladimir Putin angetreten, Gorbatschows Hinterlassenschaft, das Ende der Sowjetunion, die der aktuelle Kreml-Herrscher als „größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts“ bezeichnet, rückabzuwickeln. Der Krieg, den Putin am 24. Februar 2022 begann, war ein Krieg, um Gorbatschows Erbe zu tilgen – um alte Größe wiederherzustellen. Und wie zu Sowjetzeiten spielen Menschenleben dabei keine Rolle.

Am Dienstagabend ist Gorbatschow im Alter von 91 Jahren in Moskau gestorben.

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