Antworten zum KohleausstiegWorum es bei der Besetzung und Räumung des Braunkohledorfes Lützerath geht

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  • Dieser Text ist erstmals am 4. Oktober 2022 erschienen.

Das ist ein politischer Erfolg für die schwarz-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen und vor allem für die Grünen-Politikerin Mona Neubaur. Gerade mal 100 Tage als Ministerin für Wirtschaft, Energie und Klimaschutz im Amt, ist es ihr gelungen, mit RWE Power eine Vereinbarung über den vorzeitigen Kohleausstieg im Jahr 2030 abzuschließen, der bisher nur eine politische Absichtserklärung war.

Und das mitten in der schwersten Energiekrise, die Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg meistern muss. Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

Kommt die Vereinbarung zwischen RWE und der Bundesregierung zum vorzeitigen Kohleausstieg im Jahr 2030 überraschend?

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Nein. NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) hatte in den vergangenen Wochen immer wieder betont, dass sie mit RWE im Zusammenhang mit der Frage, ob die Ortschaft Lützerath erhalten werden kann, grundsätzlich über den vorgezogenen Kohleausstieg reden wird. Durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine sei dieser nicht in Frage gestellt. Auch RWE-Chef Markus Krebber hatte stets betont, dass der Ausstiegsfahrplan 2030 für die Kohle weiterhin gelte. Es werde innerhalb von drei bis vier Jahren gelingen, von russischem Gas unabhängig zu werden.

RWE steigt Ende 2030 vorzeitig aus der Braunkohle aus, aber zwei Kraftwerksblöcke, die eigentlich zum Jahresende abgeschaltet werden sollten, müssen bis Ende März 2024 weiterlaufen. Wie passt das zusammen?

Genau um den Zeitraum zu überbrücken, bis die Unabhängigkeit von russischem Gas gewährleistet ist. Um den Energiebedarf für Deutschland durch den Ausfall der russischen Gaslieferungen und der französischen Atomkraftwerke zu sichern, müssten die Braunkohlekraftwerke Neurath D und E mit einer Gesamtleistung von 1200 Megawatt bis Ende März 2024 am Netz bleiben, sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck.  Der russische Angriffskrieg in der Ukraine „zwingt uns, vorübergehend stärker Braunkohle zu nutzen, damit wir in der Stromerzeugung Gas sparen. Das sei „schmerzhaft, aber angesichts der Gasknappheit nötig.“ Auf der anderen Seite gingen dafür drei Kraftwerke mit jeweils 1000 Megawatt acht Jahre früher aus dem Betrieb.

RWE Power hatte Anfang Oktober wegen der Energiekrise bereits die drei in Sicherheitsbereitschaft stehenden Kraftwerksblöcke Niederaußem E und F sowie Neurath C wieder in Betrieb genommen. Sie verfügen jeweils über 300 Megawatt Leistung. Ihr Einsatz ist zunächst bis zum 30. Juni 2023 befristet.

„Jetzt, wo kurzfristig mehr Braunkohle gebraucht wird und damit die CO2-Emissionen eher steigen, brauchen wir einen früheren Kohleausstieg. Denn nur so können auch die Klimaschutzziele des Landes weiter erreicht werden“, so RWE-Chef Krebber. „Dazu tragen wir als RWE maßgeblich bei.“ Man habe die Vorreiterrolle eingenommen. Alle seit 2020 stillgelegten Anlagen seien von RWE. „Unser Kerngeschäft ist die Energiewende.“

Wie will der Bund die Versorgungssicherheit nach dem Kohleausstieg 2030 garantieren?

Um die Energiesicherheit für 2030 und darüber hinaus zu garantieren, wird der Bund eine Ausschreibung für Gaskraftwerke vornehmen, die so schnell wie möglich auf Wasserstoff umgestellt werden können. „RWE wird sich an dieser Ausschreibung beteiligen. Ich gehe davon aus, dass ein Teil davon, wenn nicht alles, von RWE bereitgestellt werden kann“, so Bundeswirtschaftsminister Habeck. „RWE wird selbst den Ausbau von erneuerbaren Energien vorantreiben.“

08.01.2023, Nordrhein-Westfalen, Erkelenz: Ein Absetzer arbeitet im Tagebau Garzweiler 2. Lützerath soll zur Erweiterung des Braunkohletagebaus Garzweiler II abgebaggert werden. Foto: Henning Kaiser/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Vor der erwarteten Räumung des Braunkohledorfes Lützerath: Ein Absetzer arbeitet im Tagebau Garzweiler 2. Lützerath soll zur Erweiterung des Braunkohletagebaus Garzweiler II abgebaggert werden.

Der Konzern kündigte am Dienstag an, neue wasserstofffähige Kraftwerke zu bauen und zudem bis 2030 weltweit mehr als 50 Milliarden Euro in den Ausbau der Erneuerbaren zu investieren. Davon sind 15 Milliarden Euro für Deutschland vorgesehen. RWE verpflichtet sich, mit Schwerpunkt in NRW und im Rheinischen Revier ein Gigawatt an erneuerbaren Energien zu investieren.

„Wir haben viel zu lange immer nur über das Abschalten gesprochen“, ergänzte der RWE-Chef. „Wir müssen vor allem neue Technologien jetzt so schnell wie möglich anschalten.“ Für den Ausbau der erneuerbaren Energien habe die Bundesregierung die Rahmenbedingungen geschaffen. „Wir brauchen Klarheit über den Ausbau des Wasserstoffnetzes. Ohne das können keine Entscheidungen zu Investitionen über wasserstofffähige Gaskraftwerke geschaffen werden.“ All das muss 2023 angegangen werden, um den Kohleausstieg 2030 zu erreichen.

Gibt es eine Hintertür, falls das nicht funktioniert?

Ja. Die Bundesregierung kann bis spätestens 2026 entscheiden, in welchem Umfang Braunkohle-Kraftwerke in Sicherheitsbereitschaft gehen sollen. „Wir hoffen und arbeiten alle daran, dass wir das nicht brauchen“, sagte Krebber. „Aber in den heutigen Zeiten ist jedes Sicherheitsnetz hilfreich.“ RWE könne bis zu 3600 Megawatt mit den vier modernsten Anlagen in Sicherheitsbereitschaft nehmen.

Welche Konsequenzen hat der vorzeitige Kohleausstieg für die Beschäftigten bei RWE Power?

Laut Bundeswirtschaftsminister Habeck bleiben alle Vereinbarungen bestehen, die für den Ausstiegspfad bis 2038 gelten. „Es gibt eine Garantie, dass diese Menschen nicht ins Bergfreie fallen.“ Der Ausstieg soll laut RWE-Chef Markus Krebber sozialverträglich gestaltet werden. Er verwies darauf, dass zwar kurzfristig mehr Personal gebraucht, sich der Abbau zum Ende des Jahrzehnts aber „deutlich beschleunigen“ werde.

Wie reagiert die Industriegewerkschaft IGBCE?

Sie sprach angesichts des RWE-Zeitplans von einer „ebenso ambitionierten wie wichtigen Planung“ in der derzeitigen Energiekrise. „Wir dürfen uns durch  Putins Aggression weder in einen Versorgungsnotstand treiben noch unsere Energieziele kaputtmachen lassen“, sagte der Vorsitzende Michael Vassiliadis. Zugleich richtete er seinen Blick auf die Beschäftigten. Von den aktuell 7500 Arbeitsplätzen in der Braunkohle sollen demnach bis 2030 statt bislang 3500 nun bis zu 5500 abgebaut werden. „Wir haben schon im Kohlekompromiss 2020 ein engmaschiges Sicherheitsnetz für die Betroffenen durchgesetzt“, erklärte Vassiliadis. „Wir werden dafür sorgen, dass Bund und Konzern von den Zusicherungen kein Jota abweichen.“ Das gelte für Vereinbarungen zum Vorruhestand ebenso wie zur Qualifizierung und Vermittlung von Jüngeren.

Streit über Kohle-Förderung

Lützerath: Bilder der Räumung

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Was bedeutet der vorgezogene Ausstieg für das Erreichen der Klimaziele?

Laut NRW-Wirtschaftsministerium werden dadurch mindestens 280 Millionen Tonnen Braunkohle und damit die gleiche Menge CO2 eingespart. ­­Damit komme die Landesregierung ihrem Ziel näher, die Klima-, Energie- und Wirtschaftspolitik auf den 1,5-Grad-Pfad des Pariser Klimaschutzabkommens auszurichten. „Mit den Investitionszusagen in Erneuerbare Energien und wasserstofffähige Kraftwerke geht mit dieser Verständigung auch ein Signal an die Beschäftigten von RWE aus: Der ambitionierte Kohleausstieg 2030 wird eine Kraftanstrengung, aber es wird für viele eine Zukunftsperspektive im Unternehmen geben“, sagt NRW-Wirtschaftsministerin Neubaur.

Das Ortsschild von Lützerath

Lützerath wird abgerissen. Die Kohle unter der früheren Siedlung werde benötigt, um die „Braunkohlenflotte“ in der Energiekrise mit hoher Auslastung zu betreiben und gleichzeitig ausreichend Material für eine hochwertige Rekultivierung zu gewinnen, teilte RWE mit.

Ist mit der Vereinbarung auch die Rettung von fünf Dörfern im Großraum Erkelenz endgültig gesichert?

Ja. Die Menschen, die noch in Keyenberg, Kuckum, Oberwestrich, Unterwestrich und Berverath leben, müssen ihre Dörfer gegen ihren Willen nicht mehr verlassen. Das gilt auch für die Familien, die auf dem Eggerather Hof, dem Roitzerhof und dem Weyerhof zuhause sind. Auch sie waren bis 2030 zur Umsiedlung vorgesehen.

Was wird aus dem umstrittenen Dorf Lützerath?

Das Dorf im Tagebaugebiet Garzweiler II, dessen ursprüngliche Einwohner es schon lange verlassen haben, kann nach Angaben von NRW-Wirtschaftsministerin Neubaur nicht erhalten bleiben. „Alle unabhängigen Gutachten kommen zu dem Schluss, dass eine Landzunge oder Insellage der Siedlung Lützerath nicht zu rechtfertigen ist“, sagte Neubaur. „Damit die Energieversorgung in diesem und im nächsten Winter gewährleistet werden kann, muss Lützerath geräumt und die Kohle darunter zur Verfügung gestellt werden.“

Was wird eigentlich aus den anderen Braunkohlekraftwerken in Ostdeutschland. Steigen die auch vorzeitig aus?

Dazu gibt es noch keine Vereinbarungen. Betrieben werden sie unter anderem von Leag und dem inzwischen verstaatlichten Uniper-Konzern. Zwar erhofft sich die Politik von der Vereinbarung mit RWE eine Art Vorbildwirkung für andere Betreiber - Gespräche liefen bereits. Jedoch dürften die spezifischen Situationen in den jeweiligen Revieren nicht über einen Kamm geschoren werden. „Es gibt keine One-size-fits-all-Lösung“, sagte Habeck.

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