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Seit 7. Oktober 2023Bedrohungslage für Juden in NRW weiterhin hoch

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30.03.2025, Köln: Vor der Synagoge Roonstraße stehen noch immer zahlreiche Blumen und Transparente für die Geiseln des Hamas-Überfalls auf Israel vom 7. Oktober 2023. .
 Foto: Uwe Weiser

Vor der Synagoge Roonstraße stehen noch immer zahlreiche Blumen und Transparente für die Geiseln des Hamas-Überfalls auf Israel vom 7. Oktober 2023. . Foto: Uwe Weiser

Das Attentat in Australien besorgt auch die jüdische Gemeinde in Köln. Der Landtag in NRW macht die Sicherheit zum Thema. 

Nach dem Anschlag beim jüdischen Lichterfest in Australien ist die Polizei in NRW besonders aufmerksam bei den Chanukka-Feierlichkeiten. „Wir haben unsere Polizei für den Schutz jüdischer und israelischer Einrichtungen nochmals sensibilisiert“, sagt NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU). „Unser klares Ziel ist es, jüdisches Leben zu schützen.“ In Wesel am Niederrhein und in Mülheim an der Ruhr sind Chanukka-Feiern wegen des Anschlags abgesagt worden.

In Köln fanden die Feiern statt. „Wir haben intern in der Gemeinde gefeiert und dann öffentlich Kerzen auf dem Rathenauplatz entzündet“, sagt Abraham Lehrer, Vorsitzender der Synagogen-Gemeinde Köln und Vizepräsident des Zentralrats der Juden. Der Anschlag in Australien habe einige Gemeindemitglieder verunsichert. Ihm sei aufgefallen, dass einige Gäste, die sonst immer gekommen waren, nicht erschienen sind. Insgesamt seien um die 400 Menschen zur öffentlichen Feier gekommen, etwas weniger als im vorherigen Jahr.

Sicherheit der Synagogen beschäftigt den Landtag in NRW

Der Landtag in NRW ist besorgt um die Sicherheit von Juden in NRW. Der Hauptausschuss hat bereits am 11. Dezember dafür gestimmt, den Landesverbänden der jüdischen Gemeinden mehr Geld für die Sicherheit zur Verfügung zu stellen. Mit der Zusatzvereinbarung erhöhen sich die Mittel für Sicherheit, die das Land den Synagogen zur Verfügung stellt, von 5 auf 6,5 Millionen Euro. Sollte das Plenum dem Gesetz am 17. Dezember bestätigen, wäre es bereits das dritte Jahr, an dem der Landtag diese zusätzlichen Mittel bewilligt.

Damals habe ich gedacht: Irgendwann wirst du heiraten, dann hört das auf. Als ich dann geheiratet habe, habe ich gesagt: Wenn du Kinder kriegst, dann wird es vorbei sein. Ich habe heute vier Enkelkinder. Und ich glaube nicht mehr daran, dass ich noch erleben werde, dass wir ohne diesen Polizeischutz vor Gemeindezentren auskommen werden.
Abraham Lehrer, Vorsitzender der Synagogen-Gemeinde Köln und Vizepräsident des Zentralrats der Juden

Der Grund für die zusätzlichen Mitten ist die anhaltende Bedrohungslage nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023. Die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Nordrhein-Westfalen (RIAS NRW) erhob, dass es seitdem deutlich mehr antisemitische Übergriffe in NRW gab. „Diese Alltagspräsenz des Antisemitismus schränkt jüdisches Leben und dessen Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit weiterhin deutlich ein“, heißt es im Jahresbericht für 2024. Daraus geht hervor, dass es 2024 zu 940 antisemitischen Vorfällen kam, also 42 Prozent mehr als im Jahr davor.

Abraham Lehrer: „Anstieg des Antisemitismus fast täglich messbar“

„Der Anstieg ist für uns durch die Berichte, die wir von den Gemeindemitgliedern bekommen, fast täglich messbar“, sagt Abraham Lehrer. „Köln unterscheidet sich da nicht im Geringsten vom Rest NRWs.“ Es sei nach wie vor ein Trauerspiel, dass jüdische Veranstaltungen nur unter Polizeischutz stattfinden können. „Ich persönlich sehe im Moment nicht wirklich ein Licht am Ende des Tunnels.“

Die beiden Männer sitzen in den Reihen der Synagoge. Sie tragen Anzüge.

Abraham Lehrer und Polizeipräsident Johannes Hermanns beim Jahresempfang 2024 der Synagogen-Gemeinde Köln.

In den 1970ern gehörte Abraham Lehrer zu den Menschen, die die ersten Sicherheitsdienste in ihrer Gemeinde aufgebaut haben. Die Synagogen filterten, wer da zum Gottesdienst kam, da ja die meisten Besucherinnen und Besucher bekannt waren. „Damals habe ich gedacht: Irgendwann wirst du heiraten, dann hört das auf. Als ich dann geheiratet habe, habe ich gesagt: Wenn du Kinder kriegst, dann wird es vorbei sein. Ich habe heute vier Enkelkinder. Und ich glaube nicht mehr daran, dass ich noch erleben werde, dass wir ohne diesen Polizeischutz vor Gemeindezentren auskommen werden.“

Synagogen in NRW haben hohe Kosten für Sicherheit

Das Geld brauchen die Synagogen hauptsächlich für Sicherheitsdienste. „Da stehen wir in Köln, genauso wie die Kollegen in Düsseldorf, in direkter Konkurrenz zum Beispiel zum Flughafen“, sagt Abraham Lehrer. Werden in anderen Einrichtungen höhere Stundensätze gezahlt, finden die Synagogen kein Personal für ihren Schutz.

Die Bemühungen des Landes Nordrhein-Westfalen sind im bundesweiten Vergleich als ausgesprochen positiv zu bewerten
Leonid Chraga, Sicherheitsbeauftragter des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe

Auch Leonid Chraga, Sicherheitsbeauftragter des Landesverbandes der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe, betont, wie nötig Schutzmaßnahmen für Jüdinnen und Juden im Land sind. Es hätten sich verfestigte Feindbilder entwickelt, die sich zunehmend gegen Jüdinnen und Juden sowie jüdische Gemeinden richten. „Diese werden häufig stellvertretend zur Verantwortung gezogen – verbal, aber auch durch konkrete Bedrohungen und alltägliche Anfeindungen.“

 „Die Bemühungen des Landes Nordrhein-Westfalen sind im bundesweiten Vergleich als ausgesprochen positiv zu bewerten“, sagt Leonid Chraga. Auch wenn es keine absolute Sicherheit geben könne, zeige das Land viel Verantwortung und binde die jüdischen Gemeinden in die Sicherheitskonzeptionen ein.

Unterschied zwischen abstrakter und konkreter Bedrohungslage

Auch Abraham Lehrer bezeichnete die Summe als große Hilfe. Auch wenn die 1,5 Millionen Euro als Zusatzmittel von Jahr zu Jahr neu bewilligt werden müssen, habe er bisher nicht das Gefühl gehabt, um sie bangen zu müssen. Dass die Lage nach wie vor bedrohlich ist und die Synagogen das Geld brauchen, sei den demokratischen Parteien im Landtag klar.

Trotzdem gebe es eine Diskrepanz zwischen der subjektiven Einschätzung der Gemeindemitglieder und der objektiven Einschätzung anhand der Informationen, die den Behörden vorliegen, meint Abraham Lehrer. Die abstrakte Bedrohungslage sei immens hoch. „Aber die konkrete Bedrohungslage ist relativ gering, weil es im Moment keine Hinweise gibt, dass in Köln, Düsseldorf oder Dortmund irgendwas geplant ist. Insofern ist das für uns verständlich, dass der Staat oder die Sicherheitsbehörden andere Einschätzungen haben als wir.“ (mit dpa)