Kaum neue WasserkraftanlagenWarum nur die Hälfte der Talsperren in NRW zur Stromerzeugung genutzt wird

Lesezeit 3 Minuten
15.07.2021, Nordrhein-Westfalen, Remscheid: Blick auf die Wupper-Talsperre (Luftaufnahme mit einer Drohne). Aus dem Becken wird Wasser abgelassen, um den Druck auf die Staumauern zu reduzieren. Foto: Christopher Neundorf/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

An der Wupper-Talsperre in Radevormwald wurde im vergangenen Jahr eine neue Wasserkraftanlage in Betrieb genommen.

40 von 81 Talsperren im Land liefern bisher Ökostrom. 2023 wurden nur drei neue Wasserkraftanlagen in Betrieb genommen.

Das Potenzial der Wasserkraft wird bei der Ökostromerzeugung in Nordrhein-Westfalen seit Jahren sträflich vernachlässigt. Zu diesem Schluss kommt der Landesverband Erneuerbare Energien (LEE) nach der Auswertung der Statistik für das Jahr 2023.

Danach wurden nur drei Wasserkraftanlagen neu in Betrieb genommen, die größte davon mit einer Leistung von 575 kW an der Wupper-Talsperre im Oberbergischen Kreis. „Bei solchen Zahlen verbietet es sich von Ausbau zu sprechen“, sagt Hans-Josef Vogel, Vorsitzender des LEE NRW. Damit setze sich eine „unbefriedigende Entwicklung fort. Im letzten Jahrzehnt gab es bei der installierten Wasserkraft-Leistung im Land ein Plus von deutlich unter zehn Megawatt. Das ist ein Unding.“

Sieben Jahre alte Lanuv-Studie sieht kaum Ausbau-Potenzial

Unabhängig davon, wie groß der Beitrag der Wasserkraft zur Energiewende sei, habe sie gegenüber Windenergie und Photovoltaik den Vorteil der „stetigen und gut planbaren Verfügbarkeit“, so Vogel. Das sei von öffentlichem Interesse und diene der öffentlichen Sicherheit. „Wir brauchen alle Erneuerbaren“, so Vogel. Das habe auch das Bundesverfassungsgericht in einem Grundsatzurteil festgestellt. Diese juristische Neubewertung sei bei den Genehmigungsbehörden im Land offenbar noch nicht angekommen.

Die gesetzliche Frist zur Bearbeitung von Genehmigungen betrage je nach Anlagengröße ein bis zwei Jahre. „In der Praxis warten potenzielle Investoren in NRW ein Jahrzehnt und länger auf die behördliche Zustimmung“, kritisiert Vogel. Die Landesregierung müsse „endlich klare Weisungen an die Wasserbehörden erteilen, die vorhandenen Potenziale für die Wasserkraftnutzung endlich anzupacken.“

Doch wie groß sind die eigentlich? Das Landesamt für Umwelt, Natur und Verbraucherschutz (Lanuv) hält sie in einer Potenzialstudie aus dem Jahr 2017 für nahezu ausgeschöpft. Unter Berücksichtigung der Gewässerökologie und des Fischschutzes liege das maximale jährliche Erzeugungspotenzial an 128 Standorten bei knapp 108 Gigawattstunden pro Jahr, so das Lanuv. Davon seien 35 Standorte, die durch die Modernisierung der Anlagen höhere Leistungen erbringen können.

Anteil der Wasserkraft am Ökostrom liegt in NRW bei zwei Prozent

Je nachdem, welche ökologischen Aspekte einbezogen werden, blieben im Minimalszenario 54 Standorte mit einem Potenzial von 53 Gigawattstunden pro Jahr übrig. Damit könnten je nach Verbrauch zwischen 10.000 und 18.000 Vier-Personen-Haushalte ein Jahr mit Strom versorgt werden.

Aus Sicht des LEE NRW müsste dieses Potenzial schnellstmöglich ausgeschöpft werden. Allein durch die Modernisierung bestehender Kraftwerke könnten die Stromerträge kurzfristig zwischen 20 und 25 Prozent gesteigert werden. Darüber hinaus gebe es landesweit mehr als 13.000 Wasserwehre, von denen derzeit nur vier Prozent genutzt und von denen viele wegen des Hochwasserschutzes und der Regulierung der Gewässer nicht entfernt werden können. Auch von den 81 Talsperren im Land liefern nach Angaben des LEE bisher nur 40 Ökostrom.

CDU und Grüne haben in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, dass möglichst alle Talsperren genutzt werden. „Bislang ist es bei dieser Ankündigung geblieben“, kritisiert Vogel.

Dem widerspricht die Landesregierung und verweist auf die Lanuv-Studie. Diese sei zu dem Ergebnis gelangt, „dass die energetischen Potenziale nahezu aller 81 Talsperren in NRW bereits erschlossen sind.“ Nicht jede Talsperre sei gleich gut für eine Wasserkraftnutzung geeignet, heißt es auf Anfrage beim NRW-Wirtschaftsministerium. „Letztlich liegt die Investitionsentscheidung zur Errichtung einer Wasserkraftanlage beim Eigentümer. Auch hat die Landesregierung keinen Einfluss darauf, ob und wie entsprechende Wasserrechtsanträge bei den Bezirksregierungen bzw. Kreisen und kreisfreien Städten auf Einbau von Wasserkraftanlagen gestellt werden.“

Im Jahr 2022 hatte die Wasserkraft in NRW einen Anteil an der regenerativen Stromerzeugung von zwei Prozent, so das Wirtschaftsministerium. Das sei zwar gering, aber wegen der ausgereiften Technik, der ständigen Verfügbarkeit und des relativ hohen Wirkungsgrads vergleichbar mit der energetischen Nutzung von Biomasse wichtig. Die Landesregierung bereite mit Unterstützung des Lanuv daher eine Aktualisierung der sieben Jahre alten Potenzialstudie vor.

KStA abonnieren