Die Kölnerin Nicola Dichant war drei Jahre Landesprecherin der Grünen Jugend in NRW. Warum sie zu den Jungen Linken wechselte.
„Bündnis mit der Wüst-CDU war ein Tiefschlag“Nicola Dichant erklärt, warum sie sich von der Grünen Jugend abkehrte

Nicola Dichant macht die für die „Junge Linke“ Politik. Die Kölnerin war davor Landesprecherin der Grünen Jugend in NRW.
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Frau Dichant, Sie waren von 2020 bis 2023 Landessprecherin der Grünen Jugend in NRW, sind ausgetreten und zur neuen Jugendorganisation Junge Linke gewechselt. Gab es einen bestimmten Auslöser dafür?
Nicola Dichant: Das war ein schleichender Prozess. Die Entfremdung hat immer mehr zugenommen, als die Grünen auf Bundesebene in der Ampel regiert haben und in NRW in die schwarz-grüne Regierung eingetreten sind. Da wurden einige Grundprinzipien geopfert, von denen ich dachte, sie würden zur DNA der Grünen gehören.
Was war denn der Grund für Sie, 2017 bei der Grünen Jugend einzusteigen?
Meine Mutter war längere Zeit alleinerziehend. Ich habe deswegen früh gemerkt, was es bedeutet, als Frau Vollzeit zu arbeiten, den Haushalt zu schmeißen und zwei Kinder großzuziehen. Deswegen haben mich feministische Politik und die Frage der Verteilungsgerechtigkeit schon als Schülerin interessiert. Als ich dann für mein VWL-Studium 2018 nach Köln gezogen bin, habe ich angefangen mich bei der Grünen Jugend vor Ort zu engagieren. Politikerinnen wie Ricarda Lang oder Annalena Baerbock haben mir damals Hoffnung gemacht, die später nicht erfüllt wurde.
„In der Ampel haben die Grünen sich zunehmend zu einer Partei der bürgerlichen Mitte entwickelt“
Sie waren Landessprecherin der Grünen Jugend und haben im Landtag gearbeitet, das könnte man als Karrieresprungbrett nutzen…
Das mag sein, aber es wäre unehrlich gewesen, den Weg fortzusetzen. In der Ampel haben die Grünen sich zunehmend zu einer Partei der bürgerlichen Mitte entwickelt, die um jeden Preis regieren wollte, linke Politik spielte keine Rolle mehr.
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Robert Habeck hat zum Beispiel trotz einer ohnehin hohen Inflation ein Heizungsgesetz vorgelegt, bei dem die soziale Komponente in den Augen vieler nicht vorhanden war. Auf die explodierenden Preise aber wurde kaum reagiert. Da sah ich keine Chance mehr, die Partei nach links zu rücken. Als linke Grüne war ich zunehmend gefrustet über die vielen Kompromisse und das neue Profil. Ich fühlte mich politisch heimatlos.
Welche Rolle spielte die Bildung des Regierungsbündnisses von CDU und Grünen in NRW im Sommer 2022 für Ihre Entscheidung, die Partei zu verlassen?
Klar, dass man sich auf einen Pakt mit der Wüst-CDU einlassen hat, war natürlich ein weiterer Tiefschlag. Ich hatte den Eindruck, dass viele Inhalte dem Ziel der Regierungsbeteiligung untergeordnet wurden. Wir haben als Grüne Jugend dann ja auch gegen den Koalitionsvertrag gestimmt. Dass die grünen Minister zum Beispiel die Räumung von Lützerath durchgewunken haben, war für mich damals nicht akzeptabel. Aber auch die damaligen Sparpläne des CDU-Finanzministers Optendrenk wurden mitgetragen. Wer solche Kompromisse eingeht, darf sich nicht wundern, wenn man an Zustimmung verliert.
„Dass die grünen Minister zum Beispiel die Räumung von Lützerath durchgewunken haben, war für mich damals nicht akzeptabel“
Mit Ihnen haben zahlreiche Aktivisten der Grünen Jugend die Partei verlassen. Wie hat die Partei darauf reagiert?
Unterschiedlich. Wenn ein erheblicher Teil an jungen, erfahrenen und gut ausgebildeten Menschen die Partei verlässt, ist das natürlich ein schwerer Schlag. Einige konnten unsere Beweggründe nachvollziehen, einige reagierten mit Unverständnis. Das finde ich auch in Ordnung. Ich kenne einige, die weiterhin bei den Grünen versuchen, sozialere Politik voranzubringen. Ich wünsche ihnen dabei ehrlich viel Erfolg!
Jette Nietzard, die Bundeschefin der Grünen Jugend, hat die Polizei mit einem polizeifeindlichen Post provoziert. Was halten Sie davon?
Ich gehöre der Grünen Jugend nicht mehr an. Deswegen kommentiere ich das nicht.
Was macht Ihre Arbeit bei den Jungen Linken aus?
Wir wollen praktische Solidarität organisieren. In Köln liegt ein Schwerpunkt in der Unterstützung von Jugendlichen. Wir wollen ganz konkrete Hilfe leisten, zum Beispiel bei Bewerbungen oder bei der Vermittlung von Stipendien. Aber auch bei Problemen mit Vermietern oder dem BAföG-Amt kann man zu uns kommen. Dafür sind wir auch auf Spenden angewiesen, mit denen man uns unterstützen kann. Außerdem werden wir mit Freizeitangeboten wie zum Beispiel Stadtteilfesten Gemeinschaft organisieren. Hier in Köln findet das erste am 28. Juni statt, wo alle gerne vorbeischauen können.
Die Jungen Linken sind von der Linkspartei unabhängig – sie sind kein Mitglied der Linken. Stört Sie etwas an Frontfrau Heidi Reichinnek?
Nein, sie hat sicher einen Teil zum Achtungserfolg der Linkspartei bei der Bundestagswahl beigetragen. Ich beobachte die Entwicklung der Linkspartei aufmerksam und wir sind mit ihr im Austausch. Es bleibt offen, wie sich die Partei weiterentwickelt. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass für Politiker ihre Überzeugungen schnell zweitrangig werden können, wenn sie nach der Wahl in ihren Komfortzonen angekommen sind. Diese Erfahrung möchte ich nicht noch einmal erleben.