Als sie auf der Rückfahrt aus den Niederlanden eine Panne hatten, gingen zwei Männer mit 286.000 Euro im Stoffbeutel der Polizei ins Netz.
Hawala-BankingErmittler in NRW decken brutales Finanzschieber-Kartell auf

Das System des Hawala-Banking nutzen auch Kriminelle, um ihre Finanzströme zu verschleiern.
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Die Rückfahrt aus den Niederlanden endete kurz hinter der Grenze an der Abfahrt Kaldenkirchen nahe Nettetal. Übermüdet von einer langen Tour schlief der Fahrer hinter dem Lenkrad ein. Sein Boss Khaled Al M., auch „der Sheikh“ genannt, konnte den Unfall vom Beifahrersitz aus nicht mehr verhindern. Der Wagen kam von der Fahrbahn ab und überschlug sich. Benommen stiegen die beiden Insassen aus, geistesgegenwärtig griff sich der Syrer eine Stofftasche, die KFZ-Schilder schraubte er von dem Autowrack ab, um Spuren zu verwischen.
In jener Nacht Ende Mai 2020 machten sich die beiden Männer weiter zu Fuß auf den Weg. An einer Tankstelle liefen sie in eine Kontrolle der Bundespolizei. Die fand in der Stofftasche gut 286.000 Euro in bar. Die Beamten beschlagnahmten Geld und Auto-Kennzeichen. Den Behörden lag bereits ein Hinweis gegen den Syrer Khaled Al M. wegen Geldwäsche vor.
Arabisch-türkische Unterwelt an Rhein und Ruhr wächst stetig
Die Episode führte die Ermittler auf die Spur eines der größten und brutalsten Finanzschieber-Kartelle in NRW, dessen Machenschaften der „Kölner Stadt-Anzeiger“ in einer Serie beleuchtet. Hier geht es um zwei mutmaßlich führende Köpfe in NRW: Der Sheikh ist einer der beiden, die nach den Erkenntnissen der Ermittler zu den international operierenden Chefs des Geldschleuser-Netzwerks gehören.
Umfangreiche Nachforschungen der Ermittlungskommission Vubrag (übersetzt: Bedrohung) in Düsseldorf haben diese Verbindungen im Blick. Es sind demnach Machenschaften einer stetig wachsenden arabisch-türkischen Unterwelt an Rhein und Ruhr. Allein dem Geldschieber-Komplex rechnet die Vubrag gut 90 Beschuldigte zu. Die Staatsanwaltschaft hat vor allem syrische Asylbewerber auf der Liste, die im Zuge der Flüchtlingskrise 2015 nach Deutschland eingereist sind. Über das Netzwerk sollen demnach etwa 160 Millionen Euro per Hawala-Banking-System in die Türkei oder nach Syrien geschleust worden sein.
So funktioniert Hawala-Banking
Beim Hawala-Banking handelt es sich um ein uraltes orientalisches Geldtransfersystem, das auch illegale Finanzströme mittels eines simplen Systems verschleiert. Die Kunden der Geldschieber zahlen beispielsweise in Wuppertal oder Köln Bargeld in Zahlungsbüros ein. Annahmestellen können als Kioske oder Juweliergeschäfte getarnt sein. Wenige Minuten später geht der gleiche Betrag über Gefolgsleute ebenfalls in bar an die Empfänger in Istanbul oder Aleppo.
Durch die illegalen Transfers sollen Gewinne aus dem niederländischen Rauschgifthandel und dem hiesigen Rocker- und Clan-Milieu gewaschen worden sein. Eigens gefertigte Apps steuerten den Finanzkreislauf, wie die Erkenntnisse der Ermittler darlegen. Die Bargelddepots in der Türkei und Syrien wurden über Kurierdienste wieder aufgefüllt. Allerdings war das Entdeckungsrisiko groß. Zwei Boten gingen den Behörden an der Grenze zur Schweiz und Serbien mit insgesamt 600.000 Euro ins Netz.
Geldbündel sollen sich in Mülltüten unter dem Reifen befunden haben
Abgehörte Telefonate, die in den Akten dokumentiert sind, belegen aus Sicht der Strafverfolger, dass auch Khaled Al M. aus Mönchengladbach, der Sheikh, als Groß-Hawaladar (Händler) tätig war und durch eine bis zu fünfprozentige Provision an den Geldströmen mitverdiente.
Am 31. August 2021 erkundigte sich demnach ein Kontaktmann nach dem Verbleib von Geldbündeln. „Die sind in einer Mülltüte unter dem Reifen“, soll Al M. geantwortet haben. Sicherheitshalber ließ er die Summe noch einmal nachzählen, ein Handlanger meldete kurz darauf: „Es sind 33.500.“
Die Bundesanwaltschaft führte zudem ein Verfahren gegen Khaled Al M. wegen des Verdachts der Terrorfinanzierung. Ein V-Mann hatte dem Bundeskriminalamt berichtet, dass ein deutscher Kämpfer und Propagandist der syrischen Terror-Gruppe Hay'at Tahrir al-Sham einem Sympathisanten eines von Al M.s Konten für Spenden empfohlen haben soll. So steht es in den Ermittlungsakten, die der „Kölner Stadt-Anzeiger“ einsehen konnte. Das Terrorverfahren wurde später wegen fehlender Beweise aber wieder eingestellt.
Über ein Goldschmuckgeschäft in Castrop-Rauxel zehn Millionen im Monat umgesetzt
Neben Sheikh Khaled ist die Vubrag überzeugt, einen weiteren Top-Mann des Finanzkartells ausgemacht zu haben: Khaled Al-F., alias „Abu Osama“. Im Gespräch mit einem Vertrauten soll er über seine glänzenden Kontakte zu einem der führenden Clans in NRW geschwärmt haben. Dieser setze über ein Goldschmuckgeschäft in Castrop-Rauxel durch Geldwäsche „zehn Millionen“ pro Monat um. Großspurig soll Abu Osama berichtet haben, dass der Goldhändler auch immer wieder bis zu 300.000 Euro über eines seiner Hawala-Büros schleuse.
Wie Sheikh Khaled reiste auch Abu Osama im Zuge der Flüchtlingswelle 2015 nach Deutschland ein. Abu Osama gab sich bei der Anhörung durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als politisch Verfolgter durch das Regime des syrischen Diktators Baschar al-Assad aus. So hat er laut Akten angegeben, den oppositionellen syrischen Nationalrat mitgegründet zu haben. Im August 2015 erhielt der Asylbewerber den Flüchtlingsstatus. Später durften seine Frau und die sieben Kindern nachreisen. Das Jobcenter zahlte der Familie laut einem Vermerk gut 2100 Euro Sozialleistungen sowie Miete von 1486 Euro plus 1713 Euro Kindergeld, insgesamt knapp 5300 Euro monatlich.
In der eigenen Wohnung an Sprengkörpern gebastelt
Aber schon ein Jahr nach Abu Osamas Einreise durchsuchte das BKA seine Wohnung. Er wurde mit einem bemerkenswerten Vorgang in Leipzig in Verbindung gebracht. Dort hatte den Ermittlungen zufolge ein Mittelsmann seiner Hawala-Connection am 6. September 2016 einem Syrer 2250 Euro in bar übergeben. Bei dem Empfänger handelte es sich demnach um den Flüchtling Jaber Albakr. Ein Anhänger der Terror-Miliz „Islamischer Staat“ (IS), der mit dem Geld den Bombenbau mit TATP-Sprengstoff finanzierte. Offenbar wollte er auf dem Berliner Flughafen Tegel einen Anschlag verüben.
Einen Monat nach der Geldübergabe wurde die hiesige Terrorabwehr auf Albakr aufmerksam. In einer Wohnung in Chemnitz bastelte der Islamist an seinen Sprengkörpern. Kurz vor dem Zugriff konnte Albakr entkommen, wurde nach einigen Tagen jedoch festgenommen. In Untersuchungshaft nahm Albakr sich das Leben. Der Fall sorgte bundesweit für großes Aufsehen.
Bei den Ermittlungen durch die Bundesanwaltschaft geriet auch Abu Osama in Wuppertal ins Blickfeld. Auf seinem Handy fanden sich zwei Chats mit dem Terroristen. Letztlich aber konnte Abu Osama glaubhaft versichern, nichts über den IS-Hintergrund der Geldübergabe gewusst zu haben. Die Bundesanwaltschaft legte den Fall zu den Akten. Die Strafverfolger zweifelten zwar nicht daran, dass Abu Osama eine „führende Rolle als Geldvermittler im Hawala-Banking-System in Deutschland“ spielte. Dennoch ließen die Behörden ihn damals gewähren.
Wieder auffällig wurde er im Dezember 2017, als sich bei einer Verkehrskontrolle in Stuttgart 7900 Euro in bar in der Jackentasche des Hartz-IV-Empfängers fanden. In etlichen anderen Verstecken des Wagens stießen die Polizisten auf insgesamt rund 61.000 Euro. Der Betrag fiel an die Staatskasse. Der Verlust habe ihn schwer getroffen, gestand Abu Osama fünf Jahre später nach seiner Verhaftung Düsseldorfer Finanzermittlern.
Seit Dienstag muss er sich wegen Geldwäsche, Sozialleistungsbetrug sowie dem Verstoß gegen das Zahlungsdienste-Aufsichtsgesetz (ZAG) vor dem Düsseldorfer Landgericht verantworten. Bei Sheikh Khaled kommt noch die Bildung einer Kriminellen Vereinigung hinzu. Laut Vermerken haben beide Angeklagte mit Staatsanwaltschaft und Gericht einen Deal ausgehandelt und bereits im Ermittlungsverfahren Geständnisse abgelegt. Im Gegenzug ließen die Ankläger etwa bei Groß-Hawaladar Abu Osama die Strafvorwürfe wegen diverser Gewalttaten fallen. Das Gericht verkündete zu Prozessbeginn, dass für den Angeklagten höchstens eine fünfjährige Haftstrafe in Betracht kommt.