Hawala-FinanzbetrugIslamist Khaled A. steht in Düsseldorf vor Gericht – Verbindungen zum Al-Zein-Clan

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Khaled A. steht im Gericht vor der Anklagebank. Er hat einen Tetrapack Wasser in der Hand, sein Gesicht ist gepixelt.

Khaled A. muss sich vor dem Oberlandesgericht wegen der Mitgliedschaft bei der Terror-Miliz Jabhat al-Nusra in Syrien verantworten.

In Wuppertal avancierte Khaled A. zum „Bürgermeister der Araber“, jetzt steht der 40-Jährige gleich in zwei Strafprozessen vor Gericht. Die Liste der Vorwürfe ist lang - und erschreckend.

Groß, breitschultrig, athletische Figur, dunkler Teint, der schwarze Bart akkurat geschnitten – so betritt der Syrer Khaled A. gegen 10.40 Uhr an einem Tag Anfang Februar 2023 den Saal im Staatsschutzbunker des Oberlandesgerichts (OLG) Düsseldorf. Ein Tetrapak Wasser in der Linken blickt der 40-jährige Syrer durch die Trennscheibe den Fotografen an, der vor der Anklagebank steht. Der attraktive Mann zieht die Aufmerksamkeit auf sich, auch angesichts der juristischen Vorwürfe. Denn Khaled A. muss sich derzeit in gleich zwei Verfahren verantworten.

Seit Februar vor dem OLG wegen der mutmaßlichen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung. Aber bereits auch seit Monaten in einem weiteren Strafprozess vor dem Düsseldorfer Landgericht, einem Prozess, bei dem es unter anderem um Geiselnahme, räuberische Erpressung, gefährliche Körperverletzung sowie Bildung einer kriminellen Vereinigung geht. Hier sehen die Ermittler wohl auch eine direkte Verbindung zu einem weitreichenden Finanzschieber-Kartell in NRW, das der „Kölner Stadt-Anzeiger“ in dieser Serie beleuchtet.

Khaled A. schickte Kindersoldaten in den Kampf

Bevor Khaled A., alias „Abu Ali“ allerdings nach Deutschland kam, soll er den Ermittlungen zufolge zwischen 2013 und 2014 für die islamistische Miliz „Jabhat al-Nusra“ im Osten Syriens eine bis zu 30 Mann starke Einheit kommandiert haben. Syrische Flüchtlinge aus der Region hatten in Vernehmungen durch NRW-Staatsschützer berichtet, wie Abu Ali im schwarzen Kampfanzug in den Dschihad für den Al-Qaida-Ableger gezogen war.

Bewaffnet mit Gewehr, Pistole und Machete soll er den Kampfverband von seinem Geländewagen aus mit aufmontiertem Flugabwehrgeschütz befehligt haben. Laut Anklage beim OLG, die dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt, bekämpfte Abu Ali vor allem die Terror-Miliz „Islamischer Staat“ (IS) und kurdische Freischärler. Dabei soll er Kindersoldaten ins Feld geschickt haben. Bei einem Gefecht starb demnach ein erst 13-jähriger Junge. Der Angeklagte bestreitet die Vorwürfe.

Aus Sicht der Ermittler beginnt nun Abu Alis mutmaßliche kriminelle Laufbahn in Deutschland. Er reiste demnach im März 2015 hier ein, nachdem der IS seine Heimatregion Deir Ez Zorr erobert hatte. Schon kurze Zeit später machte er demnach Karriere in der arabisch-türkischen Unterwelt. Die Erkenntnisse scheinen zu belegen, dass die Palette der Straftaten von islamistischer Terrorfinanzierung durch Drogenhandel, Schutzgelderpressung, Raub, Folter und Geiselnahme reicht.

Auch Schleuserkriminalität, gewerbsmäßiger Betrug, Steuerhinterziehung sowie Geldwäsche könnten zum kriminellen Portfolio von Khaled A. zählen. Das legen zumindest die Ermittlungen gegen ein syrisches Finanzschieber-Kartell in NRW nahe, in dem der mutmaßliche Dschihadist Abu Ali eine Hauptrolle zu spielen scheint. Seine Verteidigung weist alle Anklagepunkte zurück.

Enge Kontakte zum Al-Zein-Clan

Nach den Erkenntnissen der Strafverfolger soll Abu Ali kurz nachdem ihn die deutschen Behörden als Asylberechtigten anerkannten, in Wuppertal Teile der syrischen Community um sich geschart haben. „Er ist der Bürgermeister der Araber in der Stadt“, gab ein Insider demnach zu Protokoll.

Fortan baute sich der mutmaßliche Islamistenführer nach Erkenntnissen der Ermittler eine neue Existenz in der Illegalität auf. Abu Ali avancierte demnach zum Friedensrichter in der arabisch-türkischen Unterwelt in NRW. So schlichtete er laut Staatsanwaltschaft im November 2020 einen Konflikt zwischen dem mächtigen kurdisch-libanesischen Clan Omeirat und Rivalen eines gegnerischen Clans. Dies geht aus dem Protokoll eines abgehörten Telefonats hervor. Demnach hatte eine Partei einen Rivalen verprügelt, im Gegenzug habe man die Wohnung der Gegner verwüstet. Die Versöhnung sollte laut den Erkenntnissen der Strafverfolger bei einer dritten bundesweit einflussreichen Großfamilie stattfinden: Beim Clan von Badia Al Zein in Leverkusen. Al Zein wurde vor kurzem zu sechs Jahren Haft wegen diverser Delikte verurteilt.

Abu Ali unterhielt laut den Nachforschungen enge Kontakte zur Al Zein-Großfamilie.

Eine grafische Darstellung zeigt eine Balance-Waage, die mit Geldscheinen beladen ist.

Abu Ali avancierte demnach zum Friedensrichter in der arabisch-türkischen Unterwelt in NRW.

Der Anklage zufolge soll er eine brutale Geldeintreiber-Truppe gelenkt haben, die in erster Linie für ein international operierendes Finanzschieber-Kartell arbeitete, das über das orientalische Hawala-Banking binnen fünf Jahren mindestens 160 Millionen Euro an den deutschen Finanzbehörden vorbei in die Türkei und nach Syrien geschleust haben soll.

Sharia-Gericht in den Niederlanden einberufen

Abu Ali mischte aus Sicht der Ermittler ganz oben mit und verfolgte betrügerische Mitstreiter. Als zwei Mitglieder aus der mittleren Ebene das Hawala-Syndikat wohl um gut 500.000 Euro erleichtert hatten, wurde demnach Abu Ali mit einem Inkasso-Team eingeschaltet. Am 9. Juli 2020 sollen die Männer bei einem der Schuldner aufgetaucht sein, dem „Zahltag“, wie Abu Ali verkündet haben soll, ebenso wie die Drohungen „Wir kommen zu dir, wir stechen dich tot. Keiner kann dich schützen“ – sollte die Polizei eingeschaltet werden. 210.000 Euro seien den Erkenntnissen zufolge so wieder an das Kartell zurückgeflossen. Der Komplize G. soll sich indes geweigert haben, den Rest der unterschlagenen Summe herauszurücken.

Abu Ali habe G. daraufhin laut Anklage schwer zugesetzt. Anfang August 2020 soll der Angeklagte G. entführt haben. In seiner Wohnung bedrohte er laut Staatsanwaltschaft die Geisel so lange mit dem Tode, bis diese versprach, sich allen Forderungen zu unterwerfen. Fünf Tage später berief Abu Ali den Ermittlungsakten zufolge ein Sharia-Gericht in den Niederlanden ein und erhob eine zusätzliche Strafsumme von 50.000 Euro. Der Angeklagte bestreitet diese Vorwürfe wie auch die folgenden.

Im Prozess gegen Abu Ali geht es auch um Schleuserei von Landsleuten aus Syrien über die Balkanroute nach Österreich und Deutschland. Nach seiner Verhaftung haben die Strafverfolger demnach auf seinem Handy kompromittierende Chatverläufe entdeckt. Ende August 2021 erreichte Abu Ali wohl die Nachricht eines Komplizen, dass eine Gruppe „am Transportort“ angekommen sei. Es soll Probleme gegeben haben, heißt es in den Ermittlungsakten, weil afghanische Flüchtlinge zuvor einen Soldaten an der türkischen Grenze getötet hätten.

Khaled A.s Verteidiger weist die Vorwürfe zurück

Die Schleuser-Connection finanzierte sich laut Polizeivermerken per Hawala-Banking. Zahlungsbüros hätten demnach dafür gesorgt, dass die Schlepper über Abu Alis Vertraute bezahlt wurden. Die Tarife variierten. In einem Chat ist laut den Ermittlungen von 2500 Euro pro Person die Rede; auch soll es Versuche gegeben haben, falsche Reisepässe zu beschaffen.

Am 28. August soll ein Vertrauter seinem Boss in Wuppertal schließlich eine gute Nachricht übermittelt haben: Eine Gruppe syrischer Flüchtlinge soll sich auf dem Weg nach Wien befunden haben. Abu Ali soll begeistert geantwortet haben: „Es ist nicht schlimm, es ist doch Europa. Es ist egal, ob es Österreich oder ein anderes Land ist, es ist alles Europa.“

Khaled A.s Verteidiger Daniel Junker weist die Vorwürfe der Ankläger in beiden Fällen – vor dem Landgericht und dem OLG – zurück. Im Terrorverfahren gebe es „keine objektiven Beweise für die Mitgliedschaft bei „Jabhat al-Nusra“. Auch der Verdacht der Geiselnahme habe sich bisher im zweiten Prozess nicht erhärtet: „Das ist völlig aus der Luft gegriffen“, so Junker.

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