50.000 Schüler ohne Abschluss, viele können kaum lesen oder sprechen Deutsch nicht: Was jetzt gegen das Bildungsdesaster hilft.
NRW-CheckOhne Priorität für Bildung fahren wir das Land vor die Wand


An diesem Freitag gibt es Zeugnisse. Für den Zustand der Schulen gibt es von den Bürgern keine guten Noten.
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Mangelhaft. Das ist die Zeugnisnote, die die Bürgerinnen und Bürger im NRW-Check den Schulen und der Bildung im Land geben. Nur acht Prozent sind mit dem Zustand zufrieden. So ist die Lage am Ende eines langen Schuljahres. Das Land der Dichter und Denker taumelt auf den Abgesang zu und keiner schaut hin. Höchstens dann, wenn Bildungsministerin Karin Prien von Klassen-Quoten für Kinder mit Migrationsintergrund spricht. Wobei vor Aufregung keiner mitdenkt, dass im Gegenzug Kinder aus Lindenthal nach Chorweiler in die Grundschule transportiert werden müssten. Welche politische Kraft will das umsetzen?
Deutschlands Bildung im Tief: 50.000 Schüler ohne Abschluss – jedes Jahr
Es gab in den letzten zehn Jahren keine einzige Bildungsstudie, die keinen Abwärtstrend gezeigt hat. Und zwar in allen Bundesländern. 50.000 Jugendliche verlassen am Freitag die Schule ohne Abschluss und wandern quasi direkt in die Sozialsysteme. Das geht jedes Jahr so.

Schulstart mit Hindernissen: In vielen Städten fehlen Schulplätze – Kinder pendeln quer durch Köln. (Symbolbild)
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Ein Viertel der Grundschüler kommt nach den Ferien ohne die Grundkompetenzen in Lesen, Schreiben und Rechnen in die weiterführende Schule. In manchen Kölner Grundschulen wiederholen ein Viertel der Kinder das erste Schuljahr. Die meisten, weil sie bei der Einschulung kaum Deutsch konnten und sehr viele nie eine Kita besucht haben.
ChatGPT macht Lernen obsolet – und niemand reagiert
Ganz zu schweigen davon, dass Künstliche Intelligenz in Form von ChatGPT gerade Hausaufgaben und klassisches Lernen obsolet macht, ohne dass klar ist, wie der langsame Großtanker Schule dieser Dynamik begegnen soll. Hinzu kommt die Tatsache, dass schon Kindergartenkinder stundenlang vor digitalen Geräten hängen und sich nicht mehr konzentrieren können und ein Fünftel der Schülerinnen und Schüler inzwischen psychische Probleme hat.
Statt Aufschrei oder politische Lösungsdebatten: Schweigen im Walde. Der Fokus der Kultusministerkonferenz liegt seit Jahren darauf, Fach für Fach ein bundesweites Zentralabitur umzusetzen. Wegen der Vergleichbarkeit. Schulministerin Dorothee Feller setzt für die „Trendwende“ jetzt auf mehr Lernstandserhebungen, die dann wahrscheinlich nochmal unterstreichen, wie düster die Lage ist.
Aladin El-Mafaalani, Deutschlands bekanntester Bildungssoziologe sagt: „Die Bildungsmisere ist das größte innenpolitische Problem Deutschlands. Während klar ist, dass wir vor die Wand knallen, sind wir noch dabei, den Bremsweg auszurechnen.“ Damit ist eigentlich alles gesagt. Bildung müsste Top-Priorität haben. Hat es aber nicht. In einem Land, in dem 42 Prozent der Wähler über 60 sind und wir inzwischen über 60 Prozent des Bundeshaushalts in Verteidigung und Rente stecken. Eigentlich müssten Kinder im Mittelpunkt aller Maßnahmen stehen. Aber sie sind eben keine Rentner und dürfen nicht wählen.
43 Prozent der unter Fünfjährigen haben Migrationshintergrund
Es hilft augenscheinlich nichts, humanistisch zu argumentieren mit Bildungsgerechtigkeit etwa. Vielleicht verfängt der wirtschaftliche Blick: In den 60ern kamen auf sechs Beitragszahler ein Rentner, heute sind es zwei Beitragszahler auf einen Rentner. Perspektivisch werden es 1,5 sein.
Während bei den Menschen im Rentenalter 14 Prozent Migrationshintergrund haben, sind bei den unter Fünfjährigen 43 Prozent. Wir brauchen jedes dieser Kinder und bringen denen, die das brauchen, nicht mal die Sprache bei. Und wir hätten, Stand jetzt, nicht mal genug Kita-Plätze, wenn denn alle Kinder mit Migrationshintergrund einen haben wollten. Einfach, weil es viel zu wenige gibt. Ebenso wie Erzieherinnen.
Köln fehlen Grundschulplätze – Erstklässler müssen durch die ganze Stadt pendeln
Köln hat sogar Not, in den kommenden Jahren ausreichend Schulplätze für alle Grundschulkinder zu schaffen. Da fahren dann auch ohne Migranten-Quote Erstklässler quer durch die Stadt. In dieser Lage sind die klammen Kommunen nun beim Startchancenprogramm – dem Bund-Länder-Programm für Schulen im Brennpunkt – in Nordrhein-Westfalen dazu verdonnert, 30 Prozent der Kosten mitzustemmen. Kommunen im Ruhrgebiet treibt das in die Haushaltssicherung. Willkommen in Absurdistan.

Immer mehr Kinder – aber zu wenig Platz: Kölns Grundschulen stoßen an ihre Grenzen. (Symbolbild)
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Ohne andere Prioritäten fahren wir das Land vor die Wand: den Wirtschaftsstandort und die Demokratie gleich mit. Und es ist ja nicht so, dass es keine Auswege gäbe. Die kosten halt nur Geld. 500 Milliarden Sondervermögen für Zukunftsinvestitionen hat die neue Bundesregierung zu verteilen. Statt für Wahlgeschenke könnte man einen Teil vielleicht einfach mal in die Schulen investieren, in denen es teilweise durchregnet.
Lehrpläne endlich entrümpeln
Bildung ist einer der letzten verbliebenen reinen Länderkompetenzen, wo das politisch umgesetzt werden könnte, was es dringend bräuchte: eine Kita-Pflicht, frühe verbindliche Sprachförderung und mehr personelle Ressourcen vor allem in den Grundschulen. Auch mehr als ein Schulpsychologe für 6000 Kinder oder Systemadministratoren, die die tausenden Tablets auch warten, würden immens helfen.
Und dann gibt es noch etwas, das gar kein Geld kostet und dass die Schulen seit Jahren unisono wie ein Mantra erflehen: Entrümpelt doch endlich die Lehrpläne! Lasst mal was weg statt immer Neues draufzusatteln. Damit die Schülerinnen und Schüler in den immer heterogener besetzten Klassenzimmern endlich Zeit haben. Zeit zum Lernen lernen, zum Hinterfragen und vielleicht sogar für kreatives Denken.