Die Innenminister verzichten überraschend auf härtere Auflagen wie personalisierte Tickets oder KI-Kontrollen. Bei der Polizei ist der Ärger groß.
Polizei ist sauerInnenminister kippen zentrale Sicherheitspläne für Fußballstadien

Polizeieinsatz bei einem Fußballspiel
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Die Proteste in den Fankurven der Fußballstadien gegen erhöhte Sicherheitsmaßnahmen zeigten bei der Innenministerkonferenz (IMK) am Mittwoch in Bremen bereits Wirkung. Personalisierte Tickets, Ausweiskontrollen, Gesichtserkennung durch KI-Überwachung und das Thema Pyrotechnik stehen laut Bremens Innensenator Ulrich Mäurer (SPD) nicht auf der Tagesordnung der dreitägigen Konferenz.
Was übrig bleibt von den Plänen der Politik, ist eine zentrale Stadionverbotskommission beim Deutschen Fußballbund (DFB), die Fanverstöße mithilfe der regionalen Gremien bewerten soll. Der DFB sowie die Deutsche Fußball Liga (DFL), die im Vorfeld heftig gegen die Innenminister agitierten, können zufrieden sein. Kurzum: Im Wesentlichen bleibt alles beim Alten.
Patrick Schlüter, NRW-Chef der Gewerkschaft der Polizei (GdP), kann die Innenminister nicht verstehen. „Das ist eine Rolle rückwärts. Fakt ist, dass wir ein erhebliches Problem mit Gewalt in- und außerhalb der Stadien haben. Auch das Abfeuern von Pyrotechnik stellt eine erhebliche Gefahrenquelle dar.“
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„Ist mir inzwischen zu viel Krawall“
Walter S. (Name geändert), seit mehr als 50 Jahren Fan des 1. FC Köln, hat inzwischen seine Dauerkarte zurückgegeben. „Die Stimmung im Stadion ist nicht mehr so wie früher“, sagt der Rentner. Jahrzehntelang hat er in der Südkurve im Oberrang über den Stehplätzen mit den Ultra-Gruppen gesessen. „Inzwischen ist mir das zu viel Krawall und wenn die dann ihre Bengalos abfackeln, dann sieht man nichts mehr und bekommt kaum noch Luft. Das ist nichts mehr für mich.“
Die Aussage will so gar nicht zu manchen Medienberichten über die selbsternannte „aktive Fanszene“ in den Kurven passen, die angeblich so friedlich ist. Zumal sich die Sichtweise nicht mit den Zahlen der Zentralen Informationsstelle für Sporteinsätze (ZIS) in ihrem aktuellen Jahresbericht deckt. Die Polizeianalytiker haben für die Saison 2024/2025 Straftaten aus 1170 Spielen der ersten, zweiten und dritten Bundesliga sowie weiteren 1513 Partien in den fünf Regionalligen herausgefiltert. Demnach wurden während des Ligaspielbetriebs der ersten drei Ligen insgesamt 1107 Menschen verletzt, darunter 160 Polizisten und 89 Ordner. In der Saison zuvor waren es noch 1338 Personen. Weiterhin verzeichnet die ZIS mit 624 Personen eine „hohe Anzahl verletzter Unbeteiligter“.
Überfälle bei An- und Abreise zu Spielen
Die Polizeibehörden leiteten in der vergangenen Saison 5197 (Vorjahr: 6678) Strafverfahren im Zusammenhang mit Fußballspielen ein. „Bei knapp der Hälfte der Strafverfahren handelt es sich um anlasstypische Straftaten wie Körperverletzung, Widerstand, Landfriedensbruch oder Sachbeschädigung.“ Zugleich stieg die Zahl der gewaltbereiten Fans in den 53 Vereinen der ersten drei Ligen sowie der Regionalligaklubs um 280 auf zirka 18.000 Personen. Mehr als jeder Vierte kommt aus Nordrhein-Westfalen.
Regelmäßig ereignen sich ferner brutale Überfälle bei An- und Abreise zu den Spielen. Am 22. November fuhren mehrere Pkw auf die Raststätte Siegburg an der A3 und attackierten den Reisebus mit Stuttgart-Anhängern mit Flaschen und Feuerwerkskörpern. Die Insassen wurden aus dem Bus gezerrt, geschlagen und getreten.
Am frühen Samstagmorgen des 1. November hielten zur gleichen Zeit zwei besetzte Züge im Hauptbahnhof Köln. Dem Polizeibericht zufolge wollten BVB-Fans nach einem Auswärtsspiel in Augsburg zurück nach Hause. Ein Sonderzug mit Schalke-Fans befand sich auf dem Weg nach Karlsruhe. Laut Polizei hatte ein Schalker Anhänger im Hauptbahnhof die Notbremse gezogen, als er den Zug mit den Borussen entdeckte. Eine Massenprügelei war die Folge. Bis zu 200 vermummte Fans von Schalke 04 versuchten die Waggons der Dortmunder zu stürmen.
Polizisten nach Derby angegriffen
Nach dem Derby gegen Bayer Leverkusen prügelten sich FC-Anhänger auf der Nordtribüne im März 2024 mit Fans des Gegners. Ein Ordner wollte dazwischen gehen. Er wurde bewusstlos geschlagen. Eine größere Gruppe Kölner griff dann nach dem Spiel Polizisten auf der Junkersdorfer Straße an, weil die Beamten nach Bengalo-Attacken die Täter festsetzen wollten.
Insbesondere Pyrotechnik-Verstöße verdoppelten sich in der abgelaufenen Saison auf 4783 Fälle. „Im Berichtszeitraum wurden 95 Personen erfasst, die durch den missbräuchlichen Einsatz von Pyrotechnik verletzt wurden. Auch gänzlich Unbeteiligte wurden dabei zu Opfern“, stellt der Leiter der ZIS, Polizeidirektor Michael Madre, fest. Nach Angaben des DFB waren im August 2025 bundesweit allerdings nur 600 Stadionverbote ausgesprochen worden.
Die Arbeitsbelastung der Einsatzkräfte der Länder und des Bundes sank im Vergleich zum Vorjahr zwar von knapp 2,9 auf 2,6 Millionen Stunden. „Trotz des Rückgangs bleibt die Belastung für die Einsatzkräfte aber auf einem weiterhin hohen Niveau“, lautet das Fazit des ZIS-Reports.
Steuerzahler trägt die Kosten
Bisher trägt der Steuerzahler die Kosten. Dies könnte sich ändern. Anfang des Jahres hat das Bundesverfassungsgericht eine Klage der DFL gegen den Stadtstaat Bremen in letzter Instanz abgewiesen. Der Dachverband hatte der Kostennote der Hanseaten in der Höhe von 400.000 Euro für die Begegnung Werder Bremen gegen den Hamburger SV im Jahr 2015 widersprochen. Die Partie fiel seinerzeit in der Gefährdungsbewertung in die rote Kategorie: ein Hochrisikospiel. Insofern hatte man auch Einsatzkräfte aus anderen Bundesländern sowie der Bundespolizei angefordert. Die Kosten für diese Kontingente musste der Innensenator – wie üblich – an die Länderkollegen begleichen.
Seinerzeit konstatierte Christina Kampmann, innenpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion: „Angesichts des Milliardengeschäfts Profi-Fußball muss Innenminister Reul nun mit seinen Amtskollegen aus den anderen Ländern klären, inwieweit sich die DFL an den Kosten beteiligt.“ Laut ihren Angaben stehen allein in NRW die Aufwendungen von 20 Millionen Euro pro Saison zu Buche.
Nach Informationen dieser Zeitung listet eine interne Aufstellung für das Innenministerium in Düsseldorf 14 Hochrisikospiele aus den oberen vier Ligen und dem DFB-Pokal allein für die Vorsaison an Rhein und Ruhr auf. Schon für diese Begegnungen wäre es nach dem Bundesverfassungsgericht möglich, den Fußball-Klubs eine Rechnung für den erhöhten Polizeiaufwand zu schicken.
Polizeigewerkschaft kritisiert Reul
Die NRW-Landesregierung hingegen will die Vereine in solchen Fällen nicht zur Kasse bitten. Innenminister Reul vertritt die Meinung, dass die Polizeieinsätze in und um die Fußballarenen genauso unter die Schutzmaßnahmen fallen müssen wie im Straßenkarneval oder beim CSD.
„Ein falscher Weg“, meint NRW-GdP-Chef Schlüter. Bei Hochrisikopartien wie dem 1. FC Köln gegen Borussia Mönchengladbach „werden bis zu 2500 Beamte eingesetzt, da sind wir – geschätzt – schnell bei Kosten von einer Million Euro. Geld, das anderswo bei der Polizei gewiss besser eingesetzt wäre.“ Die GdP vertritt die Devise, dass Vereine bei Hochrisikospielen sehr wohl zahlen sollen, bei „normalen“ Begegnungen hingegen nicht.
Zudem besorgt den Polizeigewerkschafter, dass in einer ganzen Reihe von Klubs Ultras „bis in den Vorstand hineinregieren“. Schlüter fordert, dass sich Vereine klar von gewaltbereiten Anhängern distanzieren und diesen auch keine Sonderrechte bei Eingangskontrollen zubilligen: „Auf diesem Wege werden sonst Hassbanner, Schutzbewaffnung und Pyrotechnik ins Stadion geschmuggelt.“

