Das Pflegesystem muss reformiert werden. NRW-Minister Karl-Josef Laumann (CDU) erklärt, warum Menschen weiter selbst für das Alter vorsorgen müssen.
NRW-Minister über Pflege„Kein Recht auf Vererben, wenn die Belastung andere tragen sollen“

Karl-Josef Laumann (CDU) zur Reform der Pflegeversicherung: „Wenn das in Pflegegrad 1 zur Verfügung stehende Geld 1:1 komplett für etwa Putzhilfen oder die Gartenpflege verwendet wird, ist das nicht die Idee bei der damaligen Einführung der Pflegeversicherung gewesen.“
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Herr Laumann, im Streit um die Reform des Pflegesystems ist die aktuelle Lage so: Der Pflegegrad 1 soll erhalten bleiben, die Leistungen sollen aber einen präventiveren Charakter erhalten. Was heißt das jetzt konkret für den Senior, der von den 131 Euro bislang eine Reinigungskraft oder eine Einkaufshilfe bezahlt hat. Ist das weiter möglich? Direkt präventiv ist so eine Putzkraft ja nun nicht.
Karl-Josef Laumann: Es ist inzwischen acht Jahre her, dass die Pflegegrade eingeführt wurden. Da ist es richtig, sich genau anzuschauen, welche Auswirkungen dieses System hat. Dabei sollten wir an den Erfolgen festhalten und Fehlentwicklungen korrigieren. Was die von Ihnen angesprochene Regelung angeht, sollten wir etwa bedenken, dass eine saubere Wohnung auch eine Voraussetzung dafür ist, länger in der eigenen Häuslichkeit bleiben zu können. Allerdings muss es in erster Linie darum gehen, wie man möglichst lange mobil bleiben kann, um gerade nicht vollumfänglich auf Haushaltshilfen angewiesen zu sein, sondern möglichst viel noch selbst machen zu können.
Stattdessen soll eher pflegefachliche Begleitung bezahlt werden. Welche Erwartungen knüpfen Sie an eine solche Verschiebung?
Zunächst mal: Ich glaube nicht, dass wir einen Mangel an Beratung haben. Die Familien und die Betroffenen wissen zudem selbst am besten, was sie in der jeweiligen Pflegesituation brauchen. Ich möchte gerade beim Pflegegrad 1, dass es genügend Präventionsangebote gibt, die in Anspruch genommen werden können, und dass die Menschen angeleitet werden, etwas für sich zu tun. Wichtig ist, dass es flächendeckend die entsprechenden Angebote gibt. Im Übrigen: Wenn das in Gruppen stattfindet, hilft das auch gegen Einsamkeit.
Gruppenangebote helfen auch gegen Einsamkeit
Die Prävention soll gestärkt werden, gleichzeitig will man gerade beim Einstiegspflegegrad Geld sparen. Ist das nicht ein Widerspruch?
Wenn das in Pflegegrad 1 zur Verfügung stehende Geld 1:1 komplett für etwa Putzhilfen oder die Gartenpflege verwendet wird, ist das nicht die Idee bei der damaligen Einführung der Pflegeversicherung gewesen. Wie so oft im Leben gilt nicht „Entweder oder“, sondern Maß und Mitte.
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Sie hatten jüngst darauf hingewiesen, dass vor allem die pflegerische Akutsituation verbessert werden müsse. Können Sie an einem Beispiel verdeutlichen, was Sie damit genau meinen und wie das gelingen könnte?
Gerade in der häuslichen Pflege ist es doch genau dann kritisch, wenn nicht planbare Situationen auftreten. Zum Beispiel wenn die Hauptpflegeperson plötzlich krank wird oder die Pflegebedürftigen selbst zusätzlich einen Infekt bekommen. Ich bekomme oft mit, dass die Menschen schnell im Krankenhaus landen, einfach weil es zuhause genau in diesen Situationen keine Lösung gibt und niemand da ist, der sofort unterstützen kann. Die Krankenhäuser sind dafür aber eigentlich nicht da und auch gar nicht richtig aufgestellt. Und für viele Pflegebedürftige ist es schlimm, aus der vertrauten Umgebung weg zu müssen. Genau dafür brauchen wir bessere Lösungen. Wie das gelingen kann, und wie wir das Pflegesystem auch dafür besser aufstellen, daran arbeiten wir gerade in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe.
Es geht in erster Linie darum, das System nicht immer teurer zu machen und damit immer weniger bezahlbar
Lässt sich in der Pflege überhaupt so viel Geld sparen? Experten zufolge ist im Pflegesystem – anders als im Gesundheitssystem – gar nicht so viel Luft. Wie sehen Sie das?
Es geht in erster Linie darum, das System nicht immer teurer zu machen und damit immer weniger bezahlbar. Wir reden hier im Übrigen ja nicht über Steuermittel, sondern über Versichertenbeiträge. Das sollten wir auch nie vergessen. Die Leistungen müssen gezielt da ankommen, wo sie am meisten benötigt werden. Und der Großteil der Menschen wird zu Hause gepflegt und die meisten werden von Angehörigen versorgt. Deshalb ist zwar eine gute Aufstellung der professionellen Pflege wichtig. Wie im gesamten Gesundheitssystem müssen wir auch hier die Frage stellen, wie man Mittel besser und effizienter einsetzen kann. Vor allem aber müssen wir als Gesellschaft Antworten darauf geben, was wir als zwingend notwendige Versicherungsleistung erachten und wo wir die Eigenverantwortung des Einzelnen sehen.
Seit 2023 müssen kinderlose Pflegeversicherte einen Beitragszuschlag von 0,6 Prozent bezahlen. Wird sich dieser Zuschlag bei Fortschreiten des demografischen Wandels in Zukunft maßgeblich erhöhen? Wäre das Ihrer Meinung nach wünschenswert?
Zunächst einmal ist es Fakt: Familien mit Kindern tragen maßgeblich zur Sicherung unserer sozialen Sicherungssysteme bei. Denn die Kinder von heute sind die Steuer- und Beitragszahler von morgen. Aber: Nur einzelne Stellschrauben zu betrachten, wird der Sache nicht gerecht. Daher will ich auch den Ergebnissen der Bund-Länder-Reform nicht vorweggreifen. Ein wesentliches Ziel der Reform muss es sein, eine ausgewogene Finanzierung aus Beiträgen, Steuermitteln und Eigenleistung zu finden. Das ist keine einfache Aufgabe. Um im Bild zu bleiben: Die „Maschine“ Pflegeversicherung wird nur dann weitgehend reibungslos funktionieren, wenn alle Stellschrauben und Rädchen aufeinander abgestimmt sind und ineinandergreifen.
Die Pflegeversicherung deckt ja grundsätzlich nur einen Teil der Leistungen ab. Wäre eine Vollversicherung angesichts der zunehmenden Zahl von Pflegebedürftigen nicht sinnvoller? Und gerechter? Derzeit werden ja diejenigen bestraft, die ihr Leben lang ihr Geld zusammenhielten und am Ende geht das kleine Häuschen für zwei Jahre Pflegeheim drauf. Oder ist das nicht finanzierbar?
Ich denke, wir tun uns keinen Gefallen, wenn wir in dieser Diskussion mit Begriffen wie „Bestrafung“ arbeiten. In der sozialen Pflegeversicherung haben wir ein Umlagesystem und das basiert auf einem Generationenvertrag. Das heißt, es lebt davon, alle in den Blick zu nehmen – auch diejenigen, die momentan aus ihrem Einkommen Beiträge bezahlen. Darunter sind junge Familien, Menschen, die kein hohes Einkommen haben, die vielleicht auch nicht erben werden. Je mehr Leistungen die soziale Pflegeversicherung auszahlt, umso höher werden die Beiträge. Und das potenziert sich im demografischen Wandel noch – und dann nehmen wir jüngeren Menschen zunehmend die Chance, überhaupt ein Eigenheim zu finanzieren und vorzusorgen. Die Pflegeversicherung wurde als Teilleistungssystem konzipiert. Es setzt darauf, dass die Menschen weiterhin selbst vorsorgen, wenn sie das können. Aus meiner Sicht gibt es kein Recht auf Vererben, wenn die finanzielle Belastung zunehmend andere tragen sollen.

