Leverkusens MeisterschaftEuphorie in der Stadt, Prominente gratulieren – Bayer-Spieler feierten spontan in Kölner Club

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Bayer Leverkusen Fans mit Meisterschale auf dem Stadionrasen

Spontane Party auf dem Stadionrasen: Bayer Leverkusen Fans mit Meisterschale.

Leverkusen feiert die Meisterschaft spontan in Kölner Club: Kein Plan, aber viele Emotionen – Gratulanten betonen den verdienten Sieg. 

Es ist Mitternacht, als das Handyklingeln Tom Thomas aus dem Bett holt. Die Anrufer: Spieler von Bayer Leverkusen. Sie wollen vom Kölner Club-Betreiber wissen, ob er einen seiner Läden spontan für sie öffnen könne, sie seien gerade Deutscher Meister geworden und bräuchten was zum Feiern.

„Sie wollten unter sich bleiben“, berichtet Thomas. Also hat er spontan eine Bar im Keller des Kölner „Café de Paris“ geöffnet, Personal und Putzteam zusammengetrommelt und um 1 Uhr die Meistermannschaft begrüßt. Offensichtlich hatte tatsächlich niemand Vorkehrungen getroffen, bevor der Titel nicht wirklich sicher war. Zwar war keiner der Spieler an den vielen verpassten Titel vor mehr als 20 Jahren beteiligt. Aber sie kennen das Trauma, das den Verein quälte

Kölner Club-Betreiber: „Sie wollten unter sich bleiben“

Die ganze Anspannung, der große Traum, aufgebaut über 120 Jahre Klubgeschichte und zu viele Beinahe-Erfolge, alles schäumt über, als am Sonntagabend um 19.20 Uhr der Schuss von Florian Wirtz auch noch zum 5:0 einschlägt. Diese Emotionen lassen sich nicht von wenig widerständigen physischen Barrieren wie Werbebanden und Ordnern aufhalten. Schiedsrichter Harm Osmers hat ein Einsehen und lässt die Meisterparty mit einem Schlusspfiff schon wenige Sekunden vor der 90. Spielminute zu. Vier Minuten Nachspielzeit hatte der vierte Offizielle auf seiner Tafel vorher noch verkündet. Die brauchte es nicht, um das Spielfeld der Bay-Arena komplett mit Menschen zu füllen. Es sind ihre Geschichten, die diesen historischen Tag zu etwas Einzigartigem machen.  

Da sind etwa Lukas, Manu, Ben und Michael, die im Freudentaumel auf dem Spielfeld eine riesige schwarz-rote Fahne schwenken. Die vier haben sich kennengelernt, nachdem Lukas 2010 über soziale Medien eine Gruppe „Leverkusen-Fans in Stuttgart“ gegründet hatte. Seitdem verfolgen sie gemeinsam aus dem Südwesten die Werkself und wollten natürlich dabei sein, wenn der erste Deutsche Meistertitel perfekt gemacht wird.

Feiernde Männer auf dem Spielfeld

Lukas, Manu, Ben und Michael: Aus Stuttgart angereist und zum Spiel nicht ins Stadion gekommen, aber trotzdem glücklich.

Und doch verbringen sie am Sonntag das Spiel nur vor dem Stadion, können erst rein, als die Ordner dem Druck nachgeben und die Tore nach Schlusspfiff für alle öffnen. „Wir hatten Tickets“, sagt Lukas und zeigt einen Ausdruck, auf dem mehrfach in rote Farbe „ungültig“ gestempelt wurde. Offensichtlich waren die vier Männer aber an einen unseriösen Anbieter geraten. Viel Geld hat sie das gekostet, doch dem trauert in diesem Moment keiner mehr nach. „Wir stehen hier auf dem Rasen der Bay-Arena und sind Deutscher Meister, das ist unbezahlbar“, ruft Ben mit heiserer Stimme.  

Da sind Ji und Elmar, die die Ehrentrikots von Elmars verstorbenem Vater Joachim Zimmermann tragen – eines für 50 Jahre Mitgliedschaft, eines für 60 Jahre. „Hätte er das heute noch erleben können …“, sagt Elmar, und findet nicht die richtigen Worte, um den Satz zu beenden. „Wir mussten ihn einfach heute mit hierhin nehmen“, ergänzt Ji. Er selbst sei nie ein großer Fußballfan gewesen, aber über Elmar und seine fußballverrückte Familie habe er Bayer Leverkusen lieben gelernt. Und nach dem Tod des Vaters dessen Dauerkarte übernommen. Ehrensache. Um den Hals hängt beiden schon vor Spielbeginn eine Meisterschale aus Pappe. Angst, oder auch nur leise Zweifel, dass es nicht klappen könnte, hatten sie keine. 

Ji und Elmar in den Ehrentrikots von Elmars verstorbenem Vater.

Ji und Elmar in den Ehrentrikots von Elmars verstorbenem Vater.

Da sind weit angereiste Werder Bremen Fans, die sich schwarz-rote „Forza Bayer“ – Aufkleber über die grünen Trikots geklebt haben. „Ihr werdet ja eh Meister und eigentlich brauchen wir die Punkte dringender“, sagen die Mitglieder des Fanclubs Ritterhude in Niedersachsen. „Aber heute geben wir sie Euch gerne ab.“ Dabei zu sein bei der großen Meisterparty, dafür kann man schon mal fünf Stunden Autofahrt auf sich nehmen – selbst, wenn der falsche Verein gefeiert wird. 

Werder-Bremen-Fan aus Ritterhude mit Bayer-Leverkusen-Aufkleber.

Werder-Bremen-Fan aus Ritterhude mit Bayer-Leverkusen-Aufkleber.

Das Feiern für die Leverkusener fällt nicht allen so leicht. Der 1. FC Köln etwa veröffentlicht keinen eigenen Glückwunsch über die sozialen Medien, wie es alle anderen 16 Bundesliga-Vereine tun. Unter dem Jubel-Beitrag von Bayer Leverkusen selbst antwortet der offizielle FC-Account aber doch mit einem Glückwunsch zur „hochverdienten Meisterschaft“. Einigen Kölner Fans gefällt das gar nicht, sie fordern den Verein auf, den Eintrag sofort wieder zu löschen.

Ein prominenter FC-Anhänger sieht dagegen die höhere Bedeutung für sein Bundesland: „Dieses beeindruckende Meister-Finale passte einfach zu der phänomenalen und herausragenden Leistung von Bayer 04 in dieser Bundesliga-Saison und darüber hinaus“, lobt NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst beim Auftakt seiner USA-Reise.  „Nordrhein-Westfalen ist stolz, dass die Meisterschale nach unfassbaren zwölf Jahren wieder bei uns ist.“ 

Stolz und gerührt zeigt sich Leverkusens Oberbürgermeister Uwe Richrath – Gibt es bald wiklich eine Alonso-Allee?

Stolz ist man natürlich vor allem in Leverkusen. „Ein Traum ist wahr geworden. Ich bin so stolz und es rührt mich sehr, dass unsere Stadt, meine Heimatstadt, diesen Moment erleben und feiern darf“, sagt Oberbürgermeister Uwe Richrath. Schon am nächsten Morgen kündigt die Stadt an, Werner Wenning, Fernando Carro, Simon Rolfes und Xabi Alonso die Ehrenbürgerwürde verleihen zu wollen. Und zu prüfen, ob sie einen Platz oder eine Straße in Stadionnähe nach dem Meistertrainer benennen können.

Nicht echt, aber der Stimmung des Tages angemessen: Ein Straßenschild zeigt den Namen Xabi-Alonso-Allee.

Leverkusen Fans haben die Bismarck Straße in der Stadt in Xabi Alonso Allee umbenannt.

Der Titelgewinn sei aber vor allem ein Geschenk an alle Fans, die „seit Jahrzehnten ihre Mannschaft in guten und in schlechten Zeiten anfeuern, die immer da sind und ihrem Verein die Treue halten“, betont der Oberbürgermeister. „Seit heute ist die Stadt eine andere.“ 

Auch Karl Lauterbach gratuliert digital: „Eine solche Siegesserie, ein so toller Angriffsfußball, so viel Spielfreude: das zählt mehr als 5 Meisterschaften von Bayern München“, schreibt der Bundesgesundheitsminister mit Gratulationen an seinen Wahlkreis. Der ehemalige Boxprofi Henry Maske, der viele Jahre die Mc-Donalds-Filiale gegenüber der Bay-Arena als Franchisenehmer betrieb, fordert, die Fähigkeit zur Spielentscheidung in letzter Minute von „Bayern-Gen“ in „Leverkusen-Gen“ umzubenennen.  

Die echte Meisterschale wird der Mannschaft erst am letzten Spieltag am 18. Mai nach dem Heimspiel gegen Augsburg überreicht. Zu den dann geplanten Feierlichkeiten äußern sich die Stadt und Verein nicht offiziell, die große Party soll aber wohl erst am 26. Mai stattfinden, wenn auch das DFB-Pokalfinale in Berlin gespielt ist. 

Vorbereitung auf das Rückspiel gegen West Ham United in London startet am Dienstag

 Trainer Xabi Alonso war nicht bei der Feier in Köln dabei.  Schon bei der Ansprache aus einer Stadion-Loge betonte er, dass ja noch wichtige Spiele anstehen. Freigegeben hat er seinen Spielern nur den Montag. Ab Dienstag läuft die Vorbereitung auf das Rückspiel in der Europa League gegen West Ham United in London am Donnerstag. Auch die Spieler hätten „keine exzessive Party gefeiert“, berichtet Gastronom Thomas. „Die Stimmung war gut, sie sind zusammengesessen und haben ein bisschen getanzt.“ Gegen 4.30 Uhr sei die Feier beendet gewesen.

Die wichtigen noch anstehenden Spiele sind der Grund, warum sowohl Verein als auch Fanvereinigungen dringend darum gebeten hatten, den wertvollen Hybridrasen heil zu lassen. Und tatsächlich, schon um kurz vor Mitternacht gibt Georg Schmitz, seines Zeichens Headgreenkeeper der Bay-Arena, über soziale Medien Entwarnung: „Der Rasen hat überlebt.“ Medienchefin Valeska Homburg bedankt sich für die „große Disziplin unserer Fans“, das Heimspiel gegen Stuttgart in zwei Wochen sollte wieder auf einem „hervorragenden Platz“ stattfinden können.

Selbst der Elfmeterpunkt, sonst eine besonders beliebte Trophäe, ist Stunden nach Spielschluss noch da, von wo aus Victor Boniface mit dem Treffer zum 1:0 die große Party eingeläutet hatte. Besonders viel Liebe bekommt er dennoch: Viele Fans pilgern dorthin und streicheln liebevoll über das weiße Fleckchen Erde.  

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