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Nach Solingen-AttentatMinisterin hätte anrufen statt „abtauchen“ können

Lesezeit 3 Minuten
Josefine Paul, Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration (Grüne), ist wegen ihrer Kommunikationspolitik nach dem Solingen-Anschlag unter Druck geraten.

Josefine Paul, Ministerin u.a. für Flucht und Integration (Grüne), ist wegen ihrer Kommunikationspolitik nach dem Solingen-Anschlag unter Druck geraten.

Ministerin Paul wird nicht nur für ihre mangelnde Kommunikation kritisiert. Hat sie Beweismittel gelöscht.

Vor zehn Monaten tötete Issa Al Hasan im Namen der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) auf einem Stadtfest in Solingen drei Menschen und verletzte acht schwer. Während der syrische Flüchtling sich derzeit vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf verantworten muss, durchleuchtet ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss einerseits die Fehler im Umgang mit dem mutmaßlichen Terroristen. Eigentlich hätte Al Hasan 2023 im Zuge des EU-Dublin-Abkommens längst nach Bulgarien abgeschoben werden müssen. Doch die Landesbehörden versagten.

Zum anderen geht es auch um Kommunikationspannen in der Landesregierung kurz nach dem Anschlag am Abend des 23. August. Dabei steht die Flüchtlingsministerin Josefine Paul (Grüne) in der Kritik.

Die Ministerin war 24 Stunden nicht erreichbar

Vor Kurzem hatte der „Kölner Stadt-Anzeiger“ unter anderem berichtet, dass die Ministerin in einer der größten Sicherheitskrisen des Landes knapp 24 Stunden lang nicht erreichbar war. Paul war im französischen Maillé zu Besuch, um am Sonntag, den 25. August vormittags eine kurze Rede im Gedenken an Kriegsverbrechen durch die SS zu halten. Dabei machte schon tags zuvor am späten Nachmittag der Name des Täters die Runde, auch lag seine Asyl-Akte dem Ministerium vor. Die Fakten waren bekannt.

Anstatt ihren Aufenthalt abzubrechen, hielt Paul ihr Grußwort - und zwar in der Länge von etwa fünf Minuten. Dabei hatte Landesinnenminister Herbert Reul seine Amtskollegin bereits am Morgen um 8.26 Uhr um einen Rückruf gebeten.

Keine Antwort von Paul

Die Grünen-Politikerin antwortete nicht. Nur ihr persönlicher Referent meldete sich zweieinhalb Stunden später bei dem Referenten des Innenministers. Das Gespräch dauerte 33 Sekunden. Wenig Zeit, um die komplexen Umstände zu dem ersten islamistisch motivierten tödlichen Anschlag in Deutschland seit 2016 zu erörtern.

Der Angeklagte im Gerichtssaal des Oberlandesgerichts Düsseldorf: Der Syrer Issa Al Hasan soll drei Menschen erstochen haben.

Der Angeklagte im Gerichtssaal des Oberlandesgerichts Düsseldorf: Der Syrer Issa Al Hasan soll drei Menschen erstochen haben.

Warum aber schaffte es die Flüchtlingsministerin nicht selbst, mit Reul zu telefonieren? Antwort aus ihrem Hause: „Ab Sonntagvormittag befand sich Ministerin Paul ganz konkret bei der entsprechenden Gedenkveranstaltung in dem Gedenkdorf, bei der das umfangreiche Zeremoniell keine Telefonate oder Ähnliches zuließ, entsprechend bestand aber auch hier Kontakt über ihren persönlichen Referenten, der Ministerin Paul auf der Reise begleitet hat.“

Eine Rede von nur etwa fünf Minuten

Der Programmablauf, der dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ vorliegt, belegt das Gegenteil. Gleich mehrfach hätte die Ministerin Zeit gehabt, sich mit dem Innenminister oder anderen Kabinettsmitgliedern kurzzuschließen. Etwa am Morgen auf der Reise zum Gedenkort oder später zwischen einzelnen Programmpunkten. Selbst beim Koalitionspartner CDU fragen sich Abgeordnete, „warum die Ministerin die Tragweite des Anschlags nicht erkannt hat und lange Zeit untergetaucht ist?“

Die rot-gelbe Opposition im Landtag würde die Ministerin gerne noch vor der Sommerpause zu den Vorgängen befragen, allerdings sträubt sich die schwarz-grüne Regierungskoalition dagegen. Inzwischen taucht zudem der Verdacht auf, dass in der Landesregierung wichtige Chat- oder SMS-Nachrichten gelöscht wurden. Auch hier steht Paul im Fokus, da die Opposition in den Ausschuss-Unterlagen keine Chatverläufe am Tag nach dem Anschlag zwischen der Ministerin und ihrer Hausspitze fand.

SPD: „Verdacht, Beweismittel gelöscht zu haben“

Die SPD-Obfrau im Ausschuss Lisa-Kristin Kapteinat, betont: „Hier steht der schwerwiegende Verdacht im Raum, die Beweismittel gelöscht zu haben.“ Die Fraktionsvizechefin spricht von einer rechtswidrigen Löschung nach dem Archivgesetz NRW. Zudem wäre es möglicherweise sogar strafbar, argumentierte die SPD-Politikerin. Paul hat den Vorwürfen widersprochen. Alle Kommunikationsdaten seien vorgelegt worden.

Am heutigen Dienstag (1. Juli) tagt der Untersuchungsausschuss mit seiner 15. Sitzung letztmals vor der parlamentarischen Sommerpause. Gegenstand der Beweisaufnahme ist zunächst die Befragung eines für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) tätigen Dolmetschers, der für Issa Al Hasan bei dessen übersetzt hat. Anschließend wird erstmals ein Zeuge vernommen, der Angaben zum gescheiterten Abschiebeversuch des mutmaßlichen Attentäters machen kann. Der Mann arbeitet bei der Zentralen Ausländerbehörde in Bielefeld, wohin der Syrer vom Bundesamt verwiesen wurde.