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Interview

NRW-Personalverordnung
Kapitulieren Sie vor dem Fachkräftemangel in Kitas, Ministerin Paul?

Lesezeit 5 Minuten
Eine Erzieherin geht mit zwei Kindern über den Flur einer Kita.

In NRW-Kitas gibt es zu wenig qualifiziertes Personal (Symbolbild).

Schwarz-Grün in NRW will den Kitas mehr Flexibilität beim Personaleinsatz geben. Überfälliger Schritt oder Skandal? Familienministerin Josefine Paul (Grüne) erklärt die Pläne.

Frau Ministerin, mit der geplanten Änderung der Personalordnung werden die Betreuungsstandards abgesenkt. Eine Kapitulation vor dem Fachkräftemangel?

Josefine Paul: Mit der Personalverordnung verfolgen wir das Ziel, gerade in Zeiten akuter Krankheitswellen Kita-Schließungen zu vermeiden. Dabei geht es darum, die Verlässlichkeit zu erhöhen und gleichzeitig mehr Planungssicherheit für die Einrichtungen zu schaffen. Wir haben das gemeinsam mit Kommunalen Spitzenverbänden und Kommunen beraten und beschlossen. Und es bleibt dabei, dass weiterhin pädagogisch ausgebildete Kräfte die Betreuung sicherstellen.

Die Regelungen sind ein Angebot für die Träger und Einrichtungen, zusätzliches und bestehendes Personal bedarfsgerecht einzusetzen. Wir schaffen so mehr Klarheit und Verlässlichkeit in den Kitas.

NRW-Familienministerin Josefine Paul stellt für ihre Verordnung klar: „Es bleibt dabei, dass weiterhin pädagogisch ausgebildete Kräfte die Betreuung sicherstellen.“

NRW-Familienministerin Josefine Paul stellt für ihre Verordnung klar: „Es bleibt dabei, dass weiterhin pädagogisch ausgebildete Kräfte die Betreuung sicherstellen.“

Im September waren in NRW mehr als 3800 Kitas teilweise geschlossen. Welchen Zielwert wollen Sie mit der neuen Verordnung erreichen.

Wir arbeiten daran, mehr Stabilität in das System der frühkindlichen Bildung zu bringen. Die Personalverordnung ist nur ein Teilstück. Wir schaffen hier die Möglichkeit, kurzfristig auf akute Krankheitswellen reagieren zu können.

Das Land unterstützt beispielsweise die praxisintegrierte Ausbildung. Wir haben den Quereinstieg auf den Weg gebracht und arbeiten an einer Novelle des Kinderbildungsgesetzes. Für uns ist klar: Bei Kindern und Jugendlichen wird trotz schwieriger Haushaltslage nicht gespart. Hier investieren wir in 2025 insgesamt 6,5 Milliarden Euro.

Die Notsituation soll für sechs Wochen im Jahr gelten. Was passiert, wenn auch nach sechs Wochen zu wenig Personal zur Verfügung steht?

Das Angebot in unserer Personalverordnung ist für akute Spitzen gedacht, in denen Eltern und Kinder andernfalls vor verschlossenen Türen stehen würden. Wenn wir es schaffen, die Schließzeiten damit zu verringern, haben wir bereits viel erreicht. Das System steht vor Herausforderungen, daher haben wir unterschiedliche Maßnahmen ergriffen und arbeiten an weiteren, um mehr Stabilität und Verlässlichkeit ins System zu bringen.

In Ausnahmefällen soll eine Fachkraft bis zu 60 Kinder betreuen dürfen. Wie kann man da noch auf die Bedürfnisse der Kinder eingehen?

Fest steht weiterhin: Jede Gruppe wird von mindestens zwei pädagogischen Kräften betreut. Neu ist, dass wir den ausgebildeten Kinderpflegerinnen und Kinderpflegern mehr Einsatzmöglichkeiten geben. Als ergänzende Kräfte können sie begrenzt im akuten Notfall künftig für eine Fachkraft, also eine Erzieherin, einspringen.

Für 60 Kinder, das sind ja mehrere Gruppen, ist also niemals nur eine Person, sondern sind mindestens sechs zuständig. Die Verantwortung teilt sich auf mindestens eine Fachkraft und eben beispielsweise fünf sehr gut ausgebildete Kinderpflegerinnen und Kinderpfleger auf. Die Regel gilt dazu nur für Gruppen, in denen keine Kinder unter drei Jahren oder Kinder mit Behinderung betreut werden.

Kitas sind Bildungseinrichtungen. Verkommen Sie jetzt zu Verwahranstalten?

Die vielen Erzieherinnen, Kinderpfleger und auch das nicht-pädagogische Personal machen einen herausragenden Job für die Jüngsten in unserem Land. Klar ist: Wir haben akute Herausforderungen im System. Aber wir gehen diese an. Die Personalverordnung ist ein Schritt, aber wir arbeiten weiter an der Entlastung und Stabilität des Systems. Dazu gehört auch Verlässlichkeit für Kinder und ihre Familien. Dafür schaffen wir nun flexiblere Möglichkeiten zum Einsatz des bestehenden Personals in unseren Kitas.

Mit bunten Buchstaben sind die Worte ·„Erzieher*in gesucht“· geformt, die an einem Zaun einer Kindertagesstätte befestigt.

Am Anfang der Erkältungssaison will Ministerin Paul mit der Verordnung die Möglichkeit schaffen, „kurzfristig auf akute Krankheitswellen reagieren zu können“.

Befürchten Sie nicht, mit der Zulassung von XXL-Gruppen das Personal zu überfordern?

Jede Gruppe wird zu jedem Zeitpunkt von zwei qualifizierten Kräften betreut. Einzig die qualifizierten Ergänzungskräfte, also vor allem Kinderpflegerinnen und Kinderpfleger, können begrenzt im akuten Notfall künftig für eine Fachkraft, also eine Erzieherin, einspringen. Sie arbeiten als bewährtes Personal ohnehin bereits in den Kitas, sie sind Bezugspersonen für die Kinder und das Umfeld. Sie gehören zum Kitaalltag dazu.

„Wir haben die Anerkennung für ausländische Studienabschlüsse entbürokratisiert“

Die Anforderungen an die Sprachkompetenz der Mitarbeitenden werden abgesenkt. Ist das vor dem Hintergrund, dass viele Kinder sprachlichen Förderbedarf haben, vernünftig?

Im Gegenteil, wir schaffen mit der Personalverordnung erstmals für alle Kita-Berufe einheitliche Sprachanforderungen. Wer mindestens auf B1-Niveau ist, kann die Tätigkeit beginnen, muss dann aber nach 24 Monaten das Niveau B2 nachweisen. Hier tragen wir dazu bei, ausländische Fachkräfte für die Arbeit in den Kitas zu gewinnen. Die brauchen wir dringend, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen. Diese Gruppe kann künftig auch schon mit der Arbeit in den Kitas beginnen, wenn ihr berufliches Anerkennungsverfahren noch läuft.

Darüber hinaus haben wir die Anerkennung für ausländische Studienabschlüsse entbürokratisiert und für die Einrichtungen vereinfacht.

Künftig sollen auch gelernte Handwerker und Gärtner in den Kitas eingesetzt werden. Wie sinnvoll ist das?

Viele Einrichtungen setzen unterschiedliche Schwerpunkte in ihrer pädagogischen Arbeit. Daher haben wir sogenannte profilergänzende Kräfte aufgenommen. Sie bringen wertvolle Qualifikationen und Erfahrungen mit und können einen echten Mehrwert bieten. Sie können aber selbstverständlich nur eingesetzt werden, wenn sie eine pädagogische Fortbildung haben.

NRW gibt bis 2026 rund 900 Millionen Euro aus, um die Gehälter der Grundschullehrer anzuheben. Halten Sie die Bezahlung des Kita-Personals – in Relation zur Lehrerbesoldung – für angemessen?

Die Tarifergebnisse in 2023 waren gut für die Beschäftigten und wichtig, auch wenn sie natürlich die Träger vor finanzielle Herausforderungen stellen. Daher steigen die Pauschalen im Rahmen des Kinderbildungsgesetzes im laufenden Kitajahr um zehn Prozent. Darüber hinaus haben wir für die freien Träger 100 Millionen Euro bereitgestellt, um die Tariferhöhung der Sozialpartner abzufedern. Das Kita-Personal leistet auch unter schwierigen Bedingungen im System herausragende Arbeit, die jede Wertschätzung verdient.