Räumung in LützerathAktivist klagt: „Ihr habt mein Leben gefährdet“

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Polizisten sprechen von einer Hebebühne aus mit einem Aktivisten der am dritten Tag der Räumung im von Klimaaktivisten besetzten Braunkohleort Lützerath auf einem Baumhaus steht. Der Energiekonzern RWE will die unter Lützerath liegende Kohle abbaggern - dafür soll der Weiler auf dem Gebiet der Stadt Erkelenz am Braunkohletagebau Garzweiler II abgerissen werden.

Ein noch besetztes Baumhaus droht einzustürzen.

An Tag drei der Räumung droht die Stimmung in Lützerath zu kippen, als ein noch besetztes Baumhaus fast einstürzt. Die Ankunft von Greta Thunberg macht den Aktivisten neuen Mut.

Es sind widersprüchliche Bilder und Eindrücke, die den dritten Tag der Räumung im Braunkohledorf Lützerath dominieren. Obwohl die Räumung größtenteils ruhig und friedlich verläuft, kippt am späten Nachmittag die Stimmung zeitweise. Ein Baumhaus stürzt fast ein, auf dem noch ein Aktivist sitzt. Er kann gerettet werden. Am Nachmittag kommt zudem überraschend die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg ins Dorf. Sie wurde eigentlich erst am Samstag erwartet.

Die Erde bebt von den schweren Geräten, die überall um den Kern des Dorfes herum bereits Bäume und leere Baumhäuser abreißen. Zwar regnet es nicht mehr so sehr wie in den vergangenen Tagen, sogar die Sonne zeigt sich hin und wieder, doch der Wind weht nach wie vor stark. Das ist für die Aktivistinnen und Aktivisten hier jedoch kein Grund, das Handtuch zu werfen. Nach wie vor weigern sich viele, den Weiler zu räumen. Sie sitzen noch teilweise in Baumhäusern und auf dem Dach des letzten besetzten Hauses. Dessen Räumung durch die Polizei beginnt am späten Vormittag. Mit einer Hacke verschaffen sich die Beamten Zutritt zu einem verbarrikadierten Fenster, während an der anderen Seite des Hauses Sägen ertönen. Mit ihr wollen die Beamten die Türen öffnen.

Menschen hängen an Seilen zwischen den Bäumen

Daneben liegt das Lützerath Wäldchen, auch hier halten sich noch einige Aktivistinnen und Aktivisten auf. Sie sitzen in Baumhäusern oder hängen an Seilen zwischen zwei Bäumen. Ihre Stimmen sind rau. Sie schreien seit Tagen gegen die Polizisten an. „Es geht ja gar nicht nur um diesen Ort“, schreit eine Aktivistin nach unten. „Es muss aufhören, dass Entscheidungen für Profit getroffen werden. Sie müssen für die Menschen getroffen werden.“

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Am Donnerstag bestätigte Polizeipräsident Dirk Weinspach, dass Tunnelkonstruktionen im Ort gefunden wurden und sich dort Personen aufhielten. „Ein Schacht führt vier Meter in die Tiefe“, sagt Weinspach am Freitag, nachdem er sich selbst ein Bild von den Tunneln gemacht hat. „Danach geht der Schacht in die Waagerechte.“ Zwei Personen seien in den Tunneln angetroffen worden. Sauerstoff würde zu ihnen nach unten gepumpt. „Feuerwehr und THW prüfen, wie die Personen sicher geborgen werden können.“ Wann die Rettung stattfinde, konnte Weinspach am Freitag noch nicht sagen.

Baumhäuser wackeln im Wind

Auf einer Wiese direkt neben dem sogenannten Lützi-Wäldchen befinden sich weitere Häuser der Aktivisten. Sie wirken verwaist, doch der Eindruck täuscht. „Gestern wurde angeboten, dass wir freiwillig gehen können“, sagt eine Aktivistin, die nicht mit Namen genannt werden will. „Einige haben das auch gemacht. Aber circa 15 Leute sind bestimmt noch hier.“ Sie sei seit November in Lützerath, seit drei Tagen besetze sie das Stelzenhaus. Es wackelt im Wind. „Meine Mitbewohner sind alle gegangen, ich bin jetzt alleine hier.“ Sie werde sich nicht anketten, sagt sie. Wenn sie geräumt werde, werde sie sich wegtragen lassen, sie sei gegen Gewalt. „Allerdings habe ich schon das Gefühl, dass die Polizei unnötig aggressiv vorgeht. Gestern, als es Gerangel gab, habe ich auch einige Schläge abbekommen.“

Die Aktivisten sind erzürnt, als am Nachmittag ein Baumhaus beinahe umkippt, auf dem noch ein Aktivist sitzt. Die Polizei soll unvorsichig ein Seil durchgeschnitten haben, dass das Haus sicherte. Bestätigt werden kann das nicht. Die Polizisten beeilen sich, den Aktivisten mit einem Kran vom Dach des Baumhauses herunterzuholen. Der Mann will sich jedoch nicht von den Rettern anfassen lassen, er hat sichtlich Angst und schreit. „Ihr habt mein Leben gefährdet“. Schließlich hieven die Retter den Besetzer auf den Kran und können ihn sicher nach unten bringen.

Beobachterin der Linken kritisiert die Polizei

Aus den umliegenden Bäumen erschallen wütende Stimmen. Auch einige parlamentarische Beobachtende vor Ort sind mit der Situation nicht zufrieden. So wie Katharina Grudin von den Linken. „Ich habe meinem Polizeikontakt Bescheid gegeben, dass die bitte überprüfen, ob die hier wirklich so vorgehen müssen“, sagt sie. „Ich halte es nicht für angemessen, dass die Polizisten die Baumhäuser schon abreißen, obwohl noch so viele Leute drum herum in den Bäumen hängen. Zumal so etwas die Stimmung massiv anheizt.“

So sieht das auch eine Sprecherin der Aktivisten, die nur bei ihrem Vornamen Annika genannt werden will. „Die Polizei schneidet hier Seile ab, obwohl noch Leute in den Bäumen sitzen. Die arbeiten unsicher und gucken nicht richtig. Das geht nicht.“

Für neuen Mut bei den Aktivisten sorgt die überraschende Ankunft der schwedischen Klimaaktivistin Greta Thunberg. Zusammen mit Luisa Neubauer und weiteren Aktivistinnen und Aktivisten kommt Thunberg direkt an den Rand des kleinen Waldes, in dem die Besetzer ausharren. „Lützi beibt“, ruft sie gemeinsam mit den anderen auf Deutsch. Und „Ihr seid nicht allein“. Sie ruft dazu auf, sich am Samstag an der großen Demonstration zu beteiligen.

Die Räumung von Lützerath wird fortgesetzt. Inzwischen ist auch das letzte besetzte Haus geräumt. In einigen Baumhäusern warten noch Aktivisten und hoffen, dass das Dorf noch in letzter Sekunde zu retten ist.

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