Landtags-SPD fordert „Entkriminalisierung von Armut und Entlastung der Justiz“. Ein Hafttag für Schwarzfahrer kostet den Steuerzahler in NRW 202,73 Euro pro Tag.
„Sozialpolitischer Unsinn“6254 Schwarzfahrer in NRW verurteilt – SPD kritisiert Vorgehen

Ein Fahrkartenkontrolleur überprüft den Fahrschein eines Reisenden.
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Im vergangenen Jahr sind 6254 Menschen in Nordrhein-Westfalen nach einer Strafanzeige wegen Schwarzfahrens verurteilt worden. Die Zahl der Verurteilungen ist in den vergangenen fünf Jahren mit dem Höchstwert von 10.868 Verurteilungen in 2020 zwar stetig gesunken. Von Oktober 2024 bis zum Oktober 2025 indes wurde 693 der Angeklagten eine Haftstrafe verhängt.
Dies geht aus einer Antwort der Landesregierung auf eine Kleine Anfrage der Landtags-SPD hervor. Die Kosten für einen Hafttag in NRW betrugen 2024 demnach durchschnittlich 202,73 Euro. Wie viele Frauen und Männer in den vergangenen fünf Jahren ins Gefängnis mussten, weil sie die verhängte Geldstrafe nicht bezahlen konnten, konnte das NRW-Justizministerium nicht sagen. Die Anzahl werde „statistisch nicht gesondert erfasst“, heißt es im Landtagspapier.
SPD-Opposition: „Dieser sozialpolitische Unsinn muss endlich gestoppt werden“
„Die Antwort der Landesregierung zeigt erneut, wie wenig Schwarz-Grün bereit ist, sich mit den realen sozialen Folgen der Ersatzfreiheitsstrafen auseinanderzusetzen“, kritisiert die Landtagsabgeordnete Sonja Bongers, rechtspolitische Sprecherin der SPD-Fraktion: „Trotz tausender Verurteilungen erfasst das Justizministerium noch immer nicht, wie viele Menschen deshalb tatsächlich im Gefängnis landen.“ Wer nicht wisse, wie groß das Problem ist, müsse es auch nicht lösen.
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„Diesen Eindruck vermittelt die Landesregierung leider sehr deutlich“, so Bongers. Klar sei, dass Ersatzfreiheitsstrafen fast ausschließlich arme oder sozial belastete Menschen treffen. „So wird Armut kriminalisiert und das kostet das Land dann jährlich auch noch Millionen und belastet die Justizvollzugsanstalten“, ergänzte die Sozialdemokratin. Die Justiz müsse von „diesem sozialpolitischen Unsinn endlich entlastet werden“.
Köln und Düsseldorf verzichten bereits auf Strafanzeigen
Die Debatte um das „Erschleichen von Leistungen“ gemäß Paragraph 265a Strafgesetzbuch, der vor etwa 90 Jahren im „Reichsgesetzblatt“ vom 5. Juli 1935 eingeführt wurde, ist in der Vergangenheit immer wieder entfacht worden. Meist begleitet von der Forderung, Schwarzfahren zur Ordnungswidrigkeit herabzustufen. Wer bisher ohne gültigen Fahrschein in Bus und Bahn unterwegs ist, begeht eine Straftat - und riskiert dafür eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr.
Meist begnügen sich die Verkehrsunternehmen mit einem „erhöhten Beförderungsentgelt“ in Höhe von 60 Euro. Wer wiederholt ohne Ticket erwischt wird, muss aber mit einer Anzeige rechnen.
Wann es beim Schwarzfahren zu einer Strafanzeige kommt, ist von Kommune zu Kommune unterschiedlich. Zahlreiche Städte verzichten mittlerweile sogar schon darauf, die Delinquenten anzuzeigen – oft auch aus Kostengründen und um die eigenen Verwaltungen zu entlasten. Bremerhaven, Karlsruhe, Dresden oder Mainz etwa, in NRW beispielsweise die städtischen Verkehrsbetriebe in Münster oder Düsseldorf. In Köln, wo das Schwarzfahren seit Dezember 2023 entkriminalisiert ist, wurden zuvor Personen angezeigt, die dreimal innerhalb eines Jahres oder vier Mal innerhalb von zwei Jahren erwischt wurden.
Verband schätzt Einnahmeausfälle auf bis zu einer Milliarde Euro
Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) beziffert die bundesweiten Einnahmeausfälle durch Schwatzfahrer auf bis zu einer Milliarde Euro jährlich. Tendenz steigend. VDV und Deutscher Städtetag fordern unisono: Schwarzfahren soll Straftatbestand bleiben.
Alles andere sei ein Irrweg, sagt Oliver Wolff, Hauptgeschäftsführer des VDV. Man dürfe zum einen nicht die Mehrheit derer vergessen, die für ihre Fahrten korrekt zahlten. Zum anderen schlügen die Einnahmeausfälle negativ bei Investitionen in Personal, Fahrzeuge und Infrastruktur ins Kontor. Wolff fordert eine sozialstaatliche ÖPNV-Ticket-Lösung für Menschen, denen die Fahrscheine aus Einkommensgründen zu teuer seien.
Auch Linke und Grüne wollen, das Schwarzfahren keine Straftat mehr ist
In der Vergangenheit sind mehrere Versuche im Bundestag und Bundesrat gescheitert, das etwa 90 Jahre zu reformieren. 2019 kam eine Bund-Länder-Gruppe zu dem Ergebnis, die Ersatzfreiheitsstrafe beizubehalten. Auch die Ampel wollte sich dafür einsetzen, dass die „Beförderungserschleichung“ aus dem Strafgesetzbuch gestrichen und zu einer Ordnungswidrigkeit herabgestuft wird. Doch für einen Gesetzesentwurf reichte es nicht, mehr als ein Eckpunktepapier legte der ehemalige Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) bis zum Scheitern der Regierungskoalition im November 2024 nicht vor.
Im aktuellen Bundestag fordern Linke und Grüne eine Abschaffung von Paragraf 265a. In November wurde in erster Lesung über den Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke „zur Änderung des Strafgesetzbuchs – Straffreiheit für Fahren ohne Fahrschein“ beraten. Außerdem wurde ein Gesetzentwurf der Grünen „zur Änderung des Strafgesetzbuches – Fahren ohne Fahrschein entkriminalisieren“ debattiert.
