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Streit in der NRW-AfDPartei der Ausschlussverfahren

7 min
Matthias Helferich (links), der Kopf des rechtsradikalen Lagers in der AfD NRW, wurde im Juli aus der Partei ausgeschlossen. Treiber des Verfahrens: Landeschef Martin Vincentz (rechts).

Matthias Helferich (links), der Kopf des rechtsradikalen Lagers in der AfD NRW, wurde im Juli aus der Partei ausgeschlossen. Treiber des Verfahrens: Landeschef Martin Vincentz (rechts).

Die AfD in Nordrhein-Westfalen ist tief zerstritten. In ihrem Machtkampf nutzen die verfeindeten Lager jedes Mittel.

Spätestens seit dem 20. Juli muss dicke Luft auf dem Flur der AfD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag herrschen. Kurz bevor er sich in den Urlaub verabschiedete, hatte Fraktionsvize Sven Tritschler einen Brief an seine Fraktion verschickt. Darin erhob der Kölner Abgeordnete schwere Vorwürfe gegen Kris Schnappertz, den Pressesprecher von Partei und Fraktion in NRW.

Im Zentrum steht dabei einer von Tritschlers Mitarbeitern im Landtag. Der junge Mann hatte für die Ukraine gekämpft und diesen Einsatz öffentlich gemacht. Im Juli beantragte der Landesvorstand seinen Parteiausschluss. 

Tritschlers Brief zufolge sind die Hintergründe jedoch komplexer: Schnappertz soll gemeinsam mit weiteren Parteimitgliedern dem Mitarbeiter einen lukrativen neuen Job angeboten und einen Kompromiss beim Ausschlussverfahrens in Aussicht gestellt haben – als Gegenleistung für belastendes Material über Tritschler. Schnappertz weist die Vorwürfe auf Anfrage zurück.

„Ich habe aus mehreren Gesprächen den Eindruck, dass man mir verübelt, dass ich mich nicht dem ‚Dschihad‘ gegen Teile der Partei anschließe, der unseren Landesverband seit Monaten lähmt und zerstört“, schreibt Tritschler. „Offenbar reicht es, als Feind markiert zu werden, wenn man nicht vorbehaltlos der Linie ‚von oben‘ folgt.“ Er fordert die Fraktion auf, Schnappertz als Pressesprecher das Vertrauen zu entziehen. Die Grundlage für eine weitere Zusammenarbeit sei zerstört. 

Der Landesverband der AfD gilt schon lange als tief in zwei Lager gespalten. Dass Konflikte wie im Falle von Tritschlers Mitarbeiter mit einem Parteiausschlussverfahren enden, ist längst keine Seltenheit mehr. In der nordrhein-westfälischen AfD gerät das parteiinterne Schiedsgericht somit zur Arena eines Machtkampfes.

Zahl der Ausschlussverfahren bei der AfD auf ungefähr 30 geschätzt

Der „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat bei den im Landtag vertretenen Parteien nachgefragt, wie viele Ausschlussverfahren seit 2023 vor ihren jeweiligen Parteigerichten in NRW gelandet sind. Bei der SPD (circa 86.000 Mitglieder in NRW) sind es jährlich „weniger als zehn Parteiausschlussverfahren“, die Grünen (39.000 Mitglieder) sprechen pro Jahr von einer Zahl im niedrigen einstelligen Bereich. Die FDP (17.000 Mitglieder) leitet jedes Jahr circa zehn Ausschlussverfahren ein, ein Großteil wegen unbezahlter Mitgliedsbeiträge. Die CDU führte bei landesweit knapp 110.000 Mitgliedern kein einziges Ausschlussverfahren in dem Zeitraum durch.

Die AfD beantwortete die Presseanfrage zunächst nicht. Die Partei musste offenbar erst einmal die Zuständigkeiten klären: Zum Zeitpunkt der Anfrage hatte der Düsseldorfer Kreisvorstand gerade beantragt, Pressesprecher Schnappertz aus der Partei auszuschließen. Einen Tag nach der Anfrage gab die Partei seine Freistellung vom Job des Sprechers bekannt. Mit etwas Verzögerung teilte die Landesgeschäftsstelle schließlich mit, sie gebe keine Auskunft zur Zahl der Ausschlussverfahren.

Auf Nachfrage schätzen einzelne Politiker die Zahl bei der AfD jedoch deutlich höher als bei anderen Parteien. Im vorigen Jahr, sagt einer, seien es seines Wissens „ungefähr 30“ gewesen. Damit wäre die AfD, die erst im Mai dieses Jahres die 10.000-Mitglieder-Marke knackte, einsamer Spitzenreiter.

Der Ausschluss ist das schärfste Schwert, das eine Partei gegen ihre Mitglieder führen kann. Die Hürden für ein solches Verfahren sind hoch. Nur, wenn Mitglieder gegen die Satzung oder Grundsätze der Partei verstoßen und der Partei schweren Schaden zugefügt haben, dürfen sie herausgeworfen werden.

Prominente Verfahren sind oft Indiz eines Ringens um die inhaltliche Ausrichtung oder die Identität einer Partei: Die SPD versuchte erfolglos, ihren Ex-Vorsitzenden und Altkanzler Gerhard Schröder wegen seiner Russlandnähe loszuwerden. Die CDU scheiterte mit dem Versuch, Werteunion-Chef Hans-Georg Maaßen auszuschließen. Und der Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke überstand nicht nur sein Parteiausschlussverfahren, sein völkisches Lager verzeichnete auch Gewinne im Identitätskampf der AfD: Parteichefin Alice Weidel, einst Befürworterin des Ausschlussverfahrens, beschreibt Höcke inzwischen als geeignet für ein Ministeramt.

Lagerkämpfe als Dauerzustand

In Nordrhein-Westfalen zeigt sich der Lagerkampf besonders offen, der auch die Bundespartei in Berlin spaltet. Landeschef Martin Vincentz zielt nach außen auf eine Mäßigung der Partei ab, auf einen Fall der Brandmauer und auf eine AfD, die von der CDU als potenzieller Koalitionspartner wahrgenommen werden kann. Immer wieder betont er, dass sein Landesverband nicht vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Ihm scheint viel daran zu liegen, dass das so bleibt. Die Unterstützung für diesen Kurs scheint jedoch zu schwinden. Und Vincentz paktiert nun selbst mit einem Parteifreund, bei dessen Aussagen der Verfassungsschutz fleißig mitschrieb: Ex-Europaspitzenkandidat Maximilian Krah.

Im völkischen Rechtsaußen-Lager haben Verfassungsschutz-Einstufungen offenbar jeden Schrecken verloren. Die Radikalisierung scheint das Ziel - und die Eroberung des Kanzleramts ohne Koalitionspartner.

„In der AfD deuten viele Ausschlussverfahren darauf hin, dass die Lagerkämpfe mittlerweile zum Dauerzustand geworden sind“, sagt Markus Ogorek, Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre der Uni Köln. „Sie zeigen, dass immer noch keine Ruhe in die Partei gekommen ist. Diese versucht man möglicherweise nun durch Ausschlüsse herzustellen.“

Mit Ausschlüssen könne die AfD zudem gegenüber dem Verfassungsschutz den Eindruck erwecken, dass sie sich von Extremisten in den eigenen Reihen distanziere. „Es ist durchaus auffällig, dass trotz relativ vieler Ausschlussanträge letztlich nur wenige Betroffene die Partei verlassen müssen.“ Zwar seien die Hürden für Parteiausschlüsse in Deutschland allgemein hoch, erklärt der Juraprofessor – im Fall der AfD scheine es aber so, als verfolgten die jeweiligen Vorstände ihre eigenen Anträge vor den Parteigerichten nicht immer konsequent.

Rache des rechtsextremen Lagers

Das wohl berühmteste Parteiausschlussverfahren der AfD in NRW endete Anfang Juli mit dem erstinstanzlichen Rauswurf von Matthias Helferich und knallenden Sektkorken im Lager um Landeschef Vincentz. An Helferich entzündete sich der Streit in der AfD ähnlich heftig wie an Höcke. Kaum ein Name fiel schneller, wenn man ehemalige AfD-Funktionäre aus dem gemäßigteren Spektrum nach Gründen für ihren Parteiaustritt fragte.

Bereits 2021 sperrte die AfD den Dortmunder Bundestagsabgeordneten zwei Jahre für alle Parteiämter, weil er sich in geleakten Chats unter anderem „das freundliche Gesicht des NS“ genannt hatte. Helferich stieg trotzdem zum Kopf des rechtsextremen Lagers in NRW und zu Vincentz' prominentestem Gegenspieler auf. Weil Helferich unter anderem Migranten in einem Social-Media-Post mit „Viechern“ gleichgesetzt haben soll, erstritt das gegnerische Lager erfolgreich seinen Rauswurf – vor einer Kammer im Parteischiedsgericht, die, so Helferichs Darstellung, vorher mit Vincentz-Leuten besetzt worden sei.

Ein Foto, das Matthias Helferich bei auf der Plattform X wenige Tage nach seinem Ausschluss postete, zeigt ein Stofftier, auf dem ein Foto von Martin Vincentz klebt.

Machtkampf in der AfD: Ein Foto, das Matthias Helferich bei auf der Plattform X wenige Tage nach seinem Ausschluss postete, zeigt ein Stofftier, auf dem ein Foto von Martin Vincentz prangt.

Als der Landesvorstand im Mai 2024 Helferichs Parteiausschluss initiierte, stimmte ein Mitglied dafür, das vorher gute Verbindungen in beide Lager gehabt haben soll: der Dürener Landtagsabgeordnete Klaus Esser. Die Rache folgte prompt. In den folgenden Wochen soll sich das rechtsradikale Lager nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ Essers Lebenslauf genauer angeschaut haben – und wurde fündig.

Klaus Esser, Landtagsabgeordneter der AfD aus Düren

Klaus Esser, Landtagsabgeordneter der AfD aus Düren

Esser soll falsche Angaben zu seinem Studienabschluss gemacht und Urkunden gefälscht haben. Die „Rheinische Post“ fand das heraus und brachte es ans Licht.* Dazu wurde Esser parteiintern beschuldigt, bei der Aufnahme von Mitgliedern manipuliert zu haben. Esser bestreitet die Vorwürfe, soll einen Teil davon jedoch intern zugegeben haben. Seine Parteiämter legte er nieder, der Landesvorstand leitete im September 2024 ein Parteiausschlussverfahren gegen ihn ein, über das noch nicht entschieden wurde.

Neuer Kreisvorstand in Mettmann holte Antisemitin zurück

Mehrere Ausschlussverfahren trafen zudem Mitglieder der formal aufgelösten Jungen Alternative (JA). Die Jugendorganisation, von manchen „die Scheitelarmee“ genannt, trat auch in NRW deutlich radikaler auf als ihre Mutterpartei. Bei der Parteijugend sammelte Helferich seine treuesten Anhänger. Den stellvertretenden Bundessprecher Nils Hartwig warf das NRW-Schiedsgericht im letzten Jahr raus, ebenso einen Beisitzer des JA-Landesvorstandes, der die Abschiebung deutscher Staatsbürgern gefordert haben soll.

Ein Beispiel aus dem Kreis Mettmann zeigt allerdings auch, wie schnell ausgeschlossene Mitglieder den Weg zurück in die Partei finden. Der dortige Kreissprecher erreichte 2024 den Rauswurf einer AfD-Ratsfrau, die auf der Plattform Telegram antisemitische Verschwörungstheorien geteilt hatte. Das Schiedsgericht sprach in seinem Urteil von „absurden antisemitischen und rassistischen Diffamierungen“ und „reiner Hetze gegen Juden und das Judentum“, später verurteilte das Amtsgericht Mettmann sie zusätzlich wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe.

Die Ratsfrau wollte wegen eigentlich vor das Bundesschiedsgericht der AfD ziehen. Doch knapp ein Jahr nach ihrem Rauswurf nahm die AfD Mettmann den Ausschluss zurück. Die Vorwürfe gegen die Frau hatten sich nicht geändert, wohl aber der Kreisvorstand: Der Sprecher und seine Unterstützer waren in der Zwischenzeit entmachtet worden.

Vorwürfe gegen Pressesprecher könnten auch Vincentz schaden

Lange schien es, als könnte das Lager um Landeschef Martin Vincentz entscheidende Gewinne erzielen. Matthias Helferich ist nun parteilos, ob das auch so bleibt, entscheidet das Bundesschiedsgericht. Auch die Neugründung der AfD-Jugendorganisation spielte dem Vincentz-Lager in die Hände. JA-Mitglieder mussten nicht Parteimitglieder sein, inzwischen ist dies Grundvoraussetzung. Wer aus der AfD fliegt, kann also künftig auch keine Posten mehr in der Jugendorganisation bekleiden.

Mit den Vorwürfen gegen Pressesprecher Kris Schnappertz gerät nun aber auch einer von Vincentz' engsten Vertrauten in die Schusslinie – und dadurch der Landeschef selbst. Das gegnerische Lager triumphiert, Vincentz äußerte sich bisher nicht öffentlich. Sieben Wochen vor der Kommunalwahl ist die AfD Nordrhein-Westfalen von einem geschlossenen Auftreten denkbar weit entfernt.


* Der Hinweis auf die Recherchen der „Rheinischen Post“ wurde in dieser Version des Textes angepasst.