Linksextremisten schickten Bekennerscheiben. Doch es wird auch geprüft, ob Russland seine Finger im Spiel hat.
Tatort NRW-Gleise14 Sabotage-Anschläge in fünf Monaten

Ein Bahn-Mitarbeiter repariert ein dickes Kabel an der Stelle, wo im August ein Brandanschlag stattgefunden hat. An der wichtigen Nord-Süd-Strecke der Deutschen Bahn in Düsseldorf ist wenige Tage später noch ein zweiter Brandsatz gezündet worden.
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Die Ursache war banal, die Folgen indes waren gravierend. Am Sonntagabend, auf der Strecke zwischen Viersen und Krefeld, beschädigte ein Feuer die Leitungen in einem Kabelkanal der Deutschen Bahn . Zahlreiche Regionallinien und der Güterverkehr wurden umgeleitet oder fielen aus. Zwischen Viersen und Krefeld mussten Reisende auf Ersatzbusse umsteigen. Der Kabelbrand sei am Sonntagabend nicht weit vom Bahnhof Viersen entdeckt worden, teilte eine Polizeisprecherin mit. Man gehe von einer vorsätzlichen Brandstiftung aus, es gebe aber noch keine Hinweise auf die Täter.
Anschläge auf Kabel an Gleisen der Deutschen Bahn hat es in Nordrhein-Westfalen in den vergangenen Monaten mehrfach gegeben. Im September beispielsweise wurden auf der Nord-Süd-Zugstrecke zwischen Köln und Düsseldorf wichtige Signalanlagen zerstört. Unbekannte hatten nachts einen unterirdischen Schacht geöffnet und alle Kabel mit einem Trennschleifer gekappt. Und dies gleich an zwei Streckenabschnitten. Dadurch wurde ein Stellwerk in Leverkusen vom Netz genommen und die für Pendler wichtige Hauptstrecke der Bahn entlang des Rheins angegriffen.
Mehrere Brandsätze in der Nähe von Düsseldorf gezündet
Einen Monat zuvor hatte ein Feuer die Strecke zwischen Duisburg und Düsseldorf, mit täglich 700 bis 800 Verbindungen im Fernverkehr bundesweit eine der wichtigsten Trassen, zwei Tage lang lahmgelegt. Auch diesmal wurden Brandsätze an zwei verschiedenen Standorten gefunden. Auf der Plattform Indymedia wurde ein Bekennerschreiben veröffentlicht, in dem das linksradikale „Kommando Angry Birds“ die Taten für sich reklamierte. Die Gruppe hatte sich bereits in den Jahren zuvor zu mehreren Zerstörungen von Bahnsignalanlagen im Großraum Düsseldorf bekannt. Zudem sollen Angriffe auf Telekommunikationsmasten in dem Ort Langenfeld/Erkrath und ein Tunnelbrand an der A46 auf das Konto der Extremisten gehen.
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Die abgebrannte Zündvorrichtung und dazugehörige dünne Kabel liegen in der Nähe von Düsseldorf auf einem Kabelpaket der Deutschen Bahn in einem Kabeltunnel.
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Im Schreiben vom August dieses Jahres ließen sie wissen, die Bahnstrecke bei Duisburg sei gezielt angegriffen worden, um im „Rhein-Alpen-Korridor“ die Verbindung wichtiger wirtschaftlicher Regionen Europas vorübergehend zu kappen. Damit wolle man gegen die Umweltzerstörungen des „industriellen Systems“ protestieren. Anders als die „Mainstream-Umweltbewegung“ versuche „Angry Bird“ nicht, „die Mächtigen“ zu umwerben und mit Argumenten zu überzeugen, sondern setze auf Konfrontation.
Linksextremisten wollen Brandsätze platziert haben
„Die Zeit, an einer Versöhnung der Seiten zu arbeiten, ist vorbei“, hieß es im Bekennerschreiben. Der Brand sei mit einem „Eisblocktimer“ aus dem Handbuch „Kabel Anzünden für Beginner“ ausgelöst worden. Tatsächlich soll an der Strecke eine Zündvorrichtung in einem Kabeltunnel platziert worden sein, die den Brand auslöste. Dies ist, wie auch in anderen Fällen, zwar ein deutlicher Hinweis darauf, dass es sich um sorgfältig geplante Taten, und nicht um Zufalls-Vandalismus handelt. Dennoch müsse bedacht werden, dass es bei solchen Vergehen häufig Trittbrettfahrer gebe, sagte ein Polizeisprecher. Mit den Ermittlungen seien der Staats- und Verfassungsschutz befasst.
Nach Informationen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ hat es in den vergangenen fünf Monaten, den Viersener Kabelbrand mit eingerechnet, 14 Sabotageakte auf die Infrastruktur der Bahn in NRW gegeben. Zwölf der Anschläge, der erste wurde am 17. Juli an einem Steuerhaus der Bahn in Essen verübt, sind in einer Zusammenstellung des nordrhein-westfälischen Innenministeriums aufgelistet, die dieser Zeitung vorliegt. Taten, die ein gewisses Insiderwissen oder zumindest eine intensive vorherige Recherche voraussetzen. Kenntnisse darüber, wie wichtig die einzelnen Kabel für den Bahnverkehr sind, und wo genau sie verlaufen.
Bundesweites Bahnchaos
Ein weiterer Fall, bei dem wohl Berlin und nicht NRW die Ermittlungsführerschaft übernommen hat, ereignete sich am 8. Oktober in Herne. Die Beschädigung eines kleinen Leitungsschachtes löste ein bundesweites Bahnchaos aus. Neben dem Karower Kreuz in Berlin hatten Unbekannte die Lichtwellenleiterkabel im Westfälischen durchtrennt und somit die Kommunikation im nördlichen Schienennetz gekappt. Dadurch fiel auch das gesamte Backup-System aus. Nichts ging mehr. Insbesondere Fernzüge mussten in den Bahnhöfen bleiben, da der Zugfunk in die Fahrstände nicht mehr gewährleistet war.
Was die Deutsche Bahn zu dem Thema beizutragen hat, klingt wie Pfeifen im Wald. Sicherheit und der Schutz „der sensiblen Infrastrukturanlagen wie Gleise, Bahnhöfe, Weichen, Signale, Telekommunikationsanlagen, Brücken, Tunnel oder Umschlag-, Rangier- und Abstellanlagen“ sei zwar „das oberste Gebot“, sagte ein Bahn-Sprecher: „Doch angesichts eines Streckennetzes von rund 34.000 Kilometern, in NRW sind es 4700 Kilometer, ist eine lückenlose Überwachung nicht umsetzbar.“
Die Bahn: „Lückenlose Überwachung ist nicht umsetzbar“
Aber immerhin: Zusätzlich zu den derzeitigen 4500 DB-Sicherheitskräften, die „Hand in Hand“ mit 6000 Beamten der Bundespolizei arbeiten würden, werde die Bahn bis Ende 2025 noch 280 weitere Mitarbeiter einstellen, die Strecken, Anlagen und Bauten kontrollieren, so der Sprecher. Eine Ankündigung, die die Empörung des nordrhein-westfälischen Verkehrsministers Oliver Krischer nicht mindern kann.

Polizeibeamte der Spurensicherung stehen an einem Gleisabschnitt an einem Kabeltunnel der NRW-Bahn, der abgebrannt ist. Sechs Kabel mussten anschließend auf einer Länge von 60 Metern ausgetauscht werden.
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„Wer unsere Bahn-Infrastruktur attackiert, trifft damit nicht nur Kabel oder Technik, sondern das tägliche Leben von Zehntausenden Menschen“, beklagt der Grünen-Politiker: „Solche Taten legen den Verkehr lahm und verursachen enorme Kosten, die letztlich die ganze Gesellschaft trägt.“ Wenn es das Ziel der Täter sei, gesellschaftliche Unruhe zu stiften, werde dies aber nicht gelingen. „Ich danke unseren Sicherheitsbehörden ausdrücklich dafür, dass sie so entschlossen vorgehen“, so Krischer.
Sabotage im Auftrag des russischen Geheimdienstes
Das Lob in allen Ehren, noch aber blieb die Fahndung erfolglos. Experten warnen davor, die Ermittlungen ausschließlich auf die linksextreme Szene zu beschränken. In der Vergangenheit hätten auch von Russland gesteuerte Saboteure Anschläge in Deutschland verübt und den Verdacht anschließend gezielt auf Linksextremisten gelenkt.
Der Bundesverfassungsschutz jedenfalls beobachtet schon länger eine „steigende Tendenz von Aktivitäten aus Russland“. Bei der Vorstellung des jüngsten Verfassungsschutzberichts im Juni sprach Behördenchef Sinan Selen von „Low-Level-Agents“, die vor allem für Sabotage und „im Bereich der Ausspähung“ genutzt würden. Dies sind Personen, die auch völlig unpolitisch sein können, aber etwa in Geldnot sind, und dann von ausländischen Geheimdiensten angestiftet werden, gegen Bezahlung Straftaten zu begehen.
NRW-Innenminister: „Eine klare Tätergruppe ist nicht zu erkennen“
Auch in diesem Zusammenhang sprach Innenminister Alexander Dobrindt Ende Oktober sogar von einer „dramatisch veränderten Bedrohungslage". Der CSU-Politiker konkretisierte: „Aktuell müssen sich auch drei dieser so genannten Low-Level-Agenten vor dem Oberlandesgericht München verantworten. Sie werden beschuldigt, für Russland Sabotage-Aktionen in Deutschland geplant zu haben."
Die drei Angeklagten sollen bis April 2024 in Deutschland unter anderem Brand- und Sprengstoffanschlage sowie Sabotageaktionen gegen militärische Infrastruktur und Bahnstrecken geplant haben. „Vorfälle wie in Viersen jedenfalls zeigen, dass manche Leute glauben, sie könnten an unserer Bahninfrastruktur herumspielen wie an einer Modelleisenbahn“, betonte der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) auf Anfrage. Ja, es gebe mehr solche Taten. „Aber ein Muster oder eine klare Tätergruppe“ sei bislang nicht zu erkennen.
„Das kann zum Beispiel stumpfer Vandalismus sein oder auch linksmotivierte Sabotage - das müssen im Einzelfall die Ermittlungen klären“, so Reul. Fest stehe, dass man „jedes Szenario im Blick behalten“ müsse. „Egal wer an unserer kritischen Infrastruktur zündelt, ärgert nicht nur die Bahnpendler, sondern gefährdet sie auch massiv“, sagte der Minister.

