Wende im Fall LügdePolizist könnte Kinderporno-CDs eingesteckt haben

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Herbert Reul im Untersuchungsausschuss Lügde

Herbert Reul am Freitag im Parlamentarischen Untersuchungsausschuss Lügde

Überraschende Wende im Fall um verschwundene CDs mit kinderpornografischem Material im Missbrauchskomplex Lügde.

Innenminister Herbert Reul (CDU) ist bekannt für hemdsärmelige Auftritte, flapsige Sprüche und charmanten Sarkasmus. Im Untersuchungsausschuss zum Missbrauchskomplex Lügde trat am Freitag ein anderer Herbert Reul im Landtag auf. Zu erschütternd das Thema. Und auch, wenn der Haupttäter vor fast fünf Jahren verhaftet wurde, gibt es immer noch neue Spuren. Aktuell zu Beweis-CDs, die bei der Polizei Lippe verschwunden sind.

Die CDs – mutmaßlich mit kinderpornografischem Material - waren zum Symbol des offensichtlichen Versagens der Ermittler in der Kreispolizeibehörde Lippe geworden. Der Alu-Koffer mit rund 155 Datenträgern war zuletzt kurz vor Weihnachten 2018 gesehen worden. Dass der Koffer verschwunden war, fiel erst drei Wochen später auf. Gemeldet wurde der Verlust erst noch mal einen Monat später. Die Datenträger  tauchten bis heute nicht auf. „Alle waren auf 180 wegen der CDs“, erinnerte sich Reul im U-Ausschuss.

Polizist soll inzwischen verstorben sein

Tatsächlich gebe es nun aber doch noch eine Spur: Zu seiner Pensionierung habe sich im September ein Polizist seinem Vorgesetzten anvertraut. Er erinnerte an einen – inzwischen verstorbenen – Kollegen, der laut Reul „vor rund 15 Jahren“ im Verdacht stand, kinderpornografische Beweismittel eingesteckt zu haben. Oder wie Reul es formulierte: „Ich sage das mal liebevoll: ausgeliehen zu haben.“

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Damals sei der Fall untersucht und schließlich ohne Ergebnis zu den Akten gelegt worden, so Reul. Warum der Pensionär erst jetzt auspackte, bleibt unklar. Ärger droht ihm nun auch – vor allem, wenn sich der Verdacht bestätigen sollte. Die polizeiinternen Ermittlungen um die CDs laufen laut Reul.

Reul: Polizei Lippe mit dem Fall überfordert

Er begann seine Ausführungen im U-Ausschuss mit dem Bericht von einem Besuch beim Landeskriminalamt (LKA) im Winter 2018, Monate, bevor er das erste Mal von Lügde hörte. Damals habe er bei den Ermittlern bereits Schlimmstes gesehen und verstanden, „dass wir in diesem Phänomenbereich mit dem bisherigen Besteck nicht schnell genug weiterkommen.“ Damals habe man 20 Stellen im LKA geschaffen, 117 Hochleistungsrechner angeschafft und eine Arbeitsgruppe „Kinderpornografie“ eingerichtet.

Dann kam der 30. Januar 2019. Die Polizei Lippe gab damals eine Pressekonferenz, bei der erstmals die gigantischen Dimensionen des Falls Lügde publik wurden. Reul sagt, auch er habe erst so davon erfahren. In diesem Moment habe er gemerkt, dass die Polizei Lippe „mit dem Fall überfordert ist.“ Reul gab die Verantwortung für die Ermittlungen einen Tag später an die größere Polizeistelle Bielefeld weiter. „Seit diesem Tag war der ganze Vorgang dann auch Chefsache“, so der Minister.

Reul nannte den Fall Lügde ein „Fanal“, das vieles auf den Weg gebracht habe: Mehr Personal, mehr Ausstattung, Vernehmungsräume für Kinder, Datenspürhunde, ein Forensik-Truck. „Lügde war nicht der Auslöser, aber es hat viel beschleunigt“, so Reul: „Ziel aller Maßnahmen war und ist, dass jeder Täter jederzeit Angst haben muss, gefasst zu werden.“

Bei den Durchsuchungen auf einer neuen Parzelle auf dem Campingplatz in Lügde stehen Polizeibeamte an der Campinghütte eines neuen Tatverdächtigen.

Die Polizei 2019 bei Durchsuchungen auf dem Campingplatz in Lügde.

Der jahrelange Missbrauch auf dem Campingplatz in Lügde an der Grenze zu Niedersachsen hatte bundesweit für Entsetzen gesorgt. Über viele Jahre waren bis Ende 2018 zahlreiche Kinder von mehreren Männern sexuell missbraucht und vergewaltigt worden. Die beiden Haupttäter sind 2019 zu hohen Haftstrafen verurteilt worden. Der Landtag hatte 2019 einen U-Ausschuss eingesetzt, der in der aktuellen Legislaturperiode neu aufgelegt wurde. Der Ausschuss soll die Rolle der Jugendämter und die Arbeit der Polizei beleuchten.

Gerade was die Arbeit der Ermittler angeht, hat der SPD-Obmann im Ausschuss, Andreas Bialas (früher selbst Polizist), noch immer viele Fragen. Bialas konfrontierte Reul mit dem Fall um ein Opfer, das im Ausschuss mit dem Pseudonym „Almut“ geführt wird. Bialas sagt, dass das Martyrium des Mädchens über Monate verlängert wurde, weil die Polizei einer heißen Spur nicht nachgegangen sei.

Bialas sezierte den Vorgang im Ausschuss, Reul antwortete: „Ich nehme das interessiert zur Kenntnis, kann es aber nicht bewerten.“ Dafür fehlten ihm die Informationen. Auch die Staatsanwaltschaft war bei dem konkreten Fall involviert, sie ist in einer der kommenden Sitzungen des U-Ausschusses als Zeuge geladen. Ein Ende der Aufarbeitung des Missbrauchskomplexes im Landtag scheint noch nicht absehbar.

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